"Bleiben Sie ARD-aktuell gewogen"

Zwei ehemalige NDR-Mitarbeiter zu ihren Programmbeschwerden bei den Öffentlich-Rechtlichen, die Partei ergreifen und Objektivität hintanstellen

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Regierungsfromm, tendenziös, defizitär, agitatorisch, propagandistisch und desinformativ: Die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam kommen im Telepolis-Interview zu einem vernichtenden Urteil, was die Fernsehberichterstattung angeht. Von einigen Lichtblicken einmal abgesehen, attestieren Klinkhammer und Bräutigam den Öffentlich-Rechtlichen eine schwere Schlagseite im Hinblick auf den Informationsauftrag, der den Sendern zukommt.

Zusammen haben die beiden über 100 Programmbeschwerden in den letzten 2 Jahren eingereicht. Im Interview mit Telepolis verdeutlichen sie, dass sich der Qualitätsverlust in der Berichterstattung an der in den Nachrichten verwendeten Sprache ablesen lässt: Wenn etwa von "gemäßigten Rebellen", von "regierungstreuen Kämpfern" oder von der "internationalen Gemeinschaft" die Rede ist, erkennen Klinkhammer (32 Jahre beim NDR) und Bräutigam (21 Jahre beim NDR) einen Journalismus, der Partei ergreift und Objektivität hinten anstellt.

Herr Klinkhammer, Herr Bräutigam, Sie haben zusammen rund 100 Beschwerden bei den Öffentlich-Rechtlichen eingereicht. Warum?

Friedhelm Klinkhammer: Als die Tagesschau erstmals über den Maidan berichtete, war ich schockiert über die einseitigen Darstellungen. Zunächst hatte ich versucht - zum Beispiel nach dem Pogrom in Odessa ,- der Redaktion unmittelbar darzulegen, inwiefern ihre Berichterstattung falsch und verzerrend war und welche wesentliche Punkte ausgelassen wurden. Ich habe aber an den Reaktionen gemerkt, dass meinen Adressaten die Ernsthaftigkeit fehlte, befriedigend zu antworten. Sie lieferten Textbausteine mit lauen Dankesformeln und dem Wunsch, ich möge ARD-aktuell gewogen bleiben.

Diese Ignoranz setzte sich dann fort, selbst nachdem der ARD Programmbeirat die Ukraine-Berichterstattung massiv kritisiert hatte. Ein Verzicht auf die verfälschende und betont russophobe Tendenz blieb aus. Irgendwann habe ich mich an den NDR-Staatsvertrag erinnert und meine Beschwerden formalisiert, um sozusagen öffentliche Stellungnahmen des NDR zu erhalten.

Wie war es bei Ihnen, Herr Bräutigam?

Volker Bräutigam: Bei mir war es eine Meldung aus der Ostukraine, die mein Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Welche denn?

Volker Bräutigam: Eine Gruppe von NATO-Offizieren, angeführt von einem Oberstleutnant der Bundeswehr, war von angeblich "prorussischen" Autonomisten festgenommen worden. Vollkommen unkritisch übernahm die Tagesschau die Sprachregelung aus Berlin und verkündete, die 13 Militärs seien "OSZE-Militärbeobachter" gewesen. Das waren sie nicht, wie die OSZE sogleich klarstellte. Die Männer waren nicht in Uniform, regelwidrig bewaffnet, ersichtlich auf einem Spionagetrip, ihre Tätigkeit ein Bruch zahlreicher Völkerrechts- und Vertragsnormen. Ein Skandal, der aber nicht als Schandtat der Verantwortlichen in Berlin, Washington und Brüssel vermittelt, sondern als Unrechtshandlung der Autonomisten dargestellt wurde. Es war sogar von Geiselnahme die Rede.

Und dann haben Sie sich beschwert?

