"Moskauer Wirtschaftsforum" nimmt russische Regierung in die Mangel

Statt Banken zu retten, müssten Zinsen gesenkt und die heimischen Produzenten unterstützt werden, forderten die Teilnehmer des "Moscow Economic Forum"

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Wie groß die Nachfrage nach alternativen Antworten auf die derzeitige Wirtschaftskrise ist, zeigte die Zahl der Teilnehmer am Moskauer Wirtschafts-Forum, welches Mitte letzter Woche in der Moskauer Lomonossow-Universität stattfand. 2.000 Besucher wurden gezählt. Auf einigen Plenar-Veranstaltungen gab es keine Sitzplätze mehr. In den pompösen Hallen eines neuen Flügels der berühmten Universität drängten sich Wissenschaftler, Unternehmer, Politiker und Studenten.

Von Referenten und Diskutanten wurde teilweise recht scharfe Kritik an der herrschenden Klasse geübt. Diese lebe "vom Volk getrennt", die Entscheidungen dieser Oberschicht zu beeinflussen oder aus den unteren Klassen in diese Oberschicht aufzusteigen sei "faktisch unmöglich". Es sei eine "feudale Herrschaft" entstanden.

Derartige Worte hörte man zuletzt auf den Anti-Putin-Demonstrationen im Winter 2011/12. Doch am Donnerstag vergangener Woche waren sie auf dem "Moskauer Wirtschaftsforum" (Moscow Economic Forum, MEF) in der Arbeitsgruppe "Dritte politische Kraft" zu hören. Niemand widersprach.

Moskauer Wirtschaftsforum. Bild: U. Heyden

Harte Kritik an der Regierung war auch auf den Plenarveranstaltungen zu hören. Doch Niemand wurde verhaftet. Die Polizei war nicht zu sehen. Der Grund? Die Kritik kam diesmal nicht von liberalen Kritikern, die planen, Putin zu stürzen, sondern von linken Wirtschaftswissenschaftlern und Unternehmern, welche von der russischen Regierung mehr Patriotismus in der Wirtschaftspolitik fordern.

Zwei Kapitalfraktionen

Gesponsert wurde das Forum von Konstantin Babkin. Seiner Firma "Nowoje Sodruschestwo" gehört das traditionsreiche, in Rostow am Don angesiedelte Mähdrescher-Werk Rostselmasch. Als Unternehmer und Politiker ist Babkin an der Stärkung des russischen Binnenmarktes interessiert. Er unterscheidet sich damit von vielen anderen Unternehmern und Oligarchen, welche in den letzten fünfzehn Jahren durch den Rohstoffexport reich geworden sind. Viele von ihnen hoffen sehnlichst auf eine Wiederannäherung zwischen Moskau und Brüssel und eine Aufhebung der Sanktionen. Babkin dagegen setzt vor allem auf den Schutz und die Stärkung des russischen Binnenmarktes.

Die Erlöse aus dem Rohstoff-Verkäufen der letzten 15 Jahre seien nicht in den Aufbau einer eigenen nicht-rohstofforientierten Industrie verwendet worden, kritisierten die Diskussions-Teilnehmer auf dem MEF. Eine Wirtschaftskatastrophe könne nur abgewendet werden, wenn die Zentralbank sofort den Leitzins - von zurzeit 11 Prozent - senke und die heimischen Produzenten mit Krediten unterstütze.

Moskauer Wirtschaftsforum. Bild: U. Heyden

Die stellvertretende Vorsitzende des Duma-Komitees für Haushalt und Steuern, Oksana Dmitrijewa, forderte von Regierung und Zentralbank eine 180-Grad-Wendung. "Wir brauchen einen billigen Rubel und einen Leitzins von fünf bis sechs Prozent." Der Staat selbst müsse wieder als Investor auftreten, anstatt den "virtuellen Sektor" - gemeint waren die Banken - aufzublähen.

Der linke Wirtschaftsexperte Sergej Glasew, der zu den Wirtschaftsberaten von Wladimir Putin gehört, meinte, die jetzige Krise sei ähnlich der Krise 1998, als es eine hohe Inflation und einen starken Rubel-Verfall gab. Damals sei die Krise von Ministerpräsident Jewgeni Primakow sowie Industrieminister und KPRF-Mitglied Juri Masljukow gelöst worden. Die Leitzinsen seien damals nicht erhöht, die Vergabe von Krediten nicht begrenzt und die Versuche von Wirtschaftsmonopolen, die Preise zu erhöhen, verhindert worden. Diese Politik könne auch heute zum Erfolg führen.

Dass es falsch ist, wenn die EU Russland seine Modelle aufzwinge, konnte man von einem prominenten Gast hören, der aus Frankreich angereist war. Der frühere IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn erklärte, die Europäer hätten versucht, in anderen Ländern marktorientierte Mechanismen zu installieren. Aber diese Standart-Methoden hätten sich in einigen Ländern als ineffektiv erwiesen. Russland müsse "eine eigene Business-Strategie finden."