Die Ukraine ist für die EU zum Problemfall geworden

Stadtrand von Donezk, zerstörte Datschensiedlung. Bild: U. Heyden

900.000 ukrainischen Binnen-Flüchtlingen droht der Entzug der Sozialhilfe. Immer noch kein Nachfolger für Jazenjuk in Sicht. Schachert Poroschenko jetzt mit den Russland-freundlichen Oligarchen?

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Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird sich heute in Brüssel mit Angela Merkel und Francoise Hollande treffen, meldete der Pressesprecher des ukrainischen Präsidenten, Swjatoslaw Zegolko, via Facebook.

Das Treffen könnte spannend werden, denn in den deutsch-ukrainischen Beziehungen war in den letzten Wochen ein neuer Ton zu hören gewesen. "Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass in Moskau und Kiew bei all dem außer Acht bleibt, wie ernst die Lage ist", hatte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier beim Normandie-Treffen am 3. März in Paris erklärt und sowohl von Kiew als auch von Moskau stärkere Anstrengungen zur Umsetzung des Minsker Abkommens gefordert. Bisher hatte Berlin vor allem Moskau mit Forderungen zur Umsetzung des Abkommens konfrontiert.

Präsident Poroschenko forderte am 14. März dazu auf, das Gesetz zur elektronischen Steuererklärung zu verabschieden, um die Visafreiheit erreichen zu können. Bild: president.gov.uay

Dem ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrej Melnik, gefiel der neue Ton von Steinmeier überhaupt nicht. Er warf der Bundesregierung einen "übertrieben moskaufreundlichen Kurs vor". Versöhnliche Signale aus Berlin würden in Moskau als Schwäche empfunden, so Melnik.

Juncker sieht die Ukraine in den nächsten 20 Jahren nicht in der EU

Geplant ist am Donnerstag in Brüssel auch ein dreiseitiges Treffen mit Petro Poroschenko, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker. Bei diesem Treffen soll es um die Visafreiheit für Bürger der Ukraine gehen.

Die ukrainische Regierung hatte am 16. März den Startschuss für eine Nationale Agentur für Fragen des Widerstandes gegen die Korruption gegeben. Die Einrichtung dieser Agentur war die Bedingung der EU für die Einführung der Visafreiheit. Am 15. März hatte die Werchowna Rada ein Gesetz zur Einführung der elektronischen Steuererklärung verabschiedet. Auch damit wurde eine Forderung der EU erfüllt. Doch ob es bald zur Visa-Freiheit für Ukrainer kommt, scheint angesichts der inneren Probleme, nicht wahrscheinlich.

Hoffnungen auf einen baldigen EU-Beitritt kann sich die Ukraine sicher nicht machen. Ein deutliches Stopp-Schild stellte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 3. März auf, als er sagte, "die Ukraine wird mit Sicherheit in den nächsten 20 bis 25 Jahren kein Mitglied der EU werden können." Die FAZ vermutete mit der Äußerung wolle Juncker die Bürger in den Niederlanden beruhigen, die am 4. April in einem Referendum über den Handelsvertrag zwischen EU und Ukraine abstimmen. Juncker hofft, dass "eine alte Handelsnation wie die Niederlande" dem Handelsabkommen zustimmen wird.

Nachfolger für Jazenjuk noch nicht in Sicht

Für die EU wird die Ukraine immer mehr zum Problemfall. Die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes nehmen zu (Poroschenko plant Neustart der Regierung). Immer noch ist nicht klar, wer der Nachfolger von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk werden könnte, dem der ukrainische Präsident Mitte Februar den "freiwilligen Rücktritt" nahegelegt hatte (Ukrainer schwer enttäuscht über "Revolution der Würde"). In der Werchowna Rada gab es keine Mehrheit für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Jazenjuk. Noch wird der amtierende Ministerpräsident von Oligarchen aus allen Lagern gestützt.

