Halbe "europäische Lösung", aber ganz schnell

Im Deal mit der Türkei sollen Flüchtlinge schon ab 20. März von den griechischen Inseln in die Türkei zurückgeschoben werden

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Alle scheinen glücklich zu sein. Der Bruch ist vermieden worden. Es wurde eine Einigung mit der Türkei gefunden, der alle EU-Regierungschefs zugestimmt haben. Und alles soll jetzt ganz schnell gehen, um den Flüchtlingen keine Zeit zu lassen, noch schnell massenhaft nach Griechenland zu kommen, und um den Kritikern der Bundesregierung und vor allem der Kanzlerin den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Offenbar konnte sich Bundeskanzlerin Merkel in manchen Dingen durchsetzen. Zumindest will sie ihren Slogan "Wir schaffen das" weiterhin nicht zurücknehmen, sondern auch hier an ihm festhalten. Das Wir wird dabei zu Europa: "Das Fazit des heutigen Tages ist, dass Europa es schaffen wird, auch diese Bewährungsprobe zu bestehen", sagte sie nach dem Gipfel. Das war auch für Regierungssprecher Steffen Seibert eines der wichtigsten Ergebnisse: "Kanzlerin #Merkel zu Ergebnissen Euop. Rat: Europa wird es schaffen, diese schwierige Bewährungsprobe zu bestehen, alle 28 gemeinsam mit Türkei".

Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu und B undeskanzlerin Angela Merkel. Bild: EU

Nach dem Beschluss wird an dem Ende November vereinbarten Aktionsplan festgehalten, der eine Verteilung von Flüchtlingen und die Zahlung von 3 Milliarden Euro an die Türkei für konkrete Flüchtlingsprojekte vorsieht. Mit ersten Zahlungen wurde bereits begonnen.

Um die menschenrechtliche Fragen in dem Deal auszuklammern, liegt der Schwerpunkt des Abkommens mit der Türkei im Hinblick auf die Flüchtlinge bei der Bekämpfung der Schleuser und der "irregulären Migration". Man wolle Flüchtlingen eine Alternative bieten, angeblich mit dem Ziel, dass sie ihr Leben nicht riskieren müssen, um berechtigt in der EU Schutz suchen zu können.

Aus der Vereinbarung geht hervor, dass Flüchtlinge, die am Sonntag auf griechischen Inseln ankommen, bereits zurück in die Türkei transportiert werden sollen. Die Türkei und Griechenland sollen mit der Hilfe der EU die dazu notwendigen Schritte umsetzen. Auch türkische Sicherheitskräfte sollen sich zu diesem Zweck ab Sonntag auf den Inseln aufhalten. Wie das in dieser knappen Zeit gehen soll, ist fraglich. Aber es ist wohl auch als Signal gedacht.

Die Maßnahme geschehe, so wird versichert, in Übereinstimmung mit europäischem und internationalem Recht, da es sich nicht um eine kollektive Abschiebung handeln soll. Zudem wird versichert, dass es eine "vorübergehende und außerordentliche Maßnahme" sei, mit der "das menschliche Leiden beendet und die öffentliche Ordnung wiederhergestellt" werden soll. Die Flüchtlinge würden registriert und Asylanträge einzeln bearbeitet. Wer keinen Asylantrag stellt oder wessen Anspruch abgewiesen wird, wird zurückgeschickt. Die Kosten für die Abschiebung übernimmt, wie von der Türkei gefordert, die EU.

Es bleibt auch bei dem deutsch-türkischen Plan, dass für jeden Syrer, der abgeschoben wird, ein anderer Syrer aus der Türkei in die EU umgesiedelt wird. Das geschehe in Kooperation der Kommission, der Mitgliedsstaaten und der UNHCR. Bevorzugt werden sollen diejenigen, die nicht schon versucht haben, "irregulär" in die EU zu kommen, oder die es schon einmal geschafft haben. Die Türkei muss damit zum sicheren Drittland erklärt werden. Und inwieweit Flüchtlinge aus anderen Kriegsgebieten in die Türkei zurückgeschoben werden können ist ebenso fraglich nwie der Umstand, dass die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht für außereuropäische Flüchtlinge unterzeichnet hat.

Wie schon abzusehen war, nehmen die Mitgliedsstaaten nicht mehr Flüchtlinge auf, als sie bereits vereinbart haben. Damit können, wie im Juli 2015 vereinbart, in der gesamten EU nach den freiwilligen Verpflichtungen der Länder gerade einmal 18.000 Flüchtlinge aufgenommen werden. Falls Bedarf an mehr Plätzen bestehen sollte, könne man bis zu 54.000 Flüchtlinge mehr verteilen - auf der Basis der Freiwilligkeit. Eigentlich war vorgeseshen, diese 54.000 Flüchtlinge aus europäischen Staaten wie Griechenland oder Italien zu verteilen. Es bleibt also bei der Koalition der Willigen und der Übermacht der Unwilligen. Falls die Plätze nicht ausreichen, will man die Verteilungsentscheidung vom Septmeber 2015 noch einmal überprüfen und ergänzen. Aber man hofft wohl, dass dies nicht notwendig sein wird, womit der Konflikt erst einmal hinausgeschoben wurde.

Die Türkei verspricht, alles zu unternehmen, um die "illegale Migration" über Land und Meer zu beenden. Wenn die Flüchtlingszahlen entscheidend gesenkt werden konnten, will man wieder einmal einen freiwilligen humanitären "Umsiedlungsmechanismus" einführen. Die Merkelsche europäische Lösung ist auch damit nicht wirklich vorhanden, was zeigt, wie begrenzt die Durchsetzungskraft Deutschlands ist.

Gekauft wird das Flüchtlingsabkommen mit der Aussicht, die Visa-Pflicht für die Türken bis spätestens Juni 2016 zu beenden, sofern alle Bedingungen erfüllt sind. Da wird man, wie schon jetzt, beide Augen zudrücken, wenn die Flüchtlingszahlen wirklich abnehmen. Der türkische Regierungschef sagte, die Türkei werde die Bedingungen bis Mai erfüllen. Zugesagt wurde auch, die schon bewilligten 3 Milliarden Euro nun schnell auszuzahlen, und zusätzliche 3 Milliarden bis 2018 zu zahlen. Und wie auch vorgesehen sollen die Beitrittsverhandlungen beschleunigt werden. Allerdings soll nur Kapitel 33 geöffnet werden, die Türkei hatte 5 verlangt.

Versprochen wurde der Türkei auch, die humanitären Bedingungen in Syrien verbessern zu helfen, und zwar besonders an der syrisch-türkischen Grenze. Die Türkei dringt bekanntlich darauf, dort Schutzzonen einzurichten, mit dem Hintergedanken, einen Fuß in Syrien zu erhalten und zu verhindern, dass die syrischen Kurden das von ihnen kontrollierte Gebiet an der Grenze erweitern können. Was hier wirklich zugesagt wurde, wird man absehen müssen.

EU-Präsident Tusk versicherte, dass das Abkommen nur ein Schritt auf dem Weg zu umfassenden Maßnahmen darstelle. Dazu würde u.a. die Sicherung der EU-Außengrenzen gehören, aber auch, dass die Westbalkanroute weiterhin geschlossen bleibe.