Griechenland: Sprengsatz im Kürzungsautomatismus

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die Eurogruppe fordert weitere Maßnahmen, Tsipras wettet auf Aufschwung - Was, wenn es nicht klappt?

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Bei der außerordentlichen Sitzung der Eurogruppe am Montag konnte Griechenland mit einem Rückzieher bei den geforderten zusätzlichen Maßnahmen zumindest erreichen, dass die Frage der Tragfähigkeit der Schulden beim nächsten regulären Treffen, am 24. Mai, endlich diskutiert wird.

Die Eurogruppe begrüßte ausdrücklich, dass Athen die Rentenreform mit Rentenkürzungen, die Steuerreform für erhöhte Einkommenssteuern, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Gehaltskürzungen für die Beamten, weitere Privatisierungen und den Verkauf von nicht mehr korrekt bedienten griechischen Immobilien-, Konsumenten- und Geschäftskrediten an Hedge Fonds beschlossen hat. Allerdings fordert die Eurogruppe nun weitere Maßnahmen.

Finanzminister Euklidis Tsakalotos gab sich zuversichtlich, dass nun endlich die lange erwartete Kredittranche frei gegeben wird und das buchstäbliche Austrocknen der griechischen Wirtschaft ein Ende hat. Die Börse reagierte auf die Nachrichten über die Eurogruppe mit einem Anstieg von 3,15 Prozent, dem höchsten Wert im laufenden Jahr.

Sparpolitik und Selbstbetrug

Mit seinen 153 Abgeordneten hatte Premierminister Alexis Tsipras am Sonntag sein Austeritätspaket durch das Parlament gebracht. Vorher hatte er in seiner Abschlussrede referiert, dass er keineswegs, wie ihm die gesamte Opposition vorwirft, ein Lügner sei. Zum Bruch sämtlicher Versprechen des Januars 2015 bemerkte er "man kann uns nicht vorwerfen, dass wir Lügner sind".

Dafür, dass es trotzdem mit dem Ende der wirtschaftlich tödlichen Sparpolitik nicht klappte, hatte er eine andere Erklärung. Tsipras sprach davon, hinsichtlich der Haltung der Europäer unter Selbstbetrug gelitten zu haben. "Werft uns Selbstbetrug, nicht Lügen vor" lautet das Fazit.

Interessant ist, dass das griechische Finanzministerium in Person des Ministers Euklidis Tsakalotos seinem niederländischen Amtskollegen und Eurogruppen-Vorsitzenden Jeroen Dijsselbloem ausdrücklich für dessen Vermittlungstätigkeit dankte.

Am 30. Januar 2015 war der gleiche Dijsselbloem wutentbrannt aus dem Pressesaal des griechischen Finanzministeriums heraus gestürmt und hatte dem damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis bewusst den Handschlag verweigert. Die griechische Regierung feiert nun ebenso wie damals einen Triumph, so zumindest wird es offiziell vermittelt.

Explosionsartige Welle des ökonomischen Aufschwungs

Darüber, was es zu feiern gibt, scheiden sich jedoch die Geister. Für Alexis Tsipras ist vor allem die endlich beginnende Schuldendiskussion ein Sieg. Denn an dieser Frage hatte er seinen Schwenk von der Totalverweigerung gegen die diktierte Austerität festgemacht.

Glaubt man Premierminister Alexis Tsipras, so steht dem Land nun eine explosionsartige Welle des ökonomischen Aufschwungs bevor. Dafür rief er seine Minister bei einer außerordentlichen Kabinettssitzung zu intensiver Arbeit auf. Die ist auch nötig. Die zusätzlichen Maßnahmen, welche die Eurogruppe verlangt, sind nämlich nichts anderes als ein Kürzungsautomatismus.

Der Kürzungsmechanismus

Dieser ist durchaus heftig. Sollte er in Kraft treten, so wird jeden April entschieden, ob Griechenland hinsichtlich des Primärüberschusses seines Haushalts das Ziel erreicht hat. Ist dies nicht der Fall, so werden automatisch in allen Ressorts des Staats bis auf die Verteidigungsausgaben und das Arbeitslosengeld Kürzungen in Höhe der Verfehlung des Etatziels beschlossen.

