Der digitale Wert des Kunden

Screenshot: Frank Magdans

Wir hinterlassen überall unseren digitalen Fußabdruck - zur Freude von Unternehmen und Marketingagenturen? Teilweise zumindest. Denn die Freude hat Grenzen sowie zugleich Konsequenzen.

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Persönliche Informationen mithilfe von Computerprogrammen auszuspähen, ist keine Neuheit. Bereits Mitte der 1990er-Jahre erkor die Redaktion der Zeitschrift GEO das Thema zur Titelgeschichte "Der gläserne Mensch". Mithilfe von Online-Communities, Monitoring-Tools und Kundenkarten gewinnt der sogenannte Lifetime Value Index für Firmen jedoch mehr und mehr an Bedeutung - und wir verlieren die Übersicht.

In den letzten Jahren hat der Begriff Social-Customer-Relationship-Management (Social CRM) an Bedeutung gewonnen. Denn infolge des Aufkeimens sozialer Netzwerke spüren Unternehmen mehr und mehr die Macht der User. Menschen tauschen sich mit Gleichgesinnten in Foren und Communities über Produkte aus, diskutieren über Problemlösungen, raten zum Kauf oder warnen davor. Informationen findet man also an vielen Stellen im Internet, denn Leute hinterlassen gern ihre persönliche Meinung, sofern sie es angebracht finden.

Software erstellt Stimmungsbarometer

Um aufkeimende Fälle im World Wide Web zu entdecken, setzen Unternehmen und Agenturen Online-Monitoring-Lösungen wie BrandWatch, Talkwalker oder Vico Analytics ein. Diese Programme durchforsten das Internet nach vordefinierten Begriffen und spucken Links aus, sodass die digitale Unit frühzeitig erkennen kann, wo Kunden mit welcher Tonalität über die Marke sprechen und wo es mitunter brennt. Die Software erstellt sogar ein Stimmungsbarometer.

Was früher hauptsächlich Foren, sind heute nicht nur soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Youtube, sondern längst auch Preissuchmaschinen und Online-Shops. Das macht es für Unternehmen nicht gerade leicht, den Überblick zu behalten; vor allem dann nicht, wenn die Chefetage wünscht, kritische Fälle direkt anzugehen. Dazu gibt es derzeit nämlich noch keine Rundumlösung. Oftmals endet der Ansatz beim reinen Monitoring. Doch die Entwickler arbeiten an Programmen, die über diese grundlegende Funktion hinaus gehen.

Was soll der ganze Aufwand, mag sich so mancher jetzt fragen. Nun, innerhalb eines Unternehmens hat das, wie in der Öffentlichkeit über die Marke gesprochen wird, einen hohen Stellenwert. Zum einen will man seinen eigene Online-Reputation messen und verbessern, auch im Vergleich zur Konkurrenz. Zum anderen dient Social CRM der Kundenbindung, und zwar mit dem Ziel Kundenzufriedenheit. Spricht die Zielgruppe positiv über die Marke, hat dies wiederum positive Auswirkungen auf die Online-Reputation.

Sind wir mal ehrlich: Haben wir uns ein Produkt von Firma X gekauft und ein Problem damit beziehungsweise hierzu eine Frage, dann sind wir doch positiv überrascht, wenn sich plötzlich das Unternehmen persönlich an uns wendet (Issue Management). Kundenservice im World Wide Web ist an sich eine gute Sache, löst jedoch die klassische Support-Hotline nur bedingt ab. Bei erklärungsbedürftigen Produkten lassen sich Probleme letztlich meist nur im direkten Gespräch klären. Das sollte jeder im Hinterkopf behalten.

Für Unternehmen ist es zudem sehr leicht, sich ein Bild von dem Kunden zu machen, je nachdem wie akribisch er sein eigenes Social-Media-Profil pflegt, wie zugänglich er es für Dritte macht und ob er es mit anderen Accounts vernetzt. Ein Facebook- oder Twitter-Administrator kann zudem mithilfe direkt angeschlossener Analyse-Tools eine Demografie erstellen, die seinem Reporting, der internen Kommunikation dient. Je weniger man von sich preisgibt, umso unbedenklicher ist dieser Prozess. Vielen scheint es jedoch immer noch nicht bewusst, was Unternehmen so alles an Daten filtern. Oder ist es manchem schlicht egal?

