Syrien: Baldiges Ende des IS-Kalifats?

Der IS bewaffnet Willige, um Manbij zu verteidigen. Bild: IS

Die SDF und die syrische Armee rücken auf Raqqa vor. Die USA und Russland ziehen aber nur zum Teil am selben Strang

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Wird das Ende des IS-Kalifats eingeläutet? Zwei Offensiven, von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und von der syrischen Regierungsarmee (SAA) mit Verbündeten, rücken auf das Kernherrschaftsgebiet des IS in der Provinz Raqqa vor.

Die SDF versuchen, die Stadt Manbij einzunehmen, es geht um vitale Versorgungslinien, die dem IS abgeschnitten werden sollen. Die Einheiten, zusammengesetzt aus kurdischen YPG und einer "syrisch-arabischen Koalition" (Pat Ryder, Sprecher des US-Central Command), hätten bereits 100 km2 des Territoriums erobert und eine strategisch wichtige Erhebung an der Straße ("Om Seraj Hill") zwischen Manbij und Raqqa erobert, berichtete das kurdische Mediennetzwerk Rudaw.net gestern.

Die Manbij-Offensive der SDF

Ist diese Offensive, die Ende Mai begann, erfolgreich, sind wichtige Verbindungsstraßen, wie die zwischen Jarabulus und Manbij, sowie die Brücke über den Euphrat in der Nähe der türkischen Grenze in fester Hand des IDF, so wäre Raqqa, die "Hauptstadt" des Kalifats, isoliert, abgeschnitten von Versorgung und schwer erreichbar von IS-Milizen, die auf der anderen Seite des Stromes operieren. Die Verbindung nach Aleppo wäre gekappt.

Außerdem wird angekündigt, dass ein erfolgreicher Manbij-Feldzug 40.000 Zivilisten aus der Herrschaft des IS befreien könnte.

Unter den "Freiwilligen" scheinen sich auch Kinder zu befinden. Die Lage für den IS scheint verzweifelt zu sein. Bild: IS

Die USA unterstützen die SDF mit Truppen und aus der Luft gegen die Interessen der Türkei. Die türkische Regierung will verhindern, dass es den Kurden gelingt, den etwa 100 km breiten Korridor zwischen Afrin im Westen und Rojava im Osten zu schließen. Die Eroberung von Manbij ist ein wichtiger Schritt dahin; die kurdischen YPG sind dort auch außerhalb der Reichweite von Angriffen von der türkischer Seite der Grenze (Offensiven auf Falludscha und auf Manbij).

Im diplomatischen, nach außen gerichteten Sprachgebrauch versucht man der Interessenskluft zwischen den Nato-Partnern die scharfen Ecken zu nehmen. Das geschieht über die Darstellung, dass die YPG bei dieser Offensive keine führende Rolle in der SDF hat, sondern nur "logistisch", wie dies Erdogan kürzlich auch darstellte. Darüber hinaus sollen die USA bei der Türkei im Wort stehen, dass die kurdischen Milizen nach vollbrachter Eroberungsmission aus dem Gebiet wieder abziehen. Ob sie sich tatsächlich so verhalten werden, ist eins der Probleme.

Die Tabqa-Offensive der SAA

Die zweite Offensive Richtung Raqqa geht mit einem Comeback russischer Einsätze einher. Sie wird von der SAA unternommen, die weiter südlich in die Provinz Raqqa vorstößt. Am Wochenende wurde gemeldet, dass die SAA zusammen mit angeschlossenen Einheiten zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder einen Ort in der Provinz, die an Homs grenzt, erobert hat.

Unterstützt wird sie von der russischen Luftwaffe. Das erste große Ziel heißt Tabqa, wo sich ein Militärflughafen befindet, den der IS im Sommer 2014 eroberte und wo dessen Milizen ein Massaker unter den syrischen Soldaten anrichteten. Die syrische Regierung habe einige gute Gründe, Tabqa zu erobern, kommentiert Rudaw.

