Mitarbeiter des US-Außenministeriums für mehr Kriegseinsatz in Syrien

Ein internes Papier von 51 Diplomaten spricht sich für "gezielte Luftangriffe gegen die syrische Regierung aus"

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Wenn ein internes Schreiben Medien zugespielt wird, steckt eine politische Absicht dahinter. Gleich zwei große US-Mainstreammedien, das Wall Street Journal und die New York Times berichteten gestern nacheinander von einem internen Dokument des Außenministeriums, in dem 51 Mitarbeiter sich für "gezielte Luftangriffe gegen die syrische Regierung" aussprechen und "auf einen Regime-Change in Syrien drängen, als einzigen Weg, um den Islamischen Staat zu besiegen".

Die beiden Zitatschnippsel sind dem Bericht des Wall Street Journals entnommen. Hier ist eine gewisse Unschärfe anzumerken. Denn es ist kein direktes Zitat aus dem internen Papier, sondern die Zusammenfassung der Zeitung.

Festzuhalten ist, dass beide Zeitungen das dissent channel cable, wie das interne Schreiben im ministeriellen Fachjargon genannt wird, nicht im Wortlaut zur Gänze veröffentlichen. Sie veröffentlichen nur Ausschnitte. Möglicherweise würde der vollständige Wortlaut einen etwas anderen Kontext liefern, als dies die Zeitungsberichte tun.

Regime Change?

Das mag als nebensächlich erscheinen, aber es fällt auf, dass im Bericht der New York Times der Begriff Regime Change nicht vorkommt. Die Frage wäre also, ob er in dem Papier vorkommt.

Geht es nach der NYT, so machen sich die Unterzeichner des Papiers für einen "umsichtigen Gebrauch von Boden- und Luftwaffen" stark, von dem sie denken, dass dies "einen konzentrierteren und kompromissloseren diplomatischen Prozess, der von den USA angeführt wird, unterstützt". Mit mehr militärischen Druck auf Assad würden die Verhandlungen vorankommen, lässt die New York Times den Leser verstehen.

In indirekter Rede wird dann das Argument wiedergegeben, das auch im WSJ-Bericht auftaucht: Militärische Aktionen gegen Assad würden dem Kampf gegen den Islamischen Staat helfen. Begründung: Damit würden moderate Sunniten unterstützt, die man zum Kampf gegen den IS brauche.

Realitätsferne Argumente

Beide Argumente für mehr Krieg gegen Assad sind naiv, Zeichen einer Unbelehrbarkeit durch lessons learned? Mehr direkter Militäreinsatz seitens der USA würde russische Gegenreaktionen bedeuteten. Umso mehr, wenn tatsächlich Ziele der syrischen Regierung in Damaskus aus der Luft angegriffen würden.

Vom Völkerrecht einmal abgesehen, scheinen sich die Diplomaten keine Gedanken darüber zu machen, welche Folgen dies mit sich brächte. Dass mit solchen Aktionen am Verhandlungstisch in Genf bessere Ergebnisse erzielt werden, ist mit Wunschdenken noch harmlos umschrieben.

Wie Aron Lund in seiner Einschätzung zur gegenwärtigen Situation des IS eindeutig konstatiert, profitiert das angeschlagene Kalifat von Konflikten auf den Seiten seiner Gegner. Das ist eine triviale Einsicht, offensichtlich finden die State-Department-Mitarbeiter dafür keinen Zugang. (Angemerkt soll sein, dass Aron Lund, der sich seit vielen Jahren mit den Gruppen der bewaffneten Opposition in Syrien befasst, keiner ist, dessen politische Positionierung dem State Department völlig entgegengesetzt ist. Er äußert in seinen Berichten immer wieder Verständnis für Oppositionsgruppen. Ein Anhänger der russischen Militärintervention oder Baschar al-Assads ist er nicht).

Wahlkampfhilfe für Hillary Clinton?

