Türkei: Deutsche Politiker nicht erwünscht

Das hat es noch nicht gegeben: Ein NATO-Land erteilt einem anderen NATO-Land quasi ein Einreiseverbot für Politiker

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Der Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, Ralf Brauksiepe darf die deutschen Soldaten auf der Militärbasis Incirlik nicht besuchen. Die Bundesregierung schweigt. Man stelle sich vor, Russland würde aufgrund der aktuellen Provokationen so reagieren, unsere Medien würden aufschreien.

Brauksiepe plante für Mitte Juli einen Besuch auf der Militärbasis. Der Stellvertreter von Ministerin Ursula von der Leyen plante eine Informationsreise mit einigen Abgeordneten über den deutschen Einsatz im Kampf gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Die deutsche Luftwaffe ist seit Monaten in Incirlik mit Aufklärungsjets und Tankflugzeugen stationiert. Nicht unumstritten, da die Türkei als Nato-Partner darüber genaue Koordinaten über den Nordirak und Nordsyrien geliefert bekommt. Es gibt Befürchtungen, dass sie diese Informationen vor allem im Kampf gegen die PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak und gegen die Kurden in Nordsyrien einsetzt.

Nach Incirlik wollten die Abgeordneten auch den Nordirak und die Hauptquartiere der Anti-IS-Koalition in Kuwait und Katar besuchen. Wie der Spiegel am Mittwoch berichtete, teilte Ankara dem deutschen Verteidigungsministerium mit, dass deutsche Politiker derzeit nicht erwünscht seien. Nach Informationen des Spiegel sagte der Generalleutnant Dieter Warnecke "hinter verschlossenen Türen im Verteidigungsausschuss, als Grund für die Absage der Reise nach Incirlik habe die Türkei konkret die Armenien-Resolution genannt".

Die Resolution des Bundestages benannte erstmals die Vertreibung und Vernichtung der Armenier 1915 als Völkermord. Der erzürnte Präsident Erdogan zog daraufhin als erste Reaktion den türkischen Botschafter aus Deutschland ab und kündigte weitere "Maßnahmen" an.

Kurz nach dem Bundestagsbeschluss untersagte Ankara den Besuch einer Journalistengruppe bei der Bundeswehr in Incirlik. Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete die elf türkischstämmigen Abgeordneten im Bundestag als verlängerten Arm der verbotenen PKK und forderte Bluttests über ihre türkische Herkunft. Die Folge waren Morddrohungen und Verbalattacken gegen die Abgeordneten. Nationalistische Türken erstellten Steckbriefe gegen die Abgeordneten, AKP-nahe Vereine wie DITIB verteidigten die Verbalattacken Erdogans. Deutsche Politiker und Politikerinnen wurden aus Veranstaltungen ausgeladen.

Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat der meistgesehene Sender der Türkei, Kanal D, seine Zusammenarbeit mit dem ZDF aufgekündigt. Seit zehn Jahren wurden die Kindernachrichten "logo" auch im türkischen TV gesendet. Grund seien angeblich zahlreiche Beschwerden von Zuschauern wegen der Armenier-Resolution im Bundestag.

Eigentlich müsste das Einreiseverbot für deutsche Politiker hier große Wellen schlagen. Aber man vermied das Wort Eklat und nannte es einen "unfreundlichen Akt". Man möchte die militärische Kooperation nicht gefährden. Ministerin von der Leyen vertrat schon vor Monaten die Position, dass man sich zwar mit der Türkei politisch streiten, aber gleichzeitig kooperieren müsse.

Aber so langsam stellt sich doch die Frage, wie lange sich die Bundesregierung am Nasenring von Erdogan übers politische Parkett ziehen lässt. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei ist gescheitert. Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele startete eine schriftliche Anfrage zur Umsetzung des Deals und erhielt eine ernüchternde Auskunft: Nur sieben Staaten beteiligen sich an der Aufnahme von Geflüchteten aus der Türkei, nur 383 Flüchtlinge wurden von ihnen legal aufgenommen. 31 Geflüchtete kehrten freiwillig in die Türkei zurück.

Der Nahostexperte Michael Lüders bringt in seiner neuesten Analyse auf den Punkt, warum sich die Bundesregierung und auch die EU schleunigst von der Türkei lösen sollten: Die Türkei unterstützt den Islamischen Staat und benutzt ihn für seine eigenen Interessen. So wie er auch Deutschland instrumentalisiert und über die regierungsnahen türkischen Organisationen versucht, Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen.

Moskau warnt die EU, die türkischen Pläne für eine Sicherheitszone in Syrien nicht zu unterstützen, weil sie wahrscheinlich zu Rückzugsgebieten für militante Islamisten gemacht werden. Die sogenannte Sicherheitszone soll etwa 80 Kilometer entlang der türkisch-syrischen Grenze verlaufen. Ankara plant dort auf syrischem Territorium, zwischen den autonomen Kantonen Kobane und Afrin, den Bau von Flüchtlingslagern und fordert Unterstützung der EU und besonders von Deutschland. Dort sollen sowohl syrische Flüchtlinge aus der Türkei als auch syrische Binnenflüchtlinge angesiedelt werden.

Es handelt sich dabei um das noch vom IS und anderen islamistischen Gruppen besetzte Gebiet, was z.T. von der Türkei als von gemäßigten Rebellen kontrolliertes Gebiet tituliert wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Prinzip für die Einrichtung von sicheren Zonen in Syrien, aber man darf ihr mit Recht mittlerweile Naivität unterstellen. Oder ist es politisches Kalkül? Aber mit welchem Ziel? Die Durchsetzung des Flüchtlingsdeals wäre zu billig.