Volker Bräutigam: Ich habe gegen eine über viele Tage hinweg fortgesetzte Falschberichterstattung protestiert und mich dabei auf die Bestimmungen des NDR-Staatsvertrags berufen. Diese Beschwerdeform war neu. Sie fand auch deshalb große Aufmerksamkeit, weil ich, ihr Verfasser, früher selbst einmal Redakteur in der Tagesschau war.

Ihre Beschwerde wurde aber zurückgewiesen.

Volker Bräutigam: Meinen wiederholten und genau begründeten Beschwerden widersprach Chefredakteur Gniffke [Anmerkung: gemeint ist Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell] mit teils unzutreffenden, teils verschleiernden Behauptungen; es war ihm keine Erklärung haarspalterisch und verlogen genug: Die Gruppe von Offizieren sei auf Grundlage des "Wiener Dokuments der OSZE" tätig gewesen, die Wortwahl "OSZE-Militärbeobachter" sei zulässig, die sei von anderen wichtigen Medien ebenfalls so getroffen worden. Rabulistik der Sonderklasse, Gniffke leugnete einfach, dass die Tagesschau entgegen ihres Programmauftrags berichtet hatte.

Wie haben Sie reagiert?

Volker Bräutigam: Ich habe seine Erklärungen damals ziemlich fassungslos an den NDR-Rundfunkrat zurückgeschickt und um dessen Prüfung des Falles gebeten. Zu meiner Empörung dauerte es acht Monate, bis ich von dem Gremium die Antwort erhielt, meine Beschwerde sei sorgfältig geprüft worden, aber einen Verstoß gegen die Staatsvertragsregeln habe man nicht feststellen können. Die Begründung verdiente den Namen nicht.

Seit Mitte der 1980er lieferten Nachrichtensendungen zusehends mehr Infotainment

Bevor wir näher auf Ihre Kritik an den Medien eingehen, die Frage: Welche biographischen Hintergründe haben Sie?

Volker Bräutigam: Ich habe 35 Berufsjahre in Medienunternehmen verbracht, zehn davon, 1975 bis 1985, in der Tagesschau in Hamburg, insgesamt beim NDR 21 Jahre. 1996 war für mich Schluss. Ich konnte nicht mehr und wollte nicht mehr die von mir erwartete Art von Journalismus betreiben. Dann habe ich einen Lehrauftrag am Übersetzungswissenschaftlichen Institut der Fu-Jen-Universität in Taiwan angenommen und bin seit nunmehr 15 Jahren Rentner. Vor allem ein freier Schreiber. Und zwar einer, der am qualitativen Niedergang der Tagesschau leidet, für die er einst jahrelang sehr gerne gearbeitet hat.

Friedhelm Klinkhammer: Ich bin Jurist, habe 32 Jahre beim NDR gearbeitet. Ich war mit Unterbrechung fast 25 Jahre Mitglied in den Arbeitnehmergremien, Gesamtpersonalratsvorsitzender und über zehn Jahre Chef der größten Gewerkschaft im NDR, der IG Medien, später Ver.di.

Wie ist denn Ihr Eindruck von dem Sender? Oder anders gefragt: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Volker Bräutigam: Ich nenne zwei für mich wesentliche Erfahrungen. 1979 wurde die etwas "angejahrt" wirkende Tagesschau reformiert. In der runderneuerten Hauptabteilung "ARD-aktuell" erschienen die Tagesschau und neu die moderierte Nachrichtensendung Tagesthemen. Der Journalist Dieter Gütt wurde Chefredakteur, und ich erlebte ihn und meine unmittelbar vorgesetzten Dienstleiter als um seriöse Arbeit, um guten Journalismus bemühte Männer. Es herrschte ein sachliches, sehr kollegiales Klima. In den Konferenzen wurde ergiebig diskutiert.

Die glücklichste Zeit meines Berufslebens war von 1979 bis 1982. Danach, dem parteipolitischen Trend in den Bundesländern folgend, wurde Edmund Gruber Chefredakteur, ein CSU-Parteimann. Von da an folgte eine innerredaktionelle Schräglage der anderen. Ich verlor jede Hoffnung auf ein halbwegs konfliktfreies sauberes Arbeiten.

