Griechenland: 99 Jahre Ausverkauf - alternativlos

Alexis Tsipras und der Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis während der Parlamentssitzung. Bild: W. Aswestopulos

Tsipras geht den von den Kreditgebern verordneten Weg des Neoliberalismus weiter, im Eilverfahren wurde das 7500 Seiten starke Gesetzespaket verabschiedet

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In Griechenland geht der Sparkurs Tsipras immer weiter. Der Premier ließ Gesetze durchpeitschen, welche Griechenland für die nächsten 99 Jahre binden. Er verlor dabei weiterhin sein einstiges Profil des linken Revolutionärs. Signale kommen aus Brüssel, dass man Tsipras Bemühungen bei einer Entscheidung der Eurogruppe am Dienstag als positiven Beitrag werten würde. Hinsichtlich der Frage eines von Tsipras erhofften Schuldenschnitts verweist die Kommission jedoch darauf, dass dies Sache der einzelnen Staaten sei. Tsipras hofft, dass er 5,4 Milliarden der seit Ende 2015 ausstehenden Kredittranche, eventuell sogar bis zu 11 Milliarden Euro, erhält und sich damit etwas Zeit erkaufen kann.

Ebenfalls durch das Parlament kam der umstrittene Paragraph des automatischen Kostendämpfers. Künftig wird bei Unterschreitung der vorgegebenen Sparziele ohne Parlamentsbeschluss in allen Ressorts bis auf den Verteidigungshaushalt und das Arbeitslosengeld automatisch gekürzt. Tsipras erspart sich und den Premierministern der nächsten Jahrzehnte somit jegliche parlamentarische Abstimmung über weitere Rentenkürzungen.

Die Proteste auf den Straßen Athens blieben verhalten. Den Griechen ist anscheinend die Lust am Demonstrieren vergangen. Sie sehen offenbar keinen Sinn darin, ihrer Abscheu für die Politik auf der Straße herauszubrüllen. In privaten Gesprächen gibt es jedoch niemanden, der sich nicht verärgert oder enttäuscht äußert.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Politikverdrossenheit in den nächsten Wochen im öffentlichen Leben manifestiert und welches alternative Ventil für ihre Wut die Bürger finden. Bei den Gewerkschaften stellt sich die Situation anders, kampfbereiter dar. Die Arbeitnehmer der öffentlichen Verkehrsbetriebe Athens diskutieren über Arbeitskampfmaßnahmen. Das Klima erinnert etwas an die Monate, in denen 1992 unter der Regierung Konstantinos Mitsotakis die ÖPNV-Mitarbeiter das Zentrum Athens regelmäßig lahm legten.

Scharfe Kritik aus der Opposition

"Meine Damen und Herren von der Regierung, in einem sind Sie unschlagbar, Heuchler, Lügner und Gottlose ohne Ende. Sechszehn Monate stellen sie die Menschen kontinuierlich vor die gleichen Schreckensszenarien, falschen Dilemmatas, von denen viele wie Schreibmaschinendurchschläge von den übrigen Regierungen kopiert werden, um das Volk zu überzeugen, noch weiter den Kopf zu senken, und um zuzustimmen und alle volksfeindlichen Maßnahmen noch in den kommenden Jahren fortzusetzen. In Kraft bleiben Hunderte von schwarzen Gesetze des Leidens und andere werden hinzugefügt."

Mit diesem Frontalangriff startete der Generalsekretär der kommunistischen Partei KKE, Dimitris Koutsoubas, am Sonntag seine Rede zu Tsipras neuem Sparpaket. Die übrigen Oppositionspolitiker benutzten nahezu den gleichen Duktus wie der Kommunistenführer, waren jedoch in ihren Charakterisierungen von Tsipras radikaler. Das Wort Verrat wurde ebenso oft gesagt, wie Betrug oder Lüge.

Es gab nicht nur Zwischenrufe der protestierenden Oppositionspolitiker. Mitten während der Abschlussrede von Alexis Tsipras schrie ein Mann von der Zuschauertribüne außer Verwünschungen auch die Aufforderung an den Premierminister, er solle endlich regieren und nicht nur Zahlen rezitieren. Als Sicherheitskräfte ihn abführten, gelang es ihm noch zu rufen, dass er SYRIZA gewählt hatte. Tsipras versuchte gelassen auf den Zwischenfall zu reagieren und bat die Abgeordneten, dem Vorfall keine Bedeutung zuzumessen.

