Bunter, aber nicht vielfältiger

Selbst in BW konnte die AfD aus dem Stand 15 Prozent gewinnen und damit zwar nicht den Sieg der Grünen, aber wohl zukunftsweisend die Möglichkeit einer großen schwarz-roten Koalition verhindern

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Eines haben die Landtagswahlen deutlich gezeigt, was freilich schon länger absehbar war: das Ende der Volksparteien Union und SPD. Auch wenn sie noch einmal in Berlin regieren konnten, zeigen nun die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, dass Große Koalitionen aus CDU und SPD der Vergangenheit angehören. Die Parteienlandschaft hat sich weiter fragmentiert und ist bunter geworden, auch wenn dies nicht unbedingt heißt, dass sie vielfältiger wurde. Zumindest nicht, wenn es nicht um Ressentiments und den Wunsch nach Erhaltung geht, sondern um neue Ideen der gesellschaftlichen Organisation in einer globalisierten, multipolaren Welt.

Und klar wurde auch, dass es nur ein scheinbar epochales Ereignis wie jetzt die Flüchtklingskrise geben muss, die zur Schicksalsfrage aufgepumpt wurde, um neuen Parteien aus dem Stand die Möglichkeit zu geben, in die Parlamente als starke Opposition einzuziehen. Jetzt verwundert dies nicht, da die etablierten Parteien sich von der AfD und den hinter dieser stehenden ausländerfeindlichen Bewegungen haben antreiben lassen, weil man die Sorgen und Ängste ja ernstnehmen müsse, und so letztlich die Parolen der ausländerfeindlichen, völkischen Wahlkampagne verstärkt haben.

Die Grünen haben in Baden-Württemberg erstmals geschafft, zur stärksten Partei zu werden, nachdem sie bereits letztes Mal in der Lage waren, mit der SPD als Juniorpartei an die Regierung zu kommen. Es war offenbar kein reiner Tschernobyl-Effekt, denn in dem einstigen CDU-Stammland konnten sich die Grünen dank ihres konservativen Regierungschefs Winfried Kretschmann nun etablieren, gegenüber dem der blasse und gehetzt agierende Gegenkandidat Guido Wolf keine Chance hatte. Kretschmann hat nun mehrere Möglichkeiten der Regierungsbildung: eine "große" Koalition mit der CDU als Juniorpartner, die allerdings darauf hofft, um der Demütigung zu entgehen, irgendwie doch mit SPD und der FDP eine Mehrheit erlangen zu können. Dazu müsste die CDU große Kompromisse vor allem gegenüber der SPD machen.

Für die SPD müsste nun endlich nach dem Debakel in Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg, wo sie zudem noch von der AfD überrundet wurde, klar werden, dass sie in Koalitionen nur verlieren kann, in denen sie das zweite Rad spielt und noch dazu keinen überzeugenden Kandidaten aufbieten kann. Sich in der Opposition einzufinden, könnte die Partei stärken, zumal wenn sie damit neue Verbindungen eingehen und sich von manchen starren Ansichten und vermeintlich staatstragenden Überzeugungen trennen kann.

Was hervorsticht: Alle Amtsinhaber konnten sich behaupten, welcher Partei sie oder er angehört, war eher nebensächlich. Parteien werden, das lehrt auch ein Blick in die USA, in Zukunft noch entschiedener überlegen müssen, welche Spitzenkandidaten sie ins Rennen schicken. Kandidaten, die aus innerparteilichen Machtkonstellationen hervorgehen, aber nicht öffentlichkeitswirksam im Aussehen, vor allem aber im Auftreten sind, haben wenig Chancen, wenn die Bindung an Parteien sinkt, wie dies derzeit der Fall ist. Die Nachkriegswelt des Kalten Kriegs ist zu Ende, auch die Wähler sind flexibler geworden, sie entscheiden sich zunehmend ähnlich wie angesichts von Optionen von Strom- oder Mobilfunkanbietern oder zappen zwischen den Parteien wie zwischen TV-Programmen.

