Wirtschaftspolitik, Migration und das Brexit-Referendum

Bild: Adrian Petty/CC-BY-SA-3.0

Wie schlecht durchdachte Wirtschaftspolitik Migration verursacht

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Vermutlich geht Queen Elizabeth nicht "Should I stay or should I go?" am 23. Juni durch den Kopf, Punk Rock is not amusing. Dabei steht die Frage von The Clash direkt mit der ihren in Verbindung, die sie 2008 der London School of Economics und der Bank of England gestellt hat: Warum hat niemand die Krise vorausgesehen? Denn ohne Krise würden das Vereinigte Königreich und die Europäische Union koexistieren wie vor 2008. Seitdem benötigt die Weltwirtschaft lebenserhaltende Maßnahmen, Griechenland ist dauernd bankrott, die EU benötigt Reformen dringender denn je und Politiker jeder Couleur suchen nach dem bequemsten Ausweg und beschuldigen wie üblich Randgruppen, diesmal sind es die Migranten.

Im Falle eines Brexit wäre Großbritannien das zweite Staatsgebiet nach Grönland, das die EU seit 1985 verlässt. Aber wie die Schweizer soeben wieder einmal eindrucksvoll im Rahmen der Abstimmung über die erleichterte Abschiebung straffälliger Ausländer mit der Ablehnung der sogenannten Durchsetzungsinitiative unter Beweis gestellt hat, ist ein Referendum die einzig demokratische Option in gewichtigen Fragen - wenn es zuvor eine faktenbasierte Diskussion gibt.

Großbritannien war immer ein wichtiges Mitglied der EU und hat deren Politik entscheidend mitgeprägt. Einige dieser Entscheidungen haben zu einer Wirtschafts- und Sozialpolitik geführt, die nun als kostspielig empfunden wird, da sie Migration verursachen. Aber Migration ist das Symptom, nicht die Ursache.

Migration wurde von allen Mitgliedstaaten gefördert, um den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren. Und für das UK wird sich die Migration trotz Brexit nicht ändern. Falls sich die Briten im Idealfall nach dem Brexit in einer mit der Schweiz oder Norwegen vergleichbaren Situation befinden, werden sie Migration aus der EU akzeptieren müssen, um unbeschränkten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten.

Der dringende Reformbedarf der EU ist mehr als offensichtlich, aber ein übereiltes Referendum, dem lediglich eine flache Diskussion über soziale Kosten und Schwächung der Wirtschaftskraft vorangeht, führt weder zu einer vernünftigen Entscheidungsfindung, noch zu Reformen, die alte EU-Probleme beseitigen könnten.

Neben internen Reformen muss die EU aber auch endlich den Idealen entsprechen, die im Vertrag von Lissabon verankert sind, wie beispielsweise transparente und demokratische Entscheidungsfindung, freier und fairer Handel, Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, die Förderung des Wohlstandes ihrer Bürger und Solidarität unter den Mitgliedstaaten. In dieser Krise wird das Defizit der Union offenbar: Sie verfolgt eine falsche Wirtschaftspolitik, die die Bedürfnisse der Bevölkerung ignoriert (bereits im Januar 2015 waren 97% der EU-Bürger gegen TTIP) und die Migration sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU verursacht. Darüber hinaus ignoriert sie die Sinn und Zweck von Gesetzen, was zu einer fehlerhaften Risikoverteilung führt.

Euroeinführung und Freihandelsabkommen als Migrationsursachen

Krieg, Hunger, Naturkatastrophen und auch die Niederlassungsfreiheit in der EU sind die offensichtlichen Gründe für Migration. Was aber leicht übersehen wird, ist der Migrationsdruck, der durch die Euroeinführung und die Austeritätspolitik entsteht.

Die Massenauswanderung zahlloser Arbeitskräfte aus dem Baltikum reduzierte die Anzahl der Beitragszahler derart, dass auf alle drei baltischen Staaten enorme Schwierigkeiten mit ihrer Wirtschaft und Rentenkassen in den nächsten Jahren zukommen. Woolfson, Sommers and Juska weisen in einem Aufsatz1 nach, dass die Hauptursache für die Migration aus dem Baltikum die Sparmaßnahmen nach 2008 waren, gerade was Lettland und Litauen betrifft. EU-Kommissar Dombrovskis, der lettische Premierminister von März 2009 bis Januar 2014, setzte eine interne Devaluation durch, um Lettland fit für den Eurobeitritt zu machen. Damit zwang er junge Letten dazu, sich Arbeit im Ausland zu suchen, was zu einer massiven Reduzierung der Arbeitslosenzahlen führte. Dombrovskis und die Barroso-Kommission feierten dies als Erfolg für Lettlands Arbeitsmarktpolitik.

Ein naheliegendes, aber ignoriertes Beispiel für die potentiell schädlichen Folgen einer Euroeinführung stellt das Herz Mitteleuropas dar. Die Tschechoslowakei trennte sich friedlich am 1. Januar 1993. Während sich die Tschechische Republik zur Beibehaltung der Krone entschied, trat die Slowakei der Eurozone bei. Gemessen am BIP-Ranking der Vereinten Nationen gleichen sich die Nationen, Tschechien liegt auf dem 43. und die Slowakei auf dem 46. Platz. Der Unterschied wird jedoch beim Human Development Index deutlich. Dort liegt Tschechien gleich hinter Italien und Spanien auf Platz 28, die Slowakei hingegen auf Platz 37.

Selbstverständlich begünstigte Prag als alte und neue Hauptstadt die Entwicklung Tschechiens, aber das ähnliche BIP legt nahe, dass die neue slowakische Hauptstadt Bratislava sehr von der Integration mit Wien profitierte, einem Wirtschaftsraum, der unter dem Begriff Twinregion gezielt entwickelt wird. Das ähnliche BIP und der Unterschied im HDI bedeutet aber, dass sich die Euroeinführung unter Fico 2009 für die Bürger der Slowakei nicht ausgezahlt hat. Da das Entwicklungsniveau beider Staaten nach dem Sozialismus vergleichbar war, zeigt sich, dass die Euroeinführung die Entwicklung des Lebensstandards in der Slowakei beeinträchtigt hat.

Der politische Druck in Riga und Bratislava aufgrund der hausgemachten Probleme erklärt die säuerlichen Kommentare von Dombrovskis und Ficos in EU-Wirtschaftsfragen, die damit oft dem Kommissionspräsidenten Juncker widersprechen.

Benachteiligende Freihandelsabkommen wie die Economic Partnership Agreements (EPA) beeinflussen ebenfalls Migration, zum Beispiel aus Afrika. Das Abkommen mit Ostafrika beinhaltet eine Liberalisierung von über 80% in den kommenden 15 Jahren. Kenia, das regionale Wirtschaftszentrum, zögerte daher mit der Unterzeichnung. Aber EU-Spontanzölle für kenianische Produkte zwischen 8 und 30 Prozent beschleunigten die Verhandlungen, so dass das Abkommen im Sommer 2015 unterzeichnet werden konnte.

Dieses TTIP für Ostafrika wurde von den Medien weitgehend ignoriert, im Gegensatz zum echten TTIP, das das Leben der Europäer direkt beeinflussen wird. Wenn aber afrikanische Bürger Arbeit und Einkommen aufgrund der billigen EU-Exporte verlieren, werden diese eventuell versuchen, in Europa ihr Geld zu verdienen. Der direkte Zusammenhang zwischen EPA und Migration ist für die Europäer aber dann nicht mehr leicht erkennbar.