Zurückgedrehte Evolution

Die Fibula bei Hühnern und bei Sauriern. Bild: Universidad de Chile

Lateinamerikanische Wissenschaftler erzeugen Huhn mit Saurierbein

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Ein Team von Wissenschaftler der Universidad de Chile hat in der Fachzeitschrift Evolution eine Studie veröffentlicht, die den Worten des beteiligten Forschers Alexander Vargas nach beschreibt, wie sie bei einem Hühnerbein die "Evolution zurückdrehten".

Erste Ausgangserkenntnis des Experiments unter Leitung des Brasilianers João Francisco Botelho war die Beobachtung, dass Embryonen in ihrer Entwicklung nicht nur größer werden, sondern die Evolution quasi im Zeitraffer nachstellen: Das befruchtete Ei verwandelt sich vom Einzeller über eine Zellkolonie, einen aus zwei Gewebeschichten bestehenden Organismus und einen Quasi-Echinoderm in einen Quasi-Fisch. Menschlichen Embryos wachsen beispielsweise paddelförmige Knospen mit Schwimmhäuten, die erst später zu Fingern werden.

Bei Hühnern zeigt sich das Phänomen unter anderem an den Beinknochen Fibula ("Wadenbein") und Tibia ("Schienbein"), die in einem bestimmten embryonalen Stadium den röhrenförmigen Knochen eines Theropoden ähneln - einer fleischfressenden Dinosauriergruppe, zu der unter anderem der Tyrannosaurus und der Velociraptor gehörten und aus der sich vor 145 Millionen Jahren die Vögel entwickelten.

Eine weitere Ausgangserkenntnis des chilenischen Forscherteams war, dass das im IHH-Gen codierte Indian-Hedgehog-Protein in Hühnerembryos das Wachstum der Fibula als Signalmolekül steuert. Als sie die Verfügbarkeit dieses Proteins in einem Hühnerembryo ausschalteten, entwickelte sich das Bein des Tiers nicht wie das eines Huhns, sondern wie das eines Dinosauriers.

Damit bestätigten sie ihrer Ansicht nach die Hypothese, dass sich durch Wachstumsmanipulation zumindest bei Knochen evolutionäre Vorstufen herstellen lassen. Nun wollen sie weitere Hypothesen testen und möglichst Neues zur Evolution von Vögeln herausfinden. Daran arbeitet man auch an der US-Eliteuniversität Yale, wo Forscher letztes Jahr Hühnerembryonen erzeugten, denen anstatt eines Schnabels eine Dinosaurierschnauze wuchs. Die Nordamerikaner beendeten diese Experimente allerdings schon im Embryonalstadium.

Gefiederte Saurier

Wie viel Vögel und Dinosaurier gemeinsam haben, zeigen mehrere andere Studien aus den letzten Jahren und Jahrzehnten. 2014 grub ein Team um den belgischen Paläontologen Pascal Godefroitin (dem unter anderem die Französin Danielle Dhouailly, der Brite Michael Benton und die Russen Sofia Sinitsa, Juri Bolotski und Alexander Sizow angehörten) in einer 144 bis 169 Millionen Jahre alten Erdschicht in Sibirien Überreste des vorher unbekannten pflanzenfressenden Sauriers Kulindadromeus zabaikalicus aus, der kein naher Verwandter der Vögel war, aber wahrscheinlich trotzdem Federn hatte, wie die außergewöhnlich gut konservierten Abdrücke von Körperoberflächenstrukturen auf dem Kopf, der Brust, dem Rücken und den Beinen nahe legen.

Vom Geschlechtsschmuck zum Flug

Godefroitin hält für möglich, dass 50 Millionen Jahre vor dem Auftreten des Archaeopteryx viele andere Saurierarten gefiedert waren, auch wenn in Fossilien keine Spuren davon erhalten sind. Diesem Ansatz nach entwickelten sich Federn zuerst dazu, um Körperwärme besser zu speichern (was der neueren Forschung nach auch beim Archaeopteryx noch im Vordergrund stand) und Geschlechtspartner anzuziehen. Dass man sich mit dem wärmenden und schmückenden Beiwerk auch in die Lüfte erheben kann, zeigte sich diesem Ansatz nach erst später.

Mehr über Dinosaurier finden Sie im aktuellen Wissen-Sonderheft 2016, in dem unter anderem erklärt wird, wie die Evolution den Pflanzenfresser Triceratops für Kämpfe ausstattete, warum über viele Körperteilbesonderheiten des gepanzerten dreihörnigen Siebentonners (wie beispielsweise über den Nackenschild und die schnabelähnliche Schnauzenspitze) immer noch gerätselt wird, wie er sich ernährte und warum seine populäre Darstellung als Herdentier problematisch ist.

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