Zu erwarten ist, dass sich AfD bald selbst zerlegen wird

Eine Ausnahme stellt die AfD dar. Deren Erfolg in allen drei Bundesländern und besonders in Sachsen-Anhalt zeigt aber, dass die Skepsis - besonders in Ostdeutschland - gegenüber allen etablierten Parteien hoch ist und dass nun rechts von der CDU eine neue Partei hoffähig wurde, in der es zwar viel rechtes und völkisches Gedankengut gibt, aber die erst einmal wenig mit der dumpfbackigen Neonazi-Ideologie zu tun zu haben scheint und sich als bürgerliche Partei gibt, die sich mit alternativenloser Systemkritik präsentiert und daher auch gar nicht anstrebt, in Regierungsverantwortung rücken zu wollen. Im Gegensatz zur Linkspartei hat die AfD jedoch gezeigt, dass sie zwar stark in Ostdeutschland verankert ist, aber auch in Westdeutschland Anhänger findet.

Glück hatte die AfD, dass sie nicht mit der Anti-Flüchtlingspolitik zum Durchbruch ansetzte, sondern bis zum Bruch als bürgerliche Partei mit einer Anti-Euro- und auch Anti-EU-Politik. Hier konnte sich bereits die nationalistische Ausrichtung ausprägen, ohne in die Ecke der anderen rechten Parteien wie die NPD oder Die Freiheit gedrängt werden zu können. Möglicherweise hatte auch der kometenhafte Aufstieg und Niedergang der Piraten als Protestpartei der AfD als Neustart gegen das "Establishment" geholfen, schließlich war damit deutlich geworden, dass eine Protestpartei in der Luft lag, der aber noch die Mitte fehlte.

Man kann allerdings damit rechnen, dass sich die AfD bald ebenso zerlegen wird wie die Piratenpartei - und wie sie sich schon aufgespalten hat. Nun ziehen weitgehend politisch unerfahrene Wutbürger in die Parlamente ein, wo es auch darum geht, zu vielerlei Alltäglichem eine Haltung zu beziehen. In der Regel wird man dann von der unbefleckten Protestpartei schnell zum Mitspieler oder als inkompetent entlarvt. Gut möglich, dass die AfD bis zur Bundestagswahl schon entzaubert ist.

Die FDP konnte nicht wegen ihres Programms wieder ein bisschen zulegen, sondern einfach deswegen, weil nicht alle Unzufriedenen aus der CDU zur AfD wollten. Gegenüber dieser und der CDU ist die FDP mal wieder zum kleineren Übel geworden. Überheblich können die Liberalen, denen irgendwie Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird, deswegen nicht sein. Sie sind wie so oft eine verzweifelte Alternative für Bürgerliche, die heimatlos wurden, auf Besitzstandswahrung hoffen und zum Mittel des Wahlprotestes greifen. In Baden-Württemberg, aber auch in Rheinland-Pfalz können sie so womöglich wieder ein Zünglein an der Waage spielen, womit ihre Bedeutung freilich größer wäre als ihr wirkliches Gewicht.

Und noch einmal zur AfD. Sie konnte in allen Bundesländern Menschen, die sich in politische Apathie begeben haben, zur Teilnahme an der Wahl motivieren. Das muss beileibe nicht heißen, dass die einstigen Nichtwähler die AfD wegen ihres Wahlprogramms gewählt haben, aber es heißt, dass die politische Parteienlandschaft nicht ausreichend Alternativen aufweist. Wenn alle zur Mitte drängen, die ja nur einen Teil der Wählerschaft repräsentieren kann, dann gibt es eine Leerstelle. Zumal dann, wenn die Mitte keineswegs so liberal, tolerant oder weltoffen, also gutmenschig ist, wie man gerne glauben möchte. Und wenn die Parteienlandschaft sich fragmentiert, driftet auch die Mitte auseinander.