Die enge Sicht, mit der sich die 51 Diplomaten, die das interne Schreiben unterzeichnet haben, den syrischen Konflikt und dessen Lösungsmöglichkeiten erklären, legt nahe, dass es sich um eine Hardliner-Fraktion handelt.

Laut New York Times entstammen die State-Department-Mitarbeiter zum Großteil aus dem Mittelbau des Ministeriums, viele Karrierediplomaten1, die in den letzten fünf Jahren zu Hause oder in anderen Ländern in die Syrienpolitik der Regierung involviert waren. Als "Nichtwisser und dumm" bezeichnet sie das regierungskritische Blog Moon of Alabama.

Nach dessen Lesart besteht die politische Absicht der Veröffentlichung des internen Papiers in der Vorbereitung einer auf Krieg ausgerichteten Politik unter der Falken-Präsidentin Hillary Clinton.

Dass in den USA Wahlkampf ist, ist unübersehbar. So ist denkbar, dass die Medienberichte aus dem "Dissent Channel" des Außenministeriums - eingerichtet während des Vietnamkriegs, um einen Kanal für abweichende Meinungen im Haus zu haben, informiert die NYT - dem Publikum Mitteilung macht, dass das von Demokraten geführte Ministerium durchaus zu einer harten Linie bereit ist.

Das ist allerdings auch schon den Reden von Hillary Clinton zu entnehmen. Die Wut des genannten Blogs auf die "Nicht-Diplomaten mit ihrem stinkenden Fisch am Kopf" verweist darauf, dass man dort eine bestimmte Wirkung argwöhnt. Nämlich dass die Diplomaten in der Öffentlichkeit für besonders kompetent gehalten werden und damit ihre Idee für mehr Kriegseinsätze ernstgenommen wird. So könnten die Demokraten damit um Wähler werben, die mit Obamas Syrien-Politik nicht einverstanden oder enttäuscht waren.

Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums "beunruhigt"

Die Sache der Unterzeichner selbst ist da klarer, sie wollen einen Kurswechsel. Das wurde in Russland wahrgenommen. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konashenkow, zeigte sich laut Tass besorgt.

Falls diese Berichte zumindest etwas Wahrheit enthalten und solche wichtigen Themen im US-Außenministerium tatsächlich durch die Abstimmung unter den Angestellten geklärt werden, dann kann dies bei jedem, der seine Sinne beisammen hat, nur zur Beunruhigung führen<

"Wer würde dann die Verantwortung für die Bombenangriffe übernehmen", so Konashenkow weiter, "die Mehrheit der Angestellten des State Department?"

Der US-Außenminister Kerry drängte vor kurzem darauf, dass russische Angriffe gegen die al-Nusra Front zurückhaltender ausfallen, sprich: zurückgefahren werden, weil bei den Angriffen auch Gruppen zu Schaden kommen, die Kerry zur "moderaten Opposition" zählt. Dass die Verzahnungen zwischen den Oppositionsgruppen bis auf weiteres nicht aufzulösen sind, wie auch Sympathisanten der "Moderaten" einräumen müssen, dürfte Kerry auch wissen.

Aber er wird bei seinen Gesprächen mit Lawrow eher davon sprechen, dass er Interessen seiner Partner nicht ignorieren kann. Schließlich geht es um wichtige Länder der Region. Interessen von Verbündeten der USA wie Saudi-Arabien, der Türkei oder aus Katar (wo der Herrscher kürzlich wieder Vertreter kruder salafistischer Ideologien mit allen Ehren empfangen hat), kann auch Russland nicht einfach vom Tisch wischen.

An dieser Schraube wird weiter gedreht, wenn der US-Vertreter Spannungen in seinem Haus als Argument verwenden kann. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu arbeitet seit Jahren in den Verhandlungen zur Friedenslösung mit dem Verweis auf eine zerbrechliche Koalition, um die Grenzen für Kompromisse möglichst eng zu ziehen.