Angst um die Weltwirtschaft durch den Brexit-Schock

Wurfpost der britischen Regierung, verteilt im April und Mai dieses Jahres. Foto: MOTORAL1987/Open Government Licence

Der IWF warnt die Briten vor fatalen wirtschaftlichen Folgen und für die OECD könnte der EU-Ausstieg zum Schock für die schwache Weltwirtschaft werden

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Die Finanzmärkte wurden diese Woche von den Befürchtungen nach unten gezogen, dass die Briten am kommenden Donnerstag für einen EU-Ausstieg (Brexit) stimmen könnten. Jetzt hat der Internationale Währungsfonds (IWF) vor "substanziellen wirtschaftliche und finanziellen" Folgen gewarnt, wonach Großbritannien im Falle des Ausstiegs deutlich an Wirtschaftsleistung einbüßen könnte. Die US-Notenbank (FED) hat gerade eine geplante Zinserhöhung wegen den Brexit-Gefahren für die Weltwirtschaft verschoben. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte zuvor vor einem möglichen "Schock" durch einen Brexit gewarnt, der sogar die Weltwirtschaft zum Absturz bringen könnte.

Praktisch die gesamte Woche gingen die Börsen in die Knie, da Umfragen aus Großbritannien gezeigt haben, dass eine Mehrheit sich vermutlich für einen Brexit aussprechen dürfte. Bis zu elf Punkte lagen die Befürworter des "Leave" (Ausscheiden) vor denen, die für einen "Remain" (Verbleib) eintreten. So wollten sogar bis zu 55,5% lieber raus aus der EU, während demnach nur noch 45,5 in der Gemeinschaft verbleiben wollen.

Brexit-Angst allerorten

Von Mitte vergangener Woche bis Mitte dieser Woche verlor in Frankfurt der deutsche Leitindex DAX 7,5%. Auch Rohstoffe und Öl wurden zum Teil wieder deutlich billiger. Im gegenteiligen Trend hat allerdings hat Gold als sicherer Hafen zum Teil neue Jahreshöchstpreise erreicht. Bei anderen sicheren Anlagen sah das ähnlich aus. Angesichts des Kaufandrangs rentierten am Dienstag erstmals sogar zehnjährige deutsche Bundesanleihen negativ, weshalb von "einer neuen Epoche am deutschen Kapitalmarkt" gesprochen wird.

Negativ rentieren nun schon 79% aller deutschen Staatsanleihen. In der Schweiz zahlen Anleger sogar bisweilen schon dafür, um dem Land ihr Geld zur "Aufbewahrung" für 20 Jahre anzuvertrauen, anstatt Zinsen zu erhalten. Schweizer Anleihen rentieren bereits zu 91% negativ. Ausstehende europäische Staatsanleihen im Volumen von gut acht Billionen Euro haben schon eine negative Rendite.

Die Brexit-Angst kann dafür allerdings nur sehr begrenzt verantwortlich gemacht werden. Sie ist nur für die letzte Zuspitzung verantwortlich. Dass inzwischen zum Beispiel auch Rentenversicherungen dafür bezahlen, sichere Anleihen zu kaufen, hat vor allem mit der absurden Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu tun, die mit ihrer Geldschwemme für Negativzinsen verantwortlich ist. Man kann sich leicht ausmalen, was diese absurde Geldpolitik, die Sparer enteignet, zum Beispiel für Besitzer von Rentenversicherungen bedeutet, wenn die statt Zinsen zu erwirtschaften, immer stärker sogar für die Aufbewahrung des Geldes bezahlen müssen. Das lässt die privaten Rentenpläne platzen.

"Zynische Euphorie"

Doch zurück zum Brexit. Ausgerechnet mit der Ermordung der britischen Labour-Abgeordnete Jo Cox wurde die Börsentendenz gestoppt. Die Kurse erholten sich dann zum Wochenende wieder leicht, weil nach dem Anschlag darauf gehofft wurde, dass sich dieses Ereignis positiv für einen Verbleib in der EU auswirken werde. Auch das beide Lager ihre Kampagnen gestoppt haben, wurde schon positiv an den Finanzmärkten gewertet.

Einige Beobachter benannten deshalb eine "zynische Euphorie an den Märkten". Es werde zum Teil bei Anlegern davon ausgegangen, dass das Remain-Lager die Oberhand behalten werde, weshalb die Kurse sich stabilisierten und wieder leicht stiegen.

Diese Hoffnung erhielt aber in Washington am Freitag schon wieder einen Dämpfer. Der Dow Jones gab nach einer leichten Erholung am Vortag schon wieder nach. Er hatte zuvor fünf Verlusttage in Folge hingelegt und ebenfalls am Donnerstag wieder etwas zugelegt. Angesichts der Umfragen, die die aufgekeimten Hoffnungen auf einen Umschwung bei den Wählern nicht bestätigen konnten, darf davon ausgegangen werden, dass es in der kommenden Woche vor der Abstimmung zu massiven Kursausschlägen in einem sehr nervösen Börsenumfeld kommen wird.