Ein Mann beschimpft von der Zuschauertribüne Regierungschef Tsipras. Bild: W. Aswestopulos

Wieder einmal musste das griechische Parlament im Eilverfahren über einen unüberschaubaren Haufen von Gesetzen entscheiden, die niemand mehr im Land ernsthaft als Reformen bezeichnet. Vierzehn Stunden hatten die Parlamentarier Zeit, nachdem sie in der Nacht zum Donnerstag das Gesetzespaket auf CD erhielten, um die 7500 Seiten des von den Kreditgebern als notwendige Bedingung für eine Einigung bei der Eurogruppe am Dienstag diktierten Pakets zu studieren. Danach wurde zwei Tage in Ausschüssen und zwei Tage im Parlament im Eilverfahren diskutiert.

Natürlich konnte sich niemand der dreihundert Parlamentarier rühmen, die einzelnen Gesetze zu kennen, oder gar gelesen zu haben. Die komplette Verwirrung wurde noch dadurch verstärkt, dass die Minister immer wieder neue Korrekturen von teilweise haarsträubenden grammatikalischen und orthographischen Fehlern, aber auch Änderungen ins Parlament brachten.

Disput über den Marxismus

Zu den interessanten Höhepunkten der zweitägigen Debatte gehörte ein Disput über den Marxismus. Der Sprecher der Kommunistischen Partei, Thanassis Pafilis, erinnerte Finanzminister Euklid Tsakalotos daran, dass dieser gern den Marxisten geben würde. In der Folge gab es einen Dialog, in dem sich Tsakalotos und Pafilis gegenseitig Kapitel und Abschnitte aus dem "Kapital" an den Kopf warfen. Pafilis schloss seine Serie mit bissigen Kommentaren damit, dass er die ironische Hoffnung äußerte, dass Tsakalotos mit seiner Politik den Kapitalismus endgültig ad absurdum führen könnte und somit die Revolution begründen würde.

In die gleiche Kerbe schlug die frühere Parteisekretärin Aleka Papariga. Sie outete sich als Leserin von Tsakalotos Sachbüchern. Inhaltlich habe sie durchaus Einwände, meinte sie, aber sie befand, dass die Bücher im Gegensatz von Tsakalotos Äußerungen im Parlament alles andere als Unsinn seien.

Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis rechnete dagegen mit Tsipras ab. Es war im Grunde genommen ein Disput der Beiden darüber, wessen Spargesetze weniger Schaden in der Realwirtschaft angerichtet hätten. Dazu gesellten sich die bissigen Kommentare von Seiten der PASOK. Die Sozialdemokraten, von denen zahlreiche frühere Abgeordneten zu SYRIZA übergelaufen sind, prognostizierten ihren einstigen Genossen das gleiche Schicksal, welches die ehemalige Volkspartei PASOK bereits erlitten hat, das Schrumpfen zur Kleinpartei.

Vassilis Leventis, der Parteichef der Zentristenunion, warf der Regierung Feigheit vor. Bild: W. Aswestopoulos

Die Goldene Morgenröte nutzte die Gelegenheit für die Propaganda nationaler Politik. Der Parteichef der Zentristenunion Vassilis Leventis kommentierte in gewohnt ironischer Art das politische Geschehen. Er gab an, seine Parlamentsrede für die Zuschauer an den Fernsehschirmen zu halten, von den Abgeordneten der übrigen Parteien erhoffte er sich kein Einsehen.

Der Regierung warf er Feigheit vor. Er verlangte, dass vor der Verabschiedung des strittigen Pakets die Gehälter und Diäten sämtlicher gewählter Volksvertreter im Land, angefangen vom Präsidenten bis zu den Vizebürgermeistern, mit sofortiger Wirkung um die Hälfte gekürzt werden müssten. Alles andere sei unehrenhaft und ungerecht, weil man nicht den Bürgern Kürzungen verordnen und selbst in Saus und Braus leben könne. Leventis verteidigte zum wiederholten Mal die Forderung nach einer ökumenischen, von politikfremden Managern geführten Regierung.

Die zahlreichen Forderungen der Opposition nach Neuwahlen schmetterte Tsipras mit dem Hinweis darauf ab, dass er im September 2019 erneut gewählt werden würde.