Flüchtlingslager in Eidomeni: Teufelskreis aus Regen, Seuchenangst und hilfloser Politik

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Die Festung Europa versinkt im Schlamm. Ein Ortsbesuch

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An der Grenze Griechenlands zur EJR Mazedonien spielt sich seit Monaten ein einzigartiges Drama ab. Seit der faktischen Schließung der Grenzen Österreichs für Flüchtlinge, der von Österreich initiierten Westbalkankonferenz und der dominoartigen sukzessiven Schließung der Grenzen von Ungarn, Serbien und der EJR Mazedonien wurde der kleine Grenzort Eidomeni zum Ort der Apokalypse für mehr als 14.000 Menschen. Vom 10. bis zum 13. März beobachtete Telepolis die Situation vor Ort.

Die kalte Regenzeit als Katalysator für eine vorhersehbare Katastrophe

Nach einem verhältnismäßig milden Winter erlebt Griechenland seit Anfang März eine regelrechte Regenzeit. Besonders betroffen ist der Norden Griechenlands. Mit Ausnahme des Freitags regnet es seit einer Woche. Der kurze Sonnentag reichte bei weitem nicht aus, damit die knapp 12.000 im so genannten Lager Eidomeni und ihre mehr als 2.000 drum herum campierenden Leidensgenossen ihre Kleidung und ihre Zelte trocknen konnten.

Am Samstagabend begann die von der nationalen Wetterbehörde EMY mit einer Sturmwarnung angekündigte Schlechtwetterperiode mit sinkenden Temperaturen und sintflutartigen Regenfällen. Zwischenzeitlich hatten Hilfsorganisationen und staatliche Stellen versucht, mit dem Einsatz von Bulldozern wenigstens einige Stellen vom Schlamm zu befreien und große Zelte zu errichten. Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Das gesamte Lager, welches auf Äckern der Bauern der Region errichtet wurde, versinkt buchstäblich im Schlamm.

Über dem gesamten Lager liegt ein beißender Geruch von verbranntem Plastik und brennendem Harz. Die Flüchtlinge und Immigranten haben überall im Lager vor ihren Zelten Feuerstellen eingerichtet, in denen sie alles, was sie finden verbrennen. Nasses Holz landet ebenso im Feuer, wie gefundener Plastikabfall oder nicht mehr gewollte Kleidung. Viele bedienen sich der Zweige von in der Nähe wachsenden Nadelbäumen. Die zahlreichen Lagerfeuer sollen Wärme spenden und helfen, die vollkommen durchnässte Kleidung zu trocknen. Tatsächlich aber legt sich durch den Gebrauch ungeeigneter Brennstoffe ein dichter Rauchschleier über das gesamte Lager.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Der aus allen Zelten hörbare laute Husten von Kleinkindern und Erwachsenen wird sowohl von den Erkältungen als auch durch die stickige Atmosphäre ausgelöst. Jeder, der auch nur für kurze Zeit durch das Lager geht, hat hinterher an seiner Kleidung den typischen, intensiven Rauchgestank. Die meisten Menschen im Lager wirken vielleicht auch deshalb eher apathisch.

Zusätzlich zur Frustration über die geschlossene Grenze und der überall präsenten Nässe und dem Schlamm schränkt der dichte Rauch die körperliche Leistungsfähigkeit ein. Zu den geringeren Nebenwirkungen des Smogs gehören dumpfe Kopfschmerzen und Schwindel. Zusammen mit der Nässe und Kälte sorgt die Smogbelastung dafür, dass nahezu alle Lagerbewohner über Bronchialprobleme und massive Erkältungen klagen.

Der Alltag im Lager

In nahezu allen Zelten schlafen daher rund um die Uhr einige der Bewohner. Andere hingegen bemühen sich nach Kräften, zumindest den Anschein eines normalen Lebens zu wahren. Sie waschen sich und ihre Kleidung, suchen einen der Frisöre des Lagers auf oder nehmen knapp 19 km Fußmarsch nach Polykastro zu einem Supermarkt eines deutschen Discount-Riesen auf sich.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Die im Supermarkt erworbene Ware wird vielfach von den Kindern feilgeboten. Dazu kommen zahlreiche junge Männer, meist Afghanen, die mit einem gebetsmühlenartig wiederholten "We-einston, Mar-i-boro" Zigaretten verkaufen. Hin und wieder verscheuchen Polizisten die Zigarettenhändler, wenn diese den an den Bahngleisen und in der Nähe des Grenzzauns patrouillierenden Beamten zu nahe kommen.

Dazu gesellen sich allerlei fliegende griechische Händler, deren Preise dem Marktüblichen durchaus angepasst sind. So kostet ein Laib Brot ebenso wie in den Backstuben von Kilkis und Polykastro 80 Eurocent. Hier scheinen die Kontrollen der Steuerfahndung sowie die staatlich verordneten Maximalpreisbindung für Produkte des täglichen Bedarfs ihre Wirkung zu zeigen.