Gegen die horizontal angesetzten Kürzungen können sich dann weder Parlament noch Regierung wehren. Sie werden per vertraglich zuzusicherndem Präsidialdekret gültig. Tsipras versicherte bei der Kabinettssitzung, dass der Kürzungsmechanismus garantiert nicht in Kraft treten würde, weil er einen Plan habe.

Die Regierung schweigt offenbar bewusst aus, von wo dieser Mechanismus gesteuert werden wird - aus Brüssel, und nicht aus Athen. Sie müsste sonst eventuell auch betonen, dass der Mechanismus, so er denn eintritt, natürlich auch Renten kürzen wird.

Ein Gesetzgebungsmechanismus ohne parlamentarische Kontrolle

Tsipras versucht den Ballast, den als "automatischer Ausgabenbeschneider" in die griechische Politik eingeführten Mechanismus, frech als eigene Idee zu verkaufen. Davon verspricht er sich eine höhere Akzeptanz durch die Bürger aber vor allem etwas Ruhe für die nächsten Monate.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Regierungssprecherin Olga Gerovassili ließ im wöchentlichen Briefing die Journalisten im Unklaren darüber, wer über die einzelnen Maßnahmen des Dämpfungsmechanismus für den Staatsetat zu entscheiden hat.

Einige Regierungsvertreter, wie Arbeits- und Sozialminister Giorgos Katrougalos, lügen gar, indem sie behaupten, dass es keineswegs Renten und Gehaltskürzungen durch den Mechanismus geben würde und dass für die Maßnahmen des Mechanismus auf jeden Fall das Parlament die Zustimmung geben müsse.

Allein die Tatsache, dass Katrougalos erneut die Bürger im Unklaren über ihr Schicksal lässt, zeigt, wie viel Sprengsatz im Mechanismus steckt. Fairerweise ist anzumerken, dass Katrougalos durchaus erwähnte, dass zu den im Mechanismus verankerten Maßnahmen auch Steuererhöhungen gehören.

Die Mehrwertsteuer - Markt und Konsum abwürgen

Dieser Fall könnte bereits 2017 eintreten. Denn für 2016 ist im dritten Sparmemorandum ein Primärplus im Haushalt von 0,5 Prozent festgeschrieben. Um dieses einzuhalten waren die am Sonntag abgesegneten Maßnahmen in ihrer budgetrelevanten Höhe unbedingt erforderlich.

Statt des Wegs der Kürzung staatlicher Ausgaben wählte die Regierung jedoch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, um so die fehlenden Beträge als Einnahmen zu generieren. Der Spitzensatz steigt nun von 23 Prozent auf 24 Prozent. Genau dieser Weg erwies sich in den vergangenen sechs Jahren jedoch als falsch, was auch die Regierung Tsipras erfahren musste.

Sie hatte die Mehrwertsteuer im Juli 2015 für zahlreiche Produkte erhöht und selbst Grundnahrungsmittel mit dem höchsten Mehrwertsteuersatz belegt, wodurch deren Satz von 13 auf 23 Prozent erhöht wurde. Erwartet wurden somit für 2015 laut korrigiertem Etatplan 14,4 Milliarden Euro Einnahmen aus der Mehrwertsteuer.

Tatsächlich erzielt wurden jedoch nur 13,6 Milliarden Euro. Von der Erhöhung hatte sich die Regierung 1,3 Milliarden Euro Mehreinnahmen versprochen. Real wurden es nur lächerliche 12 Millionen Euro.

Die Steuererhöhung hatte den Markt und den Konsum abgewürgt. Zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte wurden dadurch in den Ruin getrieben, was wiederum die Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer negativ beeinflusste.

Absolut die gleiche Erfahrung hatten alle Regierungen seit 2010 machen müssen, ob Finanzminister Giorgos Papakonstantinou, Evangelos Venizelos oder Yannis Stournaras. Alle räumten hinterher immer kleinlaut ein, dass die Erhöhung der indirekten Steuern über ein logisches Maß hinaus zu einem massiven Einbruch bei den Steuereinnahmen führt. Tsipras hingegen hofft, dass er diese Regel widerlegen kann.