Das Leben von Nadejda Sawtschenko hängt von Putin ab

Die ukrainische Kampfpilotin, die in der Ukraine als nationale Heldin gefeiert wird und in russischer Haft sitzt, ist im Hungerstreik, heute soll das Urteil verlesen werden

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Seit dem 3. März 2016 verzichtet Nadejda Sawtschenko auf Nahrung und Wasser - aus Protest gegen den Aufschub der Urteilsverkündung. Jeder Tag kann im Leben der ukrainischen Pilotin der letzte sein. Eine Sackgasse für die russische Regierung: Sein oder nicht sein, sprich freilassen oder Sawtschenkos Tod abwarten, das ist die Frage.

Durch einen Artilleriebeschuss kamen Igor Kornelyk und Anton Woloschin, die für den Sender "VGTRK" tätig waren, im Juni 2014 in der Ostukraine ums Leben. Falls die Schuld von Nadja Sawtschenko bewiesen wird, drohen ihr 23 Jahre Strafkolonie und 100.000 Rubel Strafe.

Seit Sommer 2014 sitzt die 34-Jährige Soldatin und Trägerin des Ordens "Heldin der Ukraine", Nadejda Sawtschenko, in russischer Haft. Ihr wird vorgeworfen, den Aufenthaltsort von zwei russischen Journalisten an das ukrainische Bataillon "Aidar" weitergegeben zu haben. "Aidar" ist eins der wohl berüchtigsten Bataillone, die in der Ostukraine gekämpft haben. In dessen Reihen war auch Luftwaffenpilotin Nadejda Sawtschenko. Amnesty International berichtete im September 2014 über etliche Kriegsverbrechen seitens dieses Kampfverbandes. Entführungen, Raub, Erpressungen und sogar vorgetäuschte Hinrichtungen gegen eigene Mitglieder garantierten ihm traurige Berühmtheit.

Am 3. März sollte das Gerichtsurteil vorgelesen werden, der Richter Leonid Stepanenko hat dieses aber auf den 9. März verschoben. Er hat Nadjas "letztes Wort" unterbrochen, mit dem sie sich unter anderem in einem offenen Brief an die europäische Öffentlichkeit wandte. Aus Protest verkündete Sawtschenko ihren trockenen Hungerstreik mit dem Versprechen, in den kommenden 10 Tagen keine Nahrung und kein Wasser zu sich zu nehmen. Ihre einzige Forderung ist die sofortige Rückkehr in die Ukraine.

Anfang März vergangenen Jahres hatte Nadja einen 80-tägigen Hungerstreik mit schweren Folgen für ihre Gesundheit beendet und wurde im Krankenhaus mit einer Glukose-Infusionstherapie behandelt. Mehrere europäische Politiker und angesehene Kulturschaffende wie Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek (Österreich) und Swetlana Alexiewitsch (Belarus) sowie der russische Dichter Lew Rubinstein haben eine Petition zur Freilassung von Sawtschenko unterschrieben. Auch Brüssel veröffentlichte ein Statement, in dem die Europäische Union die sofortige Freilassung Nadjas forderte.

Am 6. März bewarfen über 100 Demonstranten die russische Botschaft in Kiew mit Eiern. Sie skandierten "Freiheit für Sawtschenko" und "Schande für Russland". Unter anderem beschädigten die Versammelten die am Gebäude geparkten Autos. Die russische Botschaft bezeichnete die Geschehnisse als Vandalismus und reichte beim ukrainischen Außenministerium Beschwerde ein.

Am gleichen Tag veröffentlichte eine Gruppe unabhängiger Experten - CIT (Conflict Intelligence Team) - ihre Experteneinschätzung unter dem Namen "Der Beweis von Nadejda Sawtschenkos Unschuld". Dort kommen die Autoren zu der Schlussfolgerung, dass die Entführung ukrainischer Pilotin durch das Separatisten-Bataillon "Zarja" am 17. Juni 2014 zwischen 9:14 und 11:02 Uhr stattfand. Die Version der Anklage besteht auf der Zeit zwischen 11 und 12 Uhr, in der die russischen Journalisten ums Leben kamen. Zu diesem Zeitpunkt wäre Nadejda schon von der LVR (Lugansk Volksrepublik) entführt worden.

Das CIT analysierte anhand von SunCalk und Landschaftsaufnahmen (3-D Modelle Google Earth) die Videos von LVR-Separatist Egor Russkij. Unter anderem filmte er auch die Festnahme von Sawtschenko am 17. Juni 2014. Geht man nach dem maximal angenommen Fehlerbereich in mathematischen Berechnungen, betrüge Nadjas Festnahme-Zeit ca. 10:10 Uhr, so CIT. Also mindestens zwei Stunden früher als der Artilleriebeschuss im Dorf Metallist, bei dem die zwei Journalisten des Senders "VGTRK" ums Leben kamen.

Der bekannte russische Publizist, Alexander Newzorov beschrieb die Situation rund um Sawtschenko als "absurd": "Der Offizier, der seine Heimat von Terroristen und Banditen verteidigt, wird entführt, illegal in ein anderes Land transportiert und dort nur dafür verurteilt, dass dieser seine professionelle Soldatenpflicht tat." Newzorow fügte hinzu, man solle aufhören, aus Journalisten eine Art "sakrale Kühe" zu kreieren, da sie sich immer einer Seite stellen müssen und somit ein Teil des Konflikts sind. "Der Journalist muss die gleichen Entbehrungen, Leiden und Verletzungen miterleben, wie jeder Kriegsbetroffener auch", fasste Newzorow zusammen.

Ein in seiner Brisanz ähnlicher Prozess war der des ukrainischen Regisseurs Oleg Senzow. Wie im Fall von Sawtschenko, die immer noch das Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist, hat die politisch motivierte Inhaftierung Senzows für große internationale Kritik gesorgt. Im Vergleich zur Kampfpilotin Sawtschenko, hat Senzow keinen militärischen Hintergrund, doch die Haftdauer wäre gleich - 23 Jahre für eine pro-ukrainische Ansicht.

Für die sofortige Freilassung des Regisseurs haben sich viele namenhafte Filmschaffende geäußert, unter anderem der Vorsitzende der europäischen Filmakademie, Wim Wenders. Er sagte, Senzow sei bestimmt kein Terrorist. Weder in Senzows Fall noch in dem Sawtschenkos konnte die russische Staatsanwaltschaft handfeste Beweise präsentieren. Das Schicksal der beiden Ukrainer ist vollkommen im Machtbereich eines einzigen Menschen in Russland - des Präsidenten Wladimir Putin. Wenn er, wie in der sogenannten "Amnestie aufgrund der Spiele von Sotschi" (Freilassung von Michail Chodorkowskij und "Pussy Riot") großzügig wird, dann könnte dies auch das Leben von Nadejda retten, die einen 10 Tage-Trockenhungerstreik vielleicht nicht überleben würde. Putin hat allerdings erklärt, so Interfax, er dürfe nicht in die Rechtsprechung eingreifen.