Barzani plant Referendum für einen unabhängigen kurdischen Staat

Sulaimaniyya, Universitätsstadt süd-östlich der Hauptstadt Erbil. Bild: Thomas Brechmann/CC BY 2.0

Dabei grenzt er sich von den Grundideen der neu gegründeten Demokratischen Föderation in Nordsyrien und Rojava ab

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Die Zeiten stehen schlecht in der irakischen kurdischen Autonomieregion. Korruption, Missmanagement und interne Machtkämpfe destabilisieren die Region zunehmend. Die Kritik an der KDP, der Partei Masud Barzanis, wird in der zunehmend verarmenden kurdischen Bevölkerung lauter. Kritiker halten Barzani vor, er würde die Unabhängigkeitskarte nur spielen, um von der Finanz- und Wirtschaftskrise und der Kritik an seiner Politik abzulenken und um seine eigene Position zu festigen.

Barzani weist dies in einem Interview von sich. Nach vielen Jahren bitterer Erfahrungen sei er zu dem Entschluss gekommen, dass die Unabhängigkeit der einzige Weg sei. Die Beziehungen zu Bagdad seien schlecht, die Massaker in der Geschichte nicht vergessen.

Bis zur Gründung der Autonomieregion 2003 seien 2.500 Dörfer zerstört, 182.000 Menschen umgekommen, allein 8.000 Mitglieder seines Clans seien getötet worden, 5.000 Menschen starben beim Giftgasangriff Saddam Husseins in Halabja. Artikel 140 der irakischen Verfassung sah ein Referendum über die umstrittenen Gebiete Sindjar und Kirkuk vor. Dies sei von der irakischen Zentralregierung jedoch nie umgesetzt worden.

Die Hoffnungen, in einem neuen, demokratischen Irak eine florierende Autonomieregion aufzubauen, seien mit einem Federstrich von Iraks Premierminister zunichte gemacht worden, indem das Budget für die kurdische Region eingefroren worden sei. Von daher sehe er nur zwei Optionen:Eentweder eine bestimmte Idee des Föderalismus aufzugeben und zu einer weiteren Provinz Iraks zu werden, was aber mit der Aufgabe der kurdischen Rechte einhergehen würde. Oder ein Referendum abzuhalten, die Bevölkerung danach zu fragen, was sie will - am besten noch in diesem Jahr, möglichst noch vor Oktober, vor den US-Wahlen im November. Die irakische Regierung warnte jüngst die Regierung Barzanis: "Macht das nicht! Ihr seid ohne uns nicht überlebensfähig."

Hoffnung auf westliche Unterstützung

Barzani setzt indes auf die Unterstützung Erdogans und der türkischen Regierung. Im Interview lobt er ihn:

Als Erdogan Premierminister war, war er es, der nach Erbil kam und dort sagte, dass die Zeit, als man Kurden ihre Rechte verweigerte, vorbei ist. Ich habe ihn mehrmals getroffen und erkannt, dass er ein besseres Verständnis der kurdischen Sache hat als die meisten.

Der türkischen Oppositionspartei HDP, die sich u.a. für die Rechte der Kurden einsetzt, wirft er vor, im Juni 2015, als sie bei den Wahlen 80 Sitze im Parlament errang, keine Koalition mit der AKP Erdogans eingegangen zu sein. Barzani befürchtet, dass die türkische Bevölkerung bei all den Bombardements und Terrorakten in den türkischen Städten am Ende alle Kurden verantwortlich macht und sich daraus ein ethnischer Konflikt zwischen Kurden und Türken - über die Grenzen hinaus - entwickeln könnte.

Die HDP hätte aber solch eine Koalition niemals eingehen können, weil dies auch nicht von der AKP gewünscht war, denn diese hatte sich schon längst vom Friedensprozess mit der PKK verabschiedet. Über solche Realitäten geht Barzani einfach hinweg.

Tatsächlich scheint Barzani mit seinem konservativ-autoritärem Führungsstil Erdogan politisch näher zu stehen als der demokratischen HDP oder der Demokratischen Föderation in Nordsyrien und Rojava. Er regiert seine Autonomieregion ebenfalls mit harter Hand. Die Opposition wird mit repressiven Mitteln bekämpft. Es wird über Folter und Verfolgung von Regimekritikern berichtet. Die anderen kurdischen Parteien im Parlament, PUK und GORAN, sehen sich zunehmender Repression ausgesetzt. Barzani macht im Interview deutlich, wie er sich die Unabhängigkeit vorstellt:

Jeder, der Teil davon sein möchte, ist herzlich willkommen, und jeder, der weiterhin dagegen steht, soll gehen und seinen eigenen Weg finden.

Auch die PKK, die in der Autonomieregion ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen hat, würde er am liebsten loswerden. Darin stimmen Erdogan und er überein. Aus diesem Grund lässt er auch die türkischen Militärs bei der Bombardierung der Kandil-Berge mit Kampfjets gewähren - obwohl dies ein klarer Verstoß gegen die territorialen Grenzen des Irak ist.

Noch immer sitzt die Schlappe tief, dass die Peschmerga im Sindjar-Gebirge die Flucht vor dem IS ergriffen und den Genozid an den Eziden erst möglich machten. Dass die PKK und die syrische YPG/YPJ aus Rojava den Rettungskorridor für die Eziden frei kämpften, scheint für Barzani und die KDP schwer erträglich. Also wird dies unter den Teppich gekehrt.

Der Sohn von Massoud Barzani, Geheimdienstchef der Autonomen Region Kurdistan, fordert dann auch logischerweise den Abzug der PKK aus Sindjar - gegen den Willen der Eziden, die die PKK als ihre eigentlichen Retter betrachten und sich unter ihren Schutz stellten, bzw. eigene ezidische Verteidigungseinheiten (YBS) nach dem Vorbild der YPG/YPJ und HPG aufbauten.