Bild aus früheren Tagen, die Altstadt von Raqqa im Oktober 2009. Foto: Bertramz/CC BY-SA 3.0

Zusammenarbeit oder doch US-Sabotage der russischen Erfolge?

Zu den guten Gründen zählt, was im großen Bild von zentraler Bedeutung ist: Das IS-Kalifat kommt von zwei Seiten unter Bedrängnis, die IS-Milizen werden ihre Not haben, sich gegen zwei Offensiven an unterschiedlichen Orten zu behaupten, zumal wenn die beiden großen Mächte, Russland und USA, militärische Unterstützung geben. Stellt sich die Frage, ob die beiden endlich doch gegen den IS an einem Strick ziehen. Nicht offiziell zwar, die USA lehnten eine solche von den Russen gewünschte Zusammenarbeit öffentlich immer wieder ab, aber doch Realität im Kriegsgeschehen?

Das wäre eine gute Basis für den politischen Prozess in Syrien, der diesen Sommer Fortschritte machen soll und muss, angesichts des Machtwechsels, der in den USA bevorsteht und der den Falken zu Gute kommt.

Von Zusammenarbeit kann höchstens nur bedingt die Rede sein, die Konflikte überwiegen, berichtet al-Monitor. Das US-regierungskritische Blog Moon of Alabama geht weiter. Dort ist man davon überzeugt, dass die Regierung Obama keinen Frieden in Syrien haben will und die russisch unterstützte Offensive der SAA sabotieren wird - wie schon einmal, vor dem Rückzug der russischen Luftwaffe, durch die Verstärkung der Gegner der syrischen Regierung im Gebiet Aleppo.

Illustriert werden die Konterangriffe zu den kurdischen und syrischen Offensiven in Rakka etwa durch die Angriffe von al-Nusra und Ahrar al-Sham in den vornehmlich kurdische Bewohnten Zonen von Aleppo und Umgebung.

Streit über al-Nusra Front und Ahrar al-Sham

Beide Berichte haben gemein, dass sie auf die wiedererlangte Stärke der salafistisch, dschihadistischen Milizen Ahrar al-Sham und al-Nusra Front verweisen, die während der Waffenruhe Schäden repariert haben, die ihnen zuvor von der russischen Luftwaffe zugefügt worden waren und sich dank der Waffenlieferungen ihrer Unterstützer - mit maßgeblicher Beteiligung der USA - in neuer Stärke zeigen.

Entsprechend drängt der russische Außenminister Lavrow darauf, dass sich andere Milizen, von al-Nusra deutlich distanzieren, auch räumlich; wie die russische Seite auch darauf drängt, Ahrar al-Sham als terroristische Gruppe zu begreifen ("gleichzusetzen mit dem IS) und sie nicht weiter zu schonen (die russische Luftwaffen hat in Idleb bereits Bombardierungen auf Ahrar al-Sham wieder aufgenommen). Sein amerikanischer Kollege Kerry geht allerdings einen völlig anderen Kurs: Er bat - laut AP, die sich auf Aussagen Lawrows stützt - Lawrow, dass Russland Angriffe auf die Nusra-Front einstellt, weil damit andere Milizen getroffen werden.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Mark Toner, bestätigte die Anfrage, etwas anders akzentuiert: Kerr habe nachdrücklich betont, dass Russland " sorgfältig" zwischen al-Qaida und anderen "legitimen Gruppen" unterscheiden solle. Es ist die alte Karte, die Kerry damit spielt, die der moderaten bewaffneten Opposition. Obschon mittlerweile bis in die Tageschau hinein bekannt sein dürfte, dass sämtliche Milizen im Raum Aleppo oder Idleb mit al-Nusra und Ahrar al-Sham irgendwie im Bündnis stehen. Die beiden Gruppen bilden das Rückgrat der Opposition, wie an der Allianz Jaish al-Fateh ganz offenbar und anschaulich ist.