FED: Brexit, Zinsen und Weltkonjunktur

Die hatte in den USA die Notenbank FED befördert, denn sie hatte eine geplante leichte Zinserhöhung mit Verweis auf einen möglichen Brexit ausgesetzt, weil das eine Gefahr für die Weltwirtschaft sei. Damit wird eine geplante "Normalisierung" der Zinsen erneut verschoben. Nun ist es also die Angst vor dem Brexit, die dazu führt, dass die ausbleibt und die Geldschwemme zurückgefahren wird. Die FED-Chefin Janet Yellen hatte erklärt, die Brexit-Entscheidung habe bei der Zinsentscheidung der FED eine Rolle gespielt.

Bisher hat die FED aber nur einmal im vergangenen Dezember die Zinsen von einer Zinsspanne zwischen 0 und 0,25% auf 0,25 bis 0,5% angehoben und das schon als "Zinswende" verkauft. Seither kommen und gehen FED-Sitzungen und man kann nun sagen, dass die Leitzinsen im laufenden Jahr keinesfalls mehr auf 1,5% und 2017 sogar bis auf 2,5% steigen werden, wie Yellen im Dezember angepeilt hatte. Denn sie will sie ohnehin nur "graduell" anheben, um "Anpassungsschocks" zu vermeiden. So ist klar, dass die FED auch nicht zum Zugpferd wird, um für eine Abkehr von der fatalen Negativzinspolitik in Europa zu sorgen.

Doch Yellen verwies auch erneut auf die schwächelnde Weltkonjunktur, mit deren Hinweis schon eine Zinserhöhung im April verschoben wurde. Die große Anfälligkeit der Weltwirtschaft bestehe fort, meint Yellen und verweist auf ein weiter schwaches Wachstum der Weltwirtschaft, eine niedrige Inflation und die äußerst expansive Geldpolitik in einigen Währungsräumen wie im Euroraum durch die EZB.

Letztlich greift Yellen mit der Sorge darum, dass sich das Verhalten der Investoren abrupt verändern könnte1, die Argumentation der OECD auf.

OECD warnt vor schweren Weltwirtschaftsabschwung

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung warnte angesichts der derzeitigen Wachstumsschwäche kürzlich sogar davor, dass der Brexit zu einem "Schock" führen könnte, wie sie eine "harte Landung" der chinesischen Wirtschaft bedeuten würde. "Ein negativer Schock könnte zu einem erneuten schweren Weltwirtschaftsabschwung führen", warnte erst kürzlich die Chefvolkswirtin der Vereinigung der Industriestaaten Catherine Mann.

Im neuen OECD- Wirtschaftsausblicks wird deshalb neben dem Brexit auch vor einer Schuldenkrise in den angeschlagenen Schwellenländern gewarnt. Wie ein massiver Abschwung in China könnte jeder dieser Vorgänge "Schockwellen" in der Weltwirtschaft auslösen. Gefahren, dass die Weltwirtschaft in die Rezession abschmieren könnte, gibt es schon länger. So verwies auch die OECD darauf, dass in einigen Schwellenländern wie China das Wachstum nicht nur schwächelt, sondern auch große Länder wie Russland und Brasilien weiter in der Rezession hängen, die sich in Brasilien (Brasilien: Größte Wirtschaft Südamerikas stürzt ab) immer stärker zuspitzt.

Man habe einen "kritischen Punkt" erreicht, meinte Mann und mahnt Gegenmaßnahmen an. Ohne sie bleibe das Wachstum weiter "enttäuschend schleppend". Es müsse vermieden werden, dass die Wirtschaft in die "Falle" einer lang anhaltenden Wachstumsschwäche tappt. Die Notenbanken seien längst überfordert, deshalb fordert die OECD, deren Politik der günstigen Zinsen zur billigen Verschuldung zu nutzen, um die Infrastruktur auszubauen.

Für die britische Wirtschaft könne der Austritt deutlich Folgen haben, wird im Ausblick orakelt:

The Outlook draws attention to a number of downside risks. Most immediately, a United Kingdom vote to leave the European Union would trigger negative economic effects on the UK, other European countries and the rest of the world.

Die negativen wirtschaftlichen Effekte für Großbritannien und andere Länder könnten sogar noch dadurch starker werden, wenn der Austritt zu einer stärkeren Volatilität an Finanzmärkten sorgen würde. Die Wirtschaftsleistung könne 2030 dann 5% niedriger sein als bei einem Verbleib in der EU.