Tragödie vom 2. Mai 2014 in Odessa weiter unaufgeklärt

5 Jahre Einreiseverbot in die Ukraine. Bild: U. Heyden

Trotz martialischem Aufmarsch der Sicherheitskräfte: 2.000 Bürger der Stadt trauten sich in Sichtweite des Gewerkschaftshauses Blumen niederzulegen. Zwei deutsche Journalisten wurden aus der Ukraine deportiert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.
Obwohl die Geschehnisse bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Stadt und vor dem Gewerkschaftsgebäude auch gut durch Videos und Fotos dokumentiert sind, waren und sind die Behörden unfähig oder unwillens, für Aufklärung zu sorgen.

Dieses Jahr war die Trauerkundgebung vor dem Gewerkschaftshaus auffallend gut besucht (Video). Mindestens 2.000 Menschen legten am Rand des Kulikow-Platzes, in Sichtweite des am 2. Mai 2014 ausgebrannten Gewerkschaftshauses, Blumen nieder, in Gedenken an die 42 Menschen, die damals aus Angst vor einem rechtsradikalen Mob in das Gewerkschaftshaus flüchteten, wo sie nach Angriffen der Rechten mit Molotow-Cocktails und Knüppeln an einer Rauchvergiftung starben, verbrannten, bei einem Sprung aus dem brennenden Gebäudes umkamen oder totgeprügelt wurden.

Die großen deutschsprachigen Medien taten so, als ob es in Odessa am 2. Mai absolut nichts zu berichten gibt. Eine Ausnahme machte die konservative Tageszeitung Die Presse aus Wien. Sie brachte einen Bericht, in dem kritisch angemerkt wurde, dass es bei den ukrainischen Behörden keinen Willen gebe, die Tragödie vom 2. Mai 2014 aufzuklären. Die immense Bedeutung des Brandes im Gewerkschaftshaus für russischsprachige Staaten und Communities wird immerhin angedeutet.

Die Berliner tazzitiert einen Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, der meint, es seien dieses Jahr weniger Menschen zur Trauerkundgebung gekommen als im Vorjahr. Doch das angesehene oppositionelle Internetjournal Timer aus Odessa hatte eine eigene Drohne im Einsatz und genau nachgezählt. Timer-Chefredakteur Juri Tkatschew erklärte, an der viele Stunden dauernden Veranstaltung hätten sich mindestens 2.000 Menschen beteiligt.

"Wann waren Sie zuletzt in der Ukraine?"

Die ukrainische Regierung hatte für den zweiten Jahrestag des Brandes zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Drei Journalisten aus der EU, die über die Trauerkundgebung am 2. Mai aus Odessa berichten wollten, wurden von Grenzschützern abgewiesen. Drei Fälle sind bisher bekannt.

Saadi Isakow erhielt 5 Jahre Einreiseverbot in den Pass gestempelt. Bild: U. Heyden
Vier Nachtstunden allein in der Transitzone des Flughafens Odessa mit ein paar wächtern. Bild: U. Heyden
  • Tomasz Maciejczuk, Journalist aus Polen, bekam von ukrainischen Grenzbeamten am 29. April am polnisch-ukrainischen Grenzkontrollpunkt Dorogusk-Jagodin einen roten Stempel in den Pass. Der Stempel sagt aus, dass Maciejcezuk fünf Jahre lang nicht in die Ukraine einreisen darf. Der Journalist erinnert sich, dass er dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin, während dessen Besuches in Amsterdam im Februar 2016, eine "Frage zu den nazistischen Formationen im Land" gestellt hatte.
  • Saadi Isakow, Journalist und Schriftsteller aus Berlin, bekam am 30. April im Flughafen von Odessa den roten Stempel mit dem fünfjährigen Aufenthaltsverbot in seinen deutschen Pass. Nach stundenlangem Warten in der Transitzone wurde Isakow abgeschoben. Der Journalist hatte für die Zeitung Europa Express ein großes Interview mit Oleg Musyka geführt. Der Russland-freundliche Aktivist, welcher den Brand im Gewerkschaftshaus überlebte, lebt jetzt als Politemigrant in Berlin.
  • Dem Autor dieser Zeilen, der am 30. April kurz vor Mitternacht mit einem Flugzeug aus Prag in Odessa ankam, erklärten ukrainische Grenzbeamte auf dem Flughafen der Hafenstadt, es gäbe eine Anordnung des ukrainischen Geheimdienstes SBU, ihn nicht einreisen zu lassen. Sie fragten, wann er zuletzt in der Ukraine war, wo er wohne, welche Tätigkeit er ausübe und ob er noch ein weiteres Ausweisdokument dabei habe. Nach sieben Stunden Wartezeit in der Transitzone wurde der Autor mit einem Flugzeug der Czech-Airlines nach Prag deportiert. Seinen von den Grenzern eingezogenen deutschen Pass (mit dem roten Stempel, der ein fünfjähriges Einreiseverbot in die Ukraine bestätigt) bekam er erst wieder, als er schon an der Treppe zum Flugzeug stand, das ihn nach Prag zurück bringen sollte. Der Abgeschobene ist Co-Regisseur des Films "Lauffeuer", der die Hintergründe der Brandangriffe auf das Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai 2014 ausleuchtet und auf zahlreichen Diskussions-Veranstaltungen in Deutschland gezeigt wurde.

Wie die Vorsitzende der regierungskritischen Organisation "Mütter von Odessa", Viktoria Machulkova, gegenüber Telepolis erklärte, habe die Organisation 22 ausländische Journalisten eingeladen an der Gedenkveranstaltung für die Toten vom 2. Mai 2014 teilzunehmen, aber nur ein Drittel der Eingeladenen hätten es bis nach Odessa geschafft.

Nicht nur ausländische Journalisten waren von Repressalien betroffen. Auch der am 2. Mai aus Kiew kommende Fraktionsvorsitzende des ukrainischen "Oppositionsblockes", Juri Boiko, wurde daran gehindert, die Trauerkundgebung zu besuchen. Der Grund: Mitglieder des Rechten Sektors hatten den Flughafen von Odessa am 2. Mai blockiert . Konfrontiert mit den gewaltbereiten Blockierern entschied sich Boiko, wieder nach Kiew zurückzufliegen.