Ist Radfahren bei hoher Luftverschmutzung in Städten gesundheitsgefährdend?

Bild: Raysonho/CC0

Britische Wissenschaftler versichern in einer Studie, dass selbst bei relativ hoher Feinstaubbelastung die gesundheitlichen Vorzüge überwiegen

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Die Frage muss erlaubt sein, ob häufiges Radfahren in der Stadt wegen der Feinstaubbelastung mehr schadet, als der Gesundheit nützt. Wer sich nicht ausreichend bewegt und sich sportlich betätigt, also auch tief Luft mit allen möglichen Schadstoffen einatmet, riskiert seine Gesundheit und wird kürzer leben, so heißt es überall. Und so joggen und fahren die Menschen, die gesünder oder länger leben wollen, denn auch eifrig in den Straßen und Parks der Städte. Der Großteil der Feinstaubbelastung kommt mittlerweile vom Verkehr.

Wer sich anstrengt, atmet tiefer und bringt so auch mehr Feinstaubpartikel tiefer in die Lunge. Von hier aus können die Partikel auch ins Blut und damit ins Herz gelangen. Sehr wahrscheinlich also, dass es in einer belasteten Luft letztlich gesünder wäre, langsam zu gehen oder Fahrzeuge zu benutzen, als sich körperlich zu verausgaben. Schließlich soll die Luftverschmutzung jährlich 7 Millionen von Menschen töten, in Deutschland fast 40.000, ebenso viel in Großbritannien.

Wissenschaftler der Universität Cambridge haben nun untersucht, ob Luftverschmutzung die gesundheitsfördernden Auswirkungen von Gehen oder Radfahren ins Negative wenden kann oder ob die gesundheitlichen Vorteile überwiegen. Der für Radfahrer erfreuliche, für Bewegungsgegner missliche Befund: In fast allen Städten überwiegen die gesundheitlichen Vorteile des Gehens und Radfahrens, was das Risiko für Krankheiten wie Diabetes, Herzerkrankungen oder manche Krebsarten senkt, die schädlichen Folgen der Luftverschmutzung. Nur in einem Prozent der nach der Ambient Air Pollution Database der WHO am stärksten belasteten Städte könnte der Schaden womöglich höher sein. Selbst in Städten wie Delhi mit einer PM2,5-Feinstaubbelastung von 153 μg/m3 müssten man mindestens eine Stunde Fahrradfahren, um den Wendepunkt zu erreichen, ab dem es nicht mehr der Gesundheit förderlich ist.

Die Wissenschaftler bestimmten die Luftverschmutzung anhand der PM2,5-Feinstaubkonzentration (PM2.5), was heißt, dass in der Luft 50% der Teilchen einen Durchmesser von 2,5 µm haben. Die Spannbreite reichte von 5 bis 200 μg/m3. Untersucht werden in Simulationen die Auswirkungen körperlicher Bewegung von unterschiedlicher Dauer in einem breiten Spektrum Feinstaubkonzentration in der Luft durch Abschätzung der inhalierten Dosis an Feinstaub. Ausgegangen wird von zwei Grenzwerten, einmal dem "Tipping Point", ab dem weitere Bewegung zu keinem gesundheitlichem Gewinn mehr führt, und schließlich den "Break-Even Point", ab dem die Risiken durch die Luftverschmutzung die gesundheitlichen Vorteile der Bewegung zu überwiegen beginnen. Berücksichtigt wurden nur die langfristigen Folgen regelmäßiger Aktivität unter konstanten Feinstaubkonzentrationen.

Um den "Tipping Point" zu erreichen, müsste täglich eine halbe Stunde mit dem Fahrrad bei der PM2,5-Konzentration von 95 μg/m3 gefahren werden. Eine solch hohe jährliche Konzentration weist weniger als 1 Prozent der Städte auf. Der "Break-Even Point" wäre erst mit 160 μg/m3 erreicht. Wird eine halbe Stunde gegangen, müsste für beide Schwellenwerte die Belastung über 200 μg/m3 betragen. Bei dem nach der WHO durchschnittlichen Wert von 22 μg/m3 würde der "Tipping Point" nach sieben Stunden Fahrradfahren und 16 Stunden Gehen täglich erreicht werden.

Bis zu einer Konzentration von 80 μg/m3, die man lediglich in 2 Prozent der Städte nach der WHO findet, würden die gesundheitlichen Vorzüge überwiegen, wenn man die Zeit für Autofahren vollständig mit Fahrradfahren ersetzt. Selbst in Städten oder Gebieten mit einer hohen Konzentration von 100 μg/m3 würden tägliches Fahrradfahren von 75 Minuten oder Gehen bis 10 Stunden und 30 Minuten zu einer Verringerung des Mortalitätsrisikos führen. Luftverschmutzung, so die Wissenschaftler, heben die gesundheitlichen Vorteile des Gehens und Fahrradfahrens praktisch nicht auf. Nur unüblich hohe körperliche Bewegung wie bei Fahrradkurieren könnten in "extrem belasteten Bedingungen" die gesundheitlichen Vorzüge zunichtemachen.

Es sei also praktisch für alle Städte richtig, die Menschen zum Gehen und Fahrradfahren aufzufordern. Das sei auch besser, als Zuhause herumzusitzen, da man der normalen Luftverschmutzung nicht entkommt. Die Wissenschaftler betonen, dass das Ergebnis der Studie nicht bedeuten könne, nichts mehr gegen die Feinstaubbelastung zu tun. James Woodcock, einer der Autoren, sagt, unterstützt würden dadurch vielmehr weitere Investitionen in die Infrastruktur, "um die Menschen aus den Autos zu holen und auf ihre Beine oder ihre Fahrräder zu bringen, was selbst die Luftbelastung reduziert, während die körperliche Aktivität unterstützt wird".