"Die Einheit Syriens ist eine rote Linie"

Al-Nusra, mit einigen der anderen islamitischen Gruppen vernetzt, behauptet, mit schweren Waffen bei Aleppo zu kämpfen.

Warum werden Kurden und andere Minderheiten in Syrien vom politischen Prozess ausgeschlossen?

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"Das Hohe Verhandlungskomitee" (HNC), das im Dezember 2015 in Saudi-Arabien gebildet wurde, kündigte seine Teilnahme an den Genfer Verhandlungen für Syrien an. Diese sollen nach dem Wunsch des UNO-Gesandten für Syrien Staffan de Mistura am 14. März stattfinden. Allerdings stellt das HNC wieder Bedingungen: Man werde nur über den Abgang von Baschar al-Assad reden. Jegliche Diskussion über das politische Modell für die Zeit nach Assad lehne man strikt ab. "Nur die Syrer sollen über die Zukunft ihres Lands entscheiden können", sagte ein Vertreter des HNC am 7. März der dpa.

In der Tat wollte die protürkische, prosaudische und "prowestliche" syrische Opposition bereits Ende 2011 nur noch über die Frage des Abgangs des "alawitischen Ketzers" Assad sprechen. An der Frage, wie die Staatsform in Syrien nach Assad aussehen soll, ist man hingegen wenig interessiert. Dabei ist es für die Mehrheit der Syrer von viel größerer Bedeutung zu wissen, was aus der versprochenen Rechtsstaatlichkeit, aus den Menschen- und Minderheitenrechten, aus der Glaubensfreiheit für die nicht-sunnitischen und nicht-muslimischen Minderheiten wird. Und ob Syrien wieder ein streng zentralistisches, von Damaskus geführtes Staatssystem haben soll.

Man ist jeglichen Ideen von Dezentralisierung oder Föderalisierung des Landes gegenüber sogar sehr feindlich eingestellt. Riyad Hidschab, Chef der des HNO, sagt: "Die Einheit Syriens ist eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Die Idee des Föderalismus ist nur dazu da, um Syrien letztendlich zu spalten. Und das werden wir niemals akzeptieren…"

In Bezug auf die Frage des Föderalismus unterscheidet sich Hidschab kaum von seinem ehemaligen Chef Baschar al-Assad. In seinen politischen Vorstellungen ist Hidschab, wie auch viele arabische Sunniten in der Opposition, ein arabischer Nationalist und sunnitischer Islamist. Er ist im ostsyrischen Deir ez-Zor am Euphrat geboren. Von 1989 bis 1998 war er Präsident des örtlichen Zweigs der Nationalunion Syrischer Studenten. Er war Mitglied der Führung der Baath-Partei von 1998 bis 2004 und von 2004 bis 2008 Sekretär ihres Deir-ez-Zor-Zweigs. Am 14. April 2011 wurde er zum Minister für Landwirtschaft und Agrarreform ernannt. Am 6. Juni 2012 wurde er vom Diktator Baschar al-Assad zum Ministerpräsidenten ernannt. Am 6. August 2012 ist er abgehauen.

Wie Riyad Hidschab denken auch die meisten Exilpolitiker in der protürkischen, prosaudischen und "prowestlichen" syrischen Opposition. Dennoch werden sie mit Geld aus den USA und der EU überschüttet. Die deutsche Bundesregierung unterstützt z. B. mehrere Büros dieser Opposition mit bundesrepublikanischen Steuergeldern.

Eine noch radikalere Haltung vertritt der Chef einer protürkischen syrischen bewaffneten Gruppe namens "Furqat Sultan Murad" Ahmad Osman. Gegenüber der arabischsprachigen Zeitung "Alquds Newspaper" erklärt er, die Pläne um Syrien seien weitreichender als bekannt. Unter der Ägide der internationalen Freimaurerei wolle der Iran einen Plan zur Zerstückelung der sunnitischen Länder umsetzen. Im Mittelpunkt dieser Verschwörung als Opfer stünde vor allem die Türkei.

Diese Aussage des protürkischen syrischen Warlords zeigt, wer besonders hinter der "Anti-Föderalismus-Kampagne" steckt. Bei der Kritik an einem Föderalismus für Syrien nach Assad ist die türkische Regierung federführend. Ankara hat wenig Interesse an einer Demokratisierung Syriens. Vielmehr will man einen alawitischen Despoten durch einen der Türkei loyalen sunnitischen Tyrannen austauschen.

Da aber die Kurden in Nordsyrien für sich und andere Minderheiten wie die Assyrer/Aramäer/, Armenier, Christen, Yeziden in jedem Fall eine regionale Autonomie durchsetzen wollen, ist für den NATO-Staat Türkei eine neue Ordnung in Syrien und Nahost nur ohne Einfluss der Kurden-Organisationen denkbar. "Ankara will nicht, dass sich das de facto eigenständige kurdische Staatsgebilde an seiner Südgrenze noch weiter ausdehnt und auf die große kurdische Minderheit in der Türkei ausstrahlt."

Dieser Umstand bestimmt weitgehend das politische, militärische und diplomatische Verhalten der türkischen Regierung in und um Syrien. Ankaras Hauptziel bleibt es, die politische und militärische Bewegung der Kurden (PYD und YPG) in Nordsyrien zu zerschlagen. Durch einen Ausschluss der "Partei der Demokratischen Union" vom politischen Prozess will Ankara den Einfluss der Kurden auf die Geschehnisse in Syrien minimieren.

Auch wenn die kurdischen Kämpfer und Kämpferinnen von der "Bürgerschutzwehr" (YPG) für die USA ein wichtiger Baustein ihrer Syrien-Politik sind - weil sie den IS erfolgreich zurückdrängen -, will Ankara YPG militärisch durch massive Unterstützung der bewaffneten islamistischen Gruppen schwächen. Immer, wenn dies nicht aufgeht, greift Ankara durch direkte militärische Intervention, etwa in Form von Raketen-Artillerie-Beschuss, YPG-Stellungen überall in Syrien an. Kommandeure der YPG in Aleppo werfen der türkischen Regierung vor, die Islamisten gegen sie aufzuhetzen.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London veröffentlichte am 7. März ein Video, in dem gezeigt wird, wie Islamisten, die von Recep Tayyip Erdogan unterstützt werden, die Zivilisten im mehrheitlich von Kurden besiedelten Stadtviertel Sheikh Maqsood in Aleppo mit "Höllenkanonen" angreifen. Dabei rufen sie immer wieder: "Alahu Akbar!"

In Sheikh Maqsood sind etwa 40.000 Menschen, vor allem Kurden, eingekesselt worden. "Höllenkanonen" sind improvisierte Mörser. Als Granaten für die "Höllenkanone" dienen leere Propangasflaschen. An die Propangasflaschen werden kurze Flossen zur Stabilisierung der Flugbahn montiert. Befüllt sind die "Geschosse" mit einem explosiven Gemisch aus Düngemitteln, Unkrautvernichtungsmitteln und ähnlichen Stoffen.

Präsident Erdogan ist entschlossen, alles dafür zu tun, dass Kurden, andere Minderheiten und ihre arabisch-sunnitischen Verbündeten militärisch, politisch und diplomatisch geschwächt werden. Dementsprechend muss für ihn sichergestellt werden, dass einzig und allein der Türkei loyale Kräfte die Zukunft des multiethnischen und multireligiösen Landes bestimmen.