"Endlich eine Frau an der Spitze der USA"

Unkritische Reaktionen auf Hillary Clinton als demokratische Präsidentschaftskandidatin

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In den USA gab es bisher nur einmal eine Kandidatin für die Präsidentschaft. Der Ruf nach mehr Frauen in Spitzenpositionen, auch in der Politik, in den USA wird seit Jahren lauter, eine Buddy-Mentalität der gut situierten weißen Männer wird kritisiert. Eine Frau im Oval Office wird daher schon in Bezug auf seine Symbolkraft von vielen Medien befürwortet.

Hier ähneln die Diskussionen darum, warum Frau Clinton gewählt werden sollte, oft denen, die um Barack Obama geführt wurden. Prominente, die sich (wie es in den USA üblich ist) hinter den einen oder anderen Kandidaten stellen, zeigten sich schon während Herrn Obamas Wahlkampf oft bemerkenswert unkritisch und reduzierten die Wahl auf eine Wahl zwischen einem progressiven oder rückständigen USA, die Wahl zwischen "Weiß" und "Schwarz".

Die Themen eines Barack Obama gerieten dabei oft in den Hintergrund. Stattdessen wurde betont, wie sehr die USA von einem "Wir haben den ersten schwarzen Präsidenten" profitieren würde. Gerade auch den Afroamerikanern wurde suggeriert, ihre Situation würde sich dadurch, dass "einer von ihnen" nun an der Spitze sein könne, auch grundlegend ändern. Schon allein die Zugehörigkeit zur Gruppe "Black" würde insofern Garant dafür sein, dass auch Belange der "Black Society" endlich in den Vordergrund rückten.

Tatsächlich hat sich, wie beispielsweise der Bürgerrechtler Al Sharpton konstatierte, unter Barack Obama einiges im Land verändert - doch die grundlegende Probleme sind weiterhin existent. Es wurde auch im Zuge der Präsidentschaft Barack Obamas klar, dass er - anders als erhofft - die Situation der Schwarzen in den USA nicht vorrangig behandeln würde und er, bedingt durch seinen eigenen Lebenslauf, vielfach auch deren Probleme nicht nachvollziehen konnte. Eine Enttäuschung im wörtlichen Sinne war vorprogrammiert.

Victoria Woodhull-Martin kandidierte bereits 1872

Eine solche Enttäuschung dürfte auch jenen bevorstehen, die in der Kandidatur Hillary Clintons einen historischen Meilenstein sehen. Eine Ansicht, die Frau Clinton noch tatkräftig befeuert, wenn sie selbst sagt, dass "zum ersten Mal in der Geschichte unserer Nation eine Frau Kandidatin einer großen Partei wird", was nur dann korrekt ist, wenn der Begriff "große Partei" dabei betont wird. Eine Frau - Victoria Woodhull-Martin - kandidierte nämlich bereits 1872 - aber nur als Vertreterin der Equal Rights Party. Eine Kandidatur, die damals vor allem als Provokation gesehen wurde, da sie das erforderliche Mindestalter noch nicht erreicht hatte und Frauen als Kandidaten ohnehin ausgeschlossen waren.

Victoria Woodhull-Martin

Es ist unstrittig, dass bei Hillary Clinton Frauen- und Kinderrechte einen hohen Stellenwert genießen - doch vieles in ihrer Biographie und auch ihrem politischen Wirken könnte nun während ihrer Kandidatur gerade auch von ihren Befürwortern angesprochen werden. In vielen Fällen wird weniger auf die politischen Fragen denn auf den Symbolcharacter abgezielt, der ihre erfolgreiche Wahl zur Präsidentin mit sich bringen würde.

Gerade auch die weiblichen Prominenten, die sich mit emotionalen Kommentaren hervortun, sehen die Kandidatur als Sieg für die Frauenrechte und den Feminismus und überschlagen sich förmlich darin, diese Etappe bereits als Meilenstein für alle Frauen zu sehen. Viele kleine Mädchen, so die Sängerin Katy Perry, würden jetzt ins Bett gehen und das erste Mal von einem Leben ohne Limits träumen. Christina Aguilera meint, Hillary Clinton würde Geschichte für alle Frauen der Welt schreiben.

Auch Angela Merkels Sieg wurde als Meilenstein verkauft

Hierbei muss angemerkt werden, dass sich Frau Clinton (deren Person auch mit zur Figur Alicia Florrick in der Serie "The Good Wife" inspirierte) schon alleine durch ihren Lebenslauf stark von jenen unterscheidet, die nun in ihr eine Art Heilsbringer für alle Frauen nicht nur in den USA sehen wollen. Sollte sie die Wahl gewinnen, so ist es eher unwahrscheinlich, dass sie während ihrer Präsidentschaft all die in sie gesetzten Hoffnungen in Bezug auf die Frauenrechte und z.B. Gehältergleichheit usw. erfüllen kann. Dass die "gläserne Decke endlich durchbrochen wurde" mag zwar emotionale Gemüter zu Tränen rühren, ist jedoch eher als Einzelfall denn als tatsächliche Revolution zu werten.

Die unkritische Reaktion etlicher Menschen darauf, dass endlich ein Vertreter der Bevölkerungsgruppe X einen hohen Posten, wo auch immer, im Bereich Politik übernimmt, muss zu Enttäuschungen führen. Auch Angela Merkels Sieg wurde als Meilenstein verkauft: Endlich war eine Frau Kanzlerin in Deutschland. Auch sind im Kabinett etliche Frauen vertreten, doch was sich viele Frauen erhofften, dass dadurch auch eine weiblichere Note in der Politik mitbestimmt, die gerne mit mehr Empathie und Besonnenheit gleichgesetzt wird, hat sich nicht erfüllt. Die Glorifizierung der Präsidentschaftskanditur ist daher kontraproduktiv.

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