Selbst wer sich für einen Newsletter anmeldet, gibt interessante Informationen zu seiner Person Preis. Zwar sollen laut einer Veritas-Studie lediglich ein Siebtel aller gespeicherten Daten für Unternehmen verwertbar sein, doch E-Mail-Marketing ist nach wie vor eine ganz große Nummer. Es existieren zahlreiche Anbieter, die Programme anbieten, mit denen man genau tracken kann, wer den Newsletter wann und wo geöffnet hat. Mittels Clever Reach etwa sehen Unternehmen, wie erfolgreich eine Aktion oder Kampagne gelaufen ist. Es lässt sich nachvollziehen, inwieweit Kunden zur Website gesprungen und inwiefern Umsätze erwirtschaftet worden sind. Von Relevanz sind die Daten, um so viel wie möglich Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu erreichen.

Wir sind längst im Post-Orwell-Zeitalter angelangt, scheinen alles zu wissen, was mit unseren Daten geschieht. Erfreut sind wir jedoch nicht. Andererseits: Unser Kaufverhalten scheint ungebremst. Gemäß der Geiz-ist-geil-Mentalität warten etliche User auf Verkaufsaktionen, auf Sonderangebote und Gewinnspiele. Nur einige wenige sind ernsthaft an Firmen interessiert. Die Firmen wiederum sind nicht minder gierig, wollen in erster Linie ihr Produkt an den Mann und an die Frau bringen. Und läuft es mal nicht so rund, sinkt der Umsatz, dann macht sich in den Vertriebsabteilungen schnell Unruhe breit.

In diesem Kontext kommt einem schnell das Sammeln von Payback-Punkten in den Sinn. Ist man Besitzer einer solchen Karte, tritt der ganze Vermarktungswahnsinn in voller Wucht zutage. Zwei-, Dreimal ein und dasselbe Produkt gekauft und schon erhält man einen Aktionscoupon für den nächsten Einkauf. Kaum ein anderer Prozess bildet den Lifetime Value Index so ab, sprich Firmen setzen alles daran, dass man sich ja nicht für ein Konkurrenzprodukt entscheidet, sondern treuer Kunde bleibt. Schließlich ist man meist ohnehin dazu bereit, erneut zum selben Produkt zu greifen (Sozialisation) oder von einem bekannten Anbieter ein weiteres Produkt zu kaufen (Penetration).

Was bleibt, ist das Gefühl zu haben, unnötig Papiermüll zu produzieren

Im Fall von Payback scheint das Ganze ziemlich übertrieben. Fast täglich landen E-Mails im Posteingang, und obwohl man E-Coupons individuell innerhalb des Portals aktivieren kann, bekommt man zusätzlich regelmäßig Post mit weiteren Coupons. Das Einzige, was einem dann oft bleibt, ist nichts anderes als das Gefühl zu haben, unnötig Papiermüll zu produzieren. Ist das im Interesse des Erfinders? Man kann eigentlich nur den Kopf schütteln. Da gehen Firmen, die auf eigene Kundenkarten setzen, wesentlich bedachter vor. Und als Kunde fühlt man sich nicht nur wesentlich wohler dabei, sondern auch richtig ernst genommen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Unternehmen heutzutage unter einem immensen Druck stehen. Zum einen liegt dies an den eigenen Gewinnerwartungen, zum anderen an der gewachsenen Macht der User. Gute Beziehungen zum Kunden sind daher umso wichtiger denn je, zumal sich der Einzelne in der Onlinewelt richtig austoben kann, sofern ihm danach zumute ist. Nicht selten kommt es vor, dass entrüstete Kunden ihren Unmut innerhalb diverser Kanäle äußern - für das betroffene Unternehmen ein eindeutiges Signal: Hier will jemand, dass man auf ihn aufmerksam wird. Ob in diesem eher kritischen Stadium Hilfe gewünscht ist, muss man herausfinden. Sicher ist auf jeden Fall: Je früher, desto besser. Und Nutzen kann das Unternehmen vielleicht auch daraus ziehen, zum Beispiel wenn das Produktmanagement Rückschlüsse aus der Angelegenheit ziehen kann.

Auf personenbezogene Daten darf ein Unternehmen übrigens nur dann zugreifen, wenn der Kunde explizit zugestimmt hat (Opt-In-Prozess). Diesem Schritt folgt der wichtigste: Es gilt, alle Daten korrekt zusammenzuführen, und zwar in einem zentral gespeicherten Kundenprofil, das permanent abgeglichen, also auf den aktuellen Stand gebracht wird. Selbst die Maschinerie Payback könnte von einem derart bedachten Vorgehen profitieren - frei nach der Devise: Weniger ist mehr. Alles andere ist im wahrsten Sinn des Wortes Big Data, ein aufgeblähter Korb voller unflüssiger Informationen, sprich: das Gegenteil von Right Data, dem tatsächlich angemessenen Informationsumfang - letztlich auch im Interesse eines jeden Kunden.