War der Täter von Orlando ein Islamist...

...oder hatte er Probleme mit seiner Sexualität? Über die problematische Verarbeitung eines Massakers

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Der Historiker Sven Reichardt stützte sein im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch Authentizität und Gemeinschaft, eine Art Standardwerk "über linksalternatives Leben in den siebziger und achtziger Jahren", zum großen Teil auf Kontaktanzeigen und Leserbriefe in den Alternativmedien. Tatsächlich spricht aus ihnen unverstellt ein Zeitgeist, der in den politischen Schriften oft nur kodierter zu finden ist.

Noch heute ist die Lektüre von Taz-Leserbriefen wichtig, um sich zu informieren, wie die ehemaligen Linksalternativen und die nachgeborenen Postalternativen ticken. Was sagt es über sie aus, wenn man als Nachlese zum islamistischen Anschlag in Orlando folgende Replik auf die Überschrift "USA: Terror im Schwulenclub" findet?

Mit eurer Überschrift bewegt ihr euch in einer historischen Tradition, nämlich bestimmte Gruppen unsichtbar zu machen. Das Pulse ist kein "Schwulenclub", es bezeichnet sich selbst als Ort der LSBTIQ-Community. Und es wurden nicht nur Cis-Männer getötet, wie euer Titel es vermuten lassen könnte.

Eine andere Zuschrift bringt gleich einige Vorschläge, wie eine Würdigung aller Opfer von Orlando hätte lauten müssen:

Es gibt einige Begriffsalternativen, um alle Opfer zu würdigen und um einiges für die Sichtbarkeit von LGBTI zu tun: homosexuell/quer/LBGTI….

Trägt es wirklich zur besseren Würdigung der Opfer bei, wenn sie mit einem Kürzel und einem davor gestauten Gedränge von Adjektiven bezeichnet werden?

Waren die Opfer nicht Menschen?

Was sagt es über eine Bewegung aus, die sich nur gewürdigt fühlt, wenn immer mehr Binde- und Schrägstriche aneinandergereiht werden? Ist das nicht die Widerspiegelung einer neoliberalen Gesellschaft, wenn Maggie Thatchers Verdikt, es gebe keine Gesellschaft, in der Alternativszene bis in die Sprachpolitik durchgespielt wird? So ist es kein Zufall, dass diese Debatte in Großbritannien mit großer Vehemenz geführt wird (vgl. auch Please Don’t Stop the Music).

Wenn jede Bezeichnung größer Einheiten als Unsichtbarmachen von Teilen zurückgewiesen wird, bleiben am Ende nur die isolierten Monaden übrig, die sich bloß als Konkurrenz begreifen. Wo die Utopie einer Gesellschaft abhanden gekommen ist, bleiben nur immer mehr Minderheiten, die sich über bestimmte Konstruktionen wie Geschlecht, Nation etc. definieren. Statt Gesellschaftsveränderung dominiert dann der Konkurrenz- und Statuskampf der Minderheiten.

Dabei könnte man doch die Opfer von Orlando dadurch sichtbar machen, dass man ihre Namen nennt. Wo das nicht möglich ist, sollte man nicht die kleinste Minderheit, sondern die größte Einheit wählen. Die Opfer waren Menschen, die zum selben Zeitpunkt gemeinsam in einem Klub waren. Warum das etwas über ihre sexuelle Orientierung aussagen soll, ist zunächst nicht ersichtlich.

Ist der Islamismus oder das US-Waffenrecht das Problem?

Für den Täter war klar, dass er mit dem Anschlag möglichst viele Menschen treffen wollte, denen er wegen ihrer sexuellen Orientierung das Lebensrecht absprach. Dabei dürfte es für ihn nebensächlich gewesen sein, welche sexuelle Identität die einzelnen Individuen genau hatten. Es reichte schon, dass sie Besucher dieses Clubs waren, um ermordet zu werden.

Nun ist in den USA gleich nach den Anschlag eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob es sich um einen islamistischen Anschlag handelte. Das stellte vor allem der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Trump, in den Mittelpunkt seiner Kampagne, konnte er doch die vermeintlich zu islamfreundliche Obama-Administration damit angreifen und sich selber als Retter des christlichen Amerika gerieren.

Trump-Gegner verweisen hingegen darauf, dass nicht der Islamismus, sondern das laxe Waffenrecht in den USA das zentrale Problem sei. Tatsächlich ermöglichte es den Täter, mühelos die tödlichen Waffen zu besorgen, was die Zahl seiner Opfer erhöhte. Doch es handelt sich bei der Gegenüberstellung, ob der Islamismus oder die laxen Waffengesetze für den tödlichen Anschlag verantwortlich waren, um eine Scheinalternative.

Der Islamismus war die ideologische Verbrämung und die laxen Waffengesetze machten es dem Täter leichter möglich, seien Pläne umzusetzen. Es gibt eben Länder, wo es nicht so einfach möglich ist, an eine Waffe zu kommen Allerdings finden entschlossene Täter immer einen Weg.