Wann immer freiwillige Helfer mit Spenden kommen, werden ihre Autos von einem Pulk von Flüchtlingen umringt. Viele versuchen gleich mehrfach an die Lebensmittelgaben oder die Kleiderspenden zu kommen. Die sich dabei abspielenden Tumulte schränken den Verkehr auf der einzigen Zufahrtsstraße zum Lager erheblich ein. Dagegen verläuft die Versorgung der Menschen an den Zelten der großen internationalen Hilfsorganisationen in geordneten Bahnen. Hier müssen die Flüchtlinge jedoch teilweise sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Für die Gesundheitsvorsorge gibt es hinsichtlich einer rudimentären Erstversorgung große Zelte von internationalen Hilfsorganisationen sowie kleinere mobile Ambulanzen, an welchen die Menschen buchstäblich auf der Straße untersucht werden. Die Zentren der organisierten Versorgung der Menschen vor Ort befinden sich nahe der kürzlich errichteten Grenzzäune sowie auf einer Anhöhe gegenüber des ungefähr 300 m von der Grenze entfernten Bahnhofs. Die mobilen Ambulanzen sind auf der Zufahrtsstraße zur Grenzpassage, die eigentlich nur für Züge eingerichtet ist.

Darüber hinaus marschieren Ärzte und Sanitäter regelmäßig durch das gesamte Areal. Wann immer sie angesprochen werden oder etwas ihnen verdächtig Erscheinendes bemerken, werden sie aktiv. Die staatliche Seuchenbehörde KEELPNO ist ebenso vor Ort wie die Hilfsorganisation Praksis, die in Griechenland besonders hinsichtlich der sozialen Kliniken und der AIDS- und Hepatitis-Prävention bekannt ist.

Die Furcht der Mediziner, dass es jederzeit zum Ausbruch einer Seuche kommen könnte, ist angesichts der Verhältnisse im Lager nicht unbegründet. Zahlreiche Zelte der Flüchtlinge werden direkt neben den provisorischen Toiletten aufgestellt. Hier kochen sie auf Feuerstellen, die sich mitten im Bereich des aus den Toiletten laufenden Abwassers befinden.

Für die Kinder im Lager gibt es noch eine weitere ernsthafte Gesundheitsgefahr. Die Stellwerke der Gleisanlagen, sowie die geparkten Güterwagen sind für die Kinder ein beliebter Spielplatz. Die Kleinen sind sich dabei jedoch keineswegs der Gefahr bewusst, die es zum Beispiel beim Einklemmen einer Hand in eine Weiche gibt. Zudem passieren regelmäßig Güterzüge das Lager. Die Lokführer bewegen ihre Fahrzeuge dabei zwar im Schritttempo, haben jedoch nicht wirklich den Überblick über den gesamten Zug. Zudem stehen zahlreiche Zelte auf Gleisen. Nicht auszudenken ist, was passieren kann, wenn die von Kindern regelmäßig verstellten Weichen einen Zug auf ein falsches Gleis umleiten.

Demonstrationen mit unfreiwilliger Komik

Als am Samstag eine Abordnung von Politikern der Fraktionsgemeinschaft von PASOK und der Demokratischen Linken das Lager inspizierte und gleichzeitig der Bischof von Kilkis, Emmanouil, seine Aufwartung machte, verfolgten zahlreiche Kamerateams die prominenten Besucher. Nach Angaben der Polizei kommt es bei solchen Gelegenheiten wegen der medialen Öffentlichkeitswirkung verstärkt zu spontanen Demonstrationen der Flüchtlinge gegen die Grenzschließung.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

So auch am Samstag. Einige hundert junge Männer sammelten sich auf den Gleisen und nahmen auch ihre Kinder mit. Sie skandierten Lieder zu Ehren der Bundeskanzlerin "Mamma Merkel" und hielten Plakate in die Luft. Einige auf Kartons geschriebene Parolen wurden von jungen Flüchtlingen auch an diejenigen verteilt, die selbst nichts mitgebracht hatten.

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, schrecken die Flüchtlinge bei ihren Demonstrationsaktionen auch nicht davor zurück, Kinder vor den Zug auf die Gleise zu legen. Sie blockieren damit erfolgreich für einige Stunden den Güterverkehr von Griechenland ins übrige Europa. Dieser ist durch den Grenzzaun und das Lager auf den Gleisen bereits ohne Demonstrationen kompliziert genug. Denn auch die Bahnlinien wurden mit einem Tor abgesperrt. Wenn ein Güterzug die Grenze passiert, wird das Tor geöffnet und hüben wie drüben wachen schwer bewaffnete Beamte darüber, dass sich neben dem Zug kein Flüchtling durch den engen Durchlass presst.

Weil viele der Flüchtlinge kaum Englisch, geschweige denn Griechisch sprechen, kann es dabei zu Pannen kommen. So hielt am Samstag ein Junge mit entschlossenem Gesichtsausdruck ein Kartonstück in die Kameras, auf dem auf Griechisch "Mpiskota", sprich Kekse, stand. Das Anliegen vieler Demonstranten ist aber durchaus ernst und geht über die Forderung für eine freie Grenzpassage hinaus.

Bild: Wassilis Aswestopoulos

In Eidomeni stecken zahlreiche Väter oder Mütter fest, deren übrige Familie über die Grenze gelassen wurde, als dies noch möglich war. Die Behörden der EJR Mazedonien schickten sie jedoch zurück, weil die Reisepapiere in der Türkei ausgestellt wurden. Systematisch wurden auf diese Weise Familien auseinander gerissen. Gerade die Menschen, die zu der hiervon betroffenen Personengruppe zählen, weigern sich, die Grenzregion zu verlassen. Sie fürchten, dass sie ansonsten ihre Familie nie wieder sehen könnten.