Für die Nachfolge von Jazenjuk sind in Kiew drei Kandidaten im Gespräch. Am häufigsten genannt wird Finanzministerin Natalja Jaresko, die in den USA aufwuchs und ukrainischen Eltern hat. Sie könnte eine "technokratische Regierung" leiten, welche "die Reformen beschleunigen soll", so der Pressesprecher des ukrainischen Präsidenten. Zwei weitere mögliche Kandidaten sind der rechte Bürgermeister von Lviv (Lemberg) Andrej Sadowyj und der nationalliberale Vorsitzende des Parlaments, Wladimir Grojsman.

Geht Poroschenko auf Russland-freundliche Oligarchen zu?

Eine Entspannung in der Ost-Ukraine ist nicht in Sicht. Noch immer gibt es nicht die im Minsker Abkommen vorgesehene Vereinbarung zwischen Kiew und den international nicht anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk über die Durchführung von Wahlen in den abgespaltenen Gebieten.

Die Volksrepublik Donezk (DNR) zeigt sich zunehmend selbstbewusst. Am 16. März gab DNR-Oberhaupt Aleksandr Sachartschenko die ersten Pässe der "Volksrepublik" aus (Video).

Dem Ende letzter Woche bekanntgewordenen Plan des ukrainischen Oligarchen und Führers der Partei "Ukrainische Wahl", Viktor Medwetschuk, dem Russland-freundlichen Oligarchen Rinat Achmetow und dem Leiter des ukrainischen "Oppositionsblockes", Juri Boiko, die Leitung der von der Ukraine abgespaltenen Gebiete im Osten des Landes zu übertragen, erteilte der DNR-Chef eine Abfuhr. Noch gibt es keine Bestätigung für die Existenz dieses Planes und die Meldung, dass Poroschenko diesen Plan prüft.

DNR-Oberhaupt Sachartschenko begründete seine Absage des Medwetschuk-Plans am 15. März folgendermaßen: In Donezk seien "die Träume realisiert worden, welche die Leute auf dem Maidan hatten, bevor dort der Plan zu einem Staatsstreich realisiert wurde". Eine Rückkehr zur Herrschaft der Oligarchen sei in Donezk nicht möglich. Und wenn sich der "Oppositionsblock" an den Wahlen in Donezk beteiligen wolle, müsse er zunächst öffentlich die militärischen "Verbrechen" des "Kiewer Regimes" in Donezk und Lugansk verurteilen. Die von Kiew gewollte Rückkehr von Donezk und Lugansk unter die Leitung der ukrainischen Regierung bezeichnete Sachartschenko als "Schritt zurück". Das, was man erobert habe, werde man "nicht wieder hergeben".

Donezk: Blick auf Fußballstadion und Bergwerkshalden (2015). Bild: U. Heyden

Gefechte im Osten nehmen zu

Die militärischen Konflikte an der sogenannten Kontaktlinie zwischen der Ukraine und den "Volksrepubliken" nahmen in den letzten Tagen zu. Immer wieder taucht das Gerücht von einer bevorstehenden neuen Runde im Krieg auf. Kämpfe, bei denen auch schwere Waffen eingesetzt wurden, gab es in den letzten Tagen am Rand der Städte Donezk, Jasinowataja und Gorlowka.

Am Mittwoch, den 16. März, bestätigte der ukrainische Präsident mit einem Erlass eine neue Militärdoktrin. Eine aktuelle Gefahr - so heißt es in dem Erlass - seien "aggressive Handlungen Russlands zur Erschöpfung der ukrainischen Wirtschaft und der Schädigung der gesellschaftlich-politischen Stabilität mit dem Ziel, die Ukraine zu vernichten und ihr Territorium zu erobern."

Eine "Herausforderung für die Sicherheit der Ukraine" sei auch "die Möglichkeit der Nutzung des Territoriums der Ukraine für die Führung eines Krieges im Falle eines entstehenden Konfliktes zwischen Staaten - Mitgliedern der Nato und der Russischen Föderation."