Der syrische Aufstand 2011: Das Auftauchen der sunnitischen Fremdlinge

Eine Anmerkung zur Syrien-Berichterstattung

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International werden derzeit in teilweise sehr aufwendig aufbereiteten Berichten die Anfänge oder Auslöser der Kriegskatastrophe in Syrien dargestellt. Die Demonstrationen in Syrien am 15. oder 18. März 2011 gelten als Beginn einer Entwicklung, die zum Krieg geführt hat.

Als Konsens über den Konflikt in Syrien hat sich seit längerem die Erzählung durchgesetzt, dass zu diesem Zeitpunkt die Proteste gegen die syrische Führung friedlich waren und die Regierung völlig überzogen mit Gewalt und Festnahmen reagierte, womit die Spirale in Gang gesetzt wurde, die in den Bürgerkrieg mündete (vgl. dazu etwa die Hintergrunderzählung der Bundeszentrale für politische Bildung).

Sehr anschaulich und gut konsumierbar wird dies beispielhaft in der Rückschau des bekanntesten deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel erzählt:

Am 15. März 2011 hatte alles harmlos mit einem Kinderstreich begonnen: "Das Volk will den Sturz des Regimes", sprühten 15 Teenager im südsyrischen Daraa als Graffiti an die Wand. Eine Protestbewegung wegen der Verhaftung der Jugendlichen wurde brutal niedergeschlagen. Aus den Demonstrationen entstand ein Bürgerkrieg, der schließlich zu einem internationalen Stellvertreterkrieg wurde.
Seit fünf Jahren befindet sich Syrien im freien Fall.

Der freie Fall könnte allerdings auch der- oder demjenigen geschehen, die oder der die Archive aufsucht, in denen sich Berichte zur Situation in Syrien im März 2011 finden. Zumindest wird der Leser mit Wahrnehmungen konfrontiert, die auf den dünnen Boden der Überzeugungen oder Gewissheiten aufmerksam machen, auf dem die gängige Syrien-Story fußt.

Ein Ausschnitt soll dies verdeutlichen. Ausgesucht wurde dafür das Blog Syria Comment von Joshua Landis. Dass dem Blogbetreiber Landis, einem Professor für Middle East Studies in Oklahoma, häufig Parteilichkeit vorgehalten wird, weil er sich nicht gerade als unbedingter Anhänger der Regierung Baschar al-Assad gezeigt hat - ist in diesem Fall umso besser. Für seinen Blog spricht - außer dass er von jemandem betrieben wird, der Arabisch beherrscht und enge familiäre Verbindungen zu Syrien hat -, dass dort sehr unterschiedliche Stimmen und Positionen zu Wort kommen.

Schaut man bei Syria Comment auf die Ereignisse des 18. März 2011, die dort hauptsächlich mit zwei Nachrichtendienstmeldungen abgedeckt werden, so fällt einmal auf, dass der Blogbetreiber damals schon von einem "Wendepunkt" sprach, mit dem Zusatz, dass aber niemand sagen könne, wohin er führt.

Zum anderen fällt dem Leser mit dem heutigen Wissen auf, dass die Berichte bereits damals von Infiltrators sprachen - mit Berufung auf das staatliche syrische Fernsehen. Die Eindringlinge sollen Gewalt bei den Demonstrationen gesät, Autos umgeworfen, Privateigentum zerstört und die Polizeitruppen angegriffen haben. Ähnlich wie ein schwarzer Block. Bei manchen könnte eine Erinnerung daran wach werden, dass man dergleichen über die ersten großen syrischen Demonstrationen damals auch in deutschen Berichten gelesen oder gehört hatte. Mit dem Verweis auf die staatliche Quelle hatte man das aber schnell als typische Propaganda eingeordnet.