Zeitumstellung: Mehrheit dagegen, aber keine Aussicht auf Abschaffung

EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten sehen die Initiativverantwortung beim jeweils anderen

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Am nächsten Wochenende werden die Uhren in Deutschland wieder von Winter- auf Sommerzeit umgestellt. Diese Zeitumstellung wurde 1980 eingeführt, um Energie zu sparen, was sich als Trugschluss erwies (vgl. Umstellung auf Sommerzeit). Und sie wird zunehmend unbeliebter: Einer gestern veröffentlichten repräsentativen Umfrage zufolge stieg der Anteil derjenigen, die den Aufwand für überflüssig halten, innerhalb der letzten zwei Jahre von 71 auf 74 Prozent (vgl. 71 Prozent der Deutschen lehnen Zeitumstellung ab).

Eine Mehrheit gegen die Zeitumstellung gibt es in allen Altersgruppen: Von den 14- bis 29-Jährigen (knapp 60 Prozent), über die 30- bis 44-Jährigen (78 Prozent) und die 45- bis 59-Jährigen (76 Prozent) bis hin zu den Über-60-Jährigen (79 Prozent). Dass die Mehrheit alleine unter den weiblichen Umfrageteilnehmern mit 80 Prozent (gegenüber 68 Prozent bei den Männern) noch größer ist, wirft die Frage auf, warum die Zeitumstellung bislang noch nicht als frauenpolitisches Thema debattiert wird.

Grafik: Daniel FR, Plenz. Lizenz: Public Domain.

Bei den Grünen, die Frauenpolitik sonst gerne thematisieren, hatte gestern niemand Zeit für eine Stellungnahme. In der Linkspartei hält Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn eine Diskussion um die Zeitumstellung angesichts seiner Ansicht nach "weit drängenderer Probleme" für "wirklich weit nachrangig". Damit liegt er auf einer Linie mit Stephan Schmidt, dem bayerischen Vizechef von Bernd Luckes AfD-Abspaltung ALFA: Der steht der Zeitumstellung zwar "kritisch gegenüber", verweist aber ebenfalls auf "wichtigere Probleme in Deutschland und Europa". ALFA, so Schmidt, verstehe sich "nicht als Protestpartei" und lege "die Schwerpunkte daher lieber auf andere Politikfelder".

In der SPD und der AfD hofft man möglicherweise, dass die Parteien in Artikeln nicht kritisch erwähnt werden, wenn man auf Anfragen nicht reagiert (falls das der Fall gewesen sein sollte, liebe Sozialdemokraten und Alternative: So kann man sich - wiederholt - täuschen).

Die CDU verweist auf einen Parteitagsbeschluss aus dem letzten Jahr, in dem die Partei zum Fazit kommt, dass die erwarteten Energieeinsparziele durch die Sommerzeit nicht erreicht wurden. Wegen der "finanziellen und administrativen Kosten" und der "gesundheitlichen Beeinträchtigungen für Mensch und Tier" will sich die CDU diesem Beschluss nach "dafür einsetzen, dass die Zeitumstellung in Europa abgeschafft wird und zukünftig wieder eine einheitliche ganzjährige Zeit gilt". Auf Fragen zu konkreten Maßnahmen für diesen Einsatz nennt die Pressestelle mehrere Anhörungen des Europaabgeordneten Herbert Reul.

Liberale: Intrafraktionellen Aufruf

Der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer hält die Zeitumstellung für ein "Relikt der Vergangenheit", das "komplett abgeschafft" werden sollte, weil die Energieeinsparziele nicht erreicht wurden und die negativen Folgen seiner Ansicht nach eine "eindeutige Sprache" sprechen. Dabei verweist er auf "Gesundheitsprobleme inklusive Depressionen und Schlafmangel - besonders bei Kindern", den "Verwaltungsaufwand für Unternehmen, darunter besonders Verkehrs- und Logistikunternehmen und solche mit Schichtarbeit", ein Ansteigen der Zahl der Unfälle um bis zu 30 Prozent und Kühe, die "bis zu 10 Prozent weniger Milch geben".

Theurer hat deshalb im Europaparlament eine intrafraktionellen Aufruf zur Abschaffung der Zeitumstellung unterzeichnet und kritisiert, "dass es derzeit [...] von Seiten der EU-Kommission [heißt], die Mitgliedstaaten seien als erste am Zug - und umgekehrt wird ebenso argumentiert". Dieses "gegenseitige Fingerzeigen" hält er für "albern" und fordert andere Politiker auf "endlich zu handeln", denn "wo ein Wille ist, ist auch ein Weg".

Aigners EU-Petition auch nach zwei Jahren noch nicht gestartet

In der CSU verweist man auf die bayerische Wirtschaftsministerin und mögliche Seehofer-Nachfolgerin Ilse Aigner. Die hatte im März 2014 verlautbart, sie sei eine Gegnerin der von einer sozialdemokratischen Bundesregierung eingeführten und 2001 in eine EU-Richtlinie gegossenen Maßnahme und erwäge, die EU-Kommission über eine Petition dazu zu zwingen, sich mit der Frage zu beschäftigen. Was zwei Jahre später daraus wurde, bleibt unklar, weil die auch für Energie zuständige Ministerin nicht erreichbar war.

Eindeutig gegen die Zeitumstellung positionieren sich die Freien Wähler. Florian Streibl, ihr Parlamentarischer Geschäftsführer im Bayerischen Landtag, meint gegenüber Telepolis, es habe "weder wirtschaftliche noch gesellschaftliche Vorteile, die Zeit einmal vor und einmal zurück zustellen". Dadurch werde nur "der Lebensrhythmus des Menschen […] zweimal im Jahr auf den Kopf gestellt". Er fordert deshalb die Rückkehr zur "natürlichen Zeit" - und das ist für ihn die Winterzeit.

Florian Weber, der Landesvorsitzende der Bayernpartei, lehnt die "künstliche Zeitumstellung nach Jahreszeit" ebenfalls ab und will "zurück zur Normalzeit". Die erhofften Vorteile sind seinen Worten nach "nur bedingt eingetreten". Dafür gebe es inzwischen "medizinische Gutachten, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung erkennen lassen".

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