Der andere Eindruck: Bis 1984 hatte es in der BRD nur öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegeben. Er war fraglos staatstragend, dennoch wirkte er als Korrektiv des Politikbetriebs. Es gab kritische Sendungen, und so manche davon beendete sogar politische Karrieren. Dann kam, kurz nach Beginn der Kanzlerschaft Helmut Kohls, die völlige Veränderung der Rundfunklandschaft. Der Kommerzfunk wurde zugelassen. Von da an ging es nicht mehr um höchste Qualität nach fachlichen Maßstäben, sondern um Marktanteile, um Quoten. Statt, wie vordem, höchstens vier Spielfilmangebote pro Woche gab es plötzlich pro Tag mindestens vier oder fünf. Und die Nachrichtensendungen lieferten zusehends mehr Infotainment - also eher Show als Information.

Was sind Ihre Erfahrungen, Herr Klinkhammer?

Friedhelm Klinkhammer: Ich habe gern im NDR gearbeitet: Es herrschte viel Kollegialität, Solidarität und Verständnis untereinander. Die sozialen Bedingungen haben sich sukzessive verschlechtert, aber das war ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der auch im NDR trotz ständiger gewerkschaftlicher Gegenwehr nicht zu stoppen war. Wenig erfreulich und hausgemacht waren die negativen Entwicklungen im Programm. So wurden z.B. weitgehende "Privatisierungen" von Programmteilen veranlasst. Irrsinnigerweise wurden die Talk-Shows sogar für Millionen-Summen an Drittfirmen ausgelagert, obwohl jeder weiß, dass das Talk-Format zu den preisgünstigsten TV-Produktionen zählt.

Der Betrieb wurde auf die "aktuelle Berichterstattung" zurechtgestutzt. Eigene Ressourcen wie unabhängige Fachredaktionen und produktionstechnisches Know-how wurden aufgegeben und außerbetriebliche Abhängigkeiten geschaffen. Parallel dazu wurden unbefristete Arbeitsverhältnisse abgebaut und zeitvertragsgebundene Arbeitnehmer eingestellt. Die Folge: Die materielle Abhängigkeit ging zu Lasten der Unabhängigkeit der Programme. Wer die Erwartungen der Auftraggeber kritiklos und ohne Murren erfüllt, hat die besseren Chancen auf Vertragsfortsetzung. Vom NDR wird das begründet mit der "Vielfalt und dem Abwechslungsbedürfnis" im Programm. Als ob das nicht in eigener Kompetenz sicherzustellen wäre.

Wie würden Sie die Berichterstattung in den vergangenen Jahren charakterisieren?

Friedhelm Klinkhammer: Es gibt nach wie vor sehr gute Beiträge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, leider nur häufig zur Nachtzeit oder in den "Neben"-Sendern Arte oder "3sat".

Das ist doch schon mal was.

Friedhelm Klinkhammer: Nein, ist es nicht. Diese Beiträge dienen den ARD-Hierarchen als Alibi für ansonsten häufig kritikwürdigen Journalismus. Die überregionale aktuelle Berichterstattung orientiert sich fast ausnahmslos am Informationsniveau der privaten meinungsführenden Medien (Zeit, Welt, Spiegel etc.) nach dem Motto: Was und wie andere berichten, ist auch für uns das Maß der Dinge (übrigens eine häufige Argumentation bei den Programmbeschwerden). Informationen werden kaum geprüft und oft nur durchgereicht, das PR-Interesse der Informanten schlicht ignoriert.

Gegenüber der Politik ist man in aller Regel handzahm und unkritisch, die außenpolitische Berichterstattung orientiert sich ausschließlich an den Bekundungen und Bedürfnissen der "westlichen Wertegemeinschaft". Events und Unglücksmeldungen bekommen unangemessen hohe Programmbedeutung, die gesellschaftliche Relevanz bleibt unbeachtet.