Warum wird nicht von einem islamistischen Anschlag gesprochen?

Es ist aber die islamistische Ideologie, die hinter dieser Entschlossenheit steckt und es ist schon seltsam zu beobachten, welchen Eiertanz manche Linken und Liberalen aufführen, um diesen einfachen Tatbestand nicht aussprechen zu müssen. Da wird stattdessen gefragt, ob der Täter vielleicht selber Probleme mit seiner sexuellen Orientierung hatte. Was dann zur grotesken Kennzeichnung des Täters als "schwuler Islamist" führte.

Diese ganzen Spekulationen sind müßig. Selbst, wenn der Angreifer Probleme mit seiner Sexualität gehabt haben soll, so erklärt das nicht seine Tat. Zum Massenmörder wird ein Mensch erst dann, wenn er sich eine bestimmte Ideologie zu eigen macht. Hier war es der Islamismus, der nicht als religiöse, sondern als weltweite faschistische Strömung betrachten werden soll. Dann ist es auch gar nicht verwunderlich, dass nicht wenige der islamistischen Attentäter nicht durch eine ausgeprägte Religiosität aufgefallen sind und sich nicht an die Regel des Koran gehalten hätten

Das hindert aber niemanden daran, aktiv in der politischen Bewegung des Islamismus mitzutun. Ein paar rudimentäre Koranzitate mögen dabei von Vorteil sein, nicht aber eine besonders islamische Lebensweise. Der Aktion 3. Welt Saar ist zuzustimmen, wenn sie den Terroranschlag von Orlando "als Ausdruck islamistischen Hasses auf Homosexuelle und auf jede genussbetonte Lebensart" klassifiziert und vom größten islamistischen Terroranschlag in den USA seit dem 11.09.2001 spricht.

Dieses Verbrechen richtet sich aber nicht nur gegen Homosexuelle. Islamisten wenden sich mit ihrem 'Heiligen Krieg' gegen jede Form eines selbstbestimmten, befreiten, genussbetonten Lebens.

Alex Feuerherdt

Dafür stehe bei ihnen "der Westen", vor allem repräsentiert durch die USA und Israel.

Auch die Homophobie anderer religiöser Hardliner ist tödlich

Wenn dann aber Alex Feuerherdt vom Islamkompetenzzentrum der Aktion 3. Welt Saar den Journalisten Thorsten Denkler von der Süddeutschen Zeitung dafür kritisiert, dass er geschrieben hat, dass auch ein evangelikaler Christ die Tat hätte ausführen können, ist das im globalen Maßstab nicht zu rechtfertigen. Denn es hat sich in der Vergangenheit öfter gezeigt, dass sonst verfeindete religiöse Hardliner im Kampf gegen sexuelle Minderheiten zusammenrücken.

Da waren sich in Jerusalem jüdische, christliche-orthodoxe und islamische Kleriker einig gegen eine Schwulenparade in Jerusalem. Der Mann, der im letzten Jahr auf einer Gayparade in Jerusalem mehrere Menschen niedergestochen hat, wurde in der Presse als orthodoxer Jude bezeichnet. Aber auch bei ihm war es die Nähe zu rechten Organisationen, die in Israel verboten sind, die den ideologischen Rahmen für das Verbrechen lieferten.

Diese Organisationen berufen sich vage auf ein orthodoxes Judentum, ein wirklicher religiöser Bezug ist aber auch bei ihnen oft nicht vorhanden. Wenn ein vager religiöser Bezug mit einer faschistoiden Ideologie zusammenkommt, sind Verbrechen wie in Jerusalem und Orlando immer möglich. Wie tödlich dann die Attacken sind, liegt dann akzidentiell auch daran, wie schwer oder einfach man an tödliche Waffen kommt. Da ist dann tatsächlich die Kritik an den laxen Waffengesetzen in den USA mehr als berechtigt.

Sie machten es dem Islamisten in Orlando möglich, zu besonders tödlichen Waffen zu kommen, die ungleich gefährlicher waren als das Messer des israelischen Täters. Auch die verschiedenen christlichen Gruppierungen sind im Weltmaßstab an der tödlichen Homophobie beteiligt. Vor allem in vielen afrikanischen Ländern wie Uganda sind verschiedene christliche Fundamentalisten mit guten Kontakten zu ähnlichen Gruppen in den USA verantwortlich für tödliche Angriffe auf Menschen, die nicht ins patriarchale Weltbild passen.

In Nigeria berufen sich die Schwulenhasser auf islamistische und christliche Fundamentalisten. So richtig es also ist, die besondere Gefahr des Islamfaschismus aktuell zu betonen, so richtig ist es auch, darauf hinzuweisen, dass religiöses Sendungsbewusstsein, wenn es mit faschistischer Ideologie und den nötigen technischen Know How verbunden wird, potentiell tödlich ist.