Griechisches Lehman-Brothers-Desaster

Supermarkthandelskette Marinopoulos mit 13.000 Angestellten hat Konkurs angemeldet. Bild: W. Aswestopulos

Eine Pleitewelle und Kapitalverkehrskontrollen

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Die Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland feierten am 29. Juni "Geburtstag". Immer noch können griechische Bankkunden pro Tag nicht mehr als 60 Euro oder alternativ 420 Euro pro Woche Bargeld abheben. Ein Ende dieser Beschränkung ist noch nicht abzusehen.

Tatsächlich brachten die Kapitalverkehrskontrollen dem Land kaum Vorteile. Die Wettbewerbsfähigkeit sank, die Sparer vermeiden es, Beträge auf Konten einzuzahlen, und die Betriebe können auch bei guten Erfolgschancen keine Kredite aufnehmen.

Innerhalb dieses Jahres gab es eine Reihe von Geschäftsaufgaben. Zum ersten Mal in der Krise werden weniger Unternehmen gegründet als geschlossen. In den einschlägigen Statistiken werden die Unternehmen als absolute Zahl geführt, was nicht unbedingt auf die jeweilige Unternehmensgröße rückschließen lässt. Die oppositionelle Presse im Land führt dies auf die Kapitalverkehrskontrollen zurück und hat mit einer spektakulären Pleite nun ein Paradebeispiel.

Die Supermarkthandelskette Marinopoulos beantragte am Mittwoch Gläubigerschutz nach dem griechischen Artikel 99, was einem deutschen Konkursantrag entspricht. Das Unternehmen hat knapp 13.000 Angestellte, welche nun von der Arbeitslosigkeit bedroht sind. Viele haben ausstehende Lohnforderungen, müssen sich aber mit diesen hinten anstellen. Auf Geheiß der Troika wurden die auf Löhne und Gehälter wartenden Arbeitnehmer hinter die Rechte des Staats und der Banken gestellt.

Ebenfalls von der Pleite bedroht sind jedoch auch die Zulieferer einer der größten Handelsketten Griechenlands. Konstantinos Michalos von der griechischen Industrie- und Handelskammer spricht von Auswirkungen, welche die Marinopoulos Pleite wie ein griechisches Lehman-Brothers-Desaster erscheinen lassen. Das erscheint keinesfalls untertrieben. Denn gemäß des Antrags, den Marinopoulos für die Muttergesellschaft und die Tochterfirmen bei Gericht gestellt hat, bestehen offene Schulden von insgesamt 1,81 Milliarden Euro. Bei einem für 2016 erwartetem, weiterhin rezessivem Bruttoinlandsprodukt von 194,59 Milliarden Euro entspricht dies knapp einem Prozent der Wirtschaftsleistung.

3000 Zulieferer, die meisten aus Griechenland, hängen an Marinopoulos. Sie wurden von der Kette jahrelang unter Druck gesetzt, dieser zinslose Kredite zu gewähren. Vor allem bei Frischwaren hatte die Supermarktkette kleinere und mittelständische Unternehmen mit Exklusivverträgen ans Geschick des Handelsunternehmens regelrecht gekettet.

Die Zahlungsfristen für die Begleichung von Rechnungen überschritten seit 2012 regelmäßig die Grenze von 200 Tagen. Marinopoulos, der bis 2011 an die französische Handelskette Carrefour gebunden war, hatte den Abzug der französischen Investoren als Sieg präsentiert. Mit der "rein griechischen Firma" sollte der einheimische Markt erobert werden. Noch 2014 war Marinopoulos mit knapp 23,3 Millionen Euro Werbeausgaben der größte Anzeigenkunde der griechischen Presse.

Dazu wählte das Management eine aggressive Handelspolitik, mit welcher die Konkurrenz regelmäßig in Rabatten unterboten wurde. So wurde frische Milch von einheimischen Markenherstellern für unter einem Euro pro Liter angeboten, was in keinem Geschäft der Konkurrenz möglich ist. Kleinere Ketten oder Einzelhändler kaufen die gleiche Milch von den Molkereien zu einem höheren Einkaufspreis, als er bei Marinopoulos für Endkunden galt.

Geheimtipp für DDR-Nostalgiker

Zusätzlich dazu kaufte das Unternehmen gezielt Mitbewerber auf, um so die Vormachtstellung weiter auszubauen. Das ging so lange gut, so lange die Banken mit immer neuen Krediten die Liquidität aufrechterhielten. Die Kapitalverkehrskontrollen schoben neuen Krediten einen Riegel vor und brachten so das Kartenhaus zum Einstürzen.

Bis zum Februar 2016 musste das Unternehmen die Filialen im Nachbarland, der EJR Mazedonien, schließen. Danach brach der Umsatz auch in Griechenland mit unerwarteter Geschwindigkeit um bis zu siebzig Prozent ein.

Einige der Lieferanten, wie der Molkereibetrieb EVOL, zogen rechtzeitig die Handbremse, so dass sich die Regale in den Marinopoulos-Geschäften zunehmend leerten. Schon vor der offiziell bekannt gegebenen Pleite galten sie als Geheimtipp für DDR-Nostalgiker. Denn viele Geschäfte, sogar das im noblen Athener Viertel Kolonaki glänzten durch leere Regale bei Obst und Gemüse. Im gesamten Land überall erhältliche Produkte namhafter Firmen waren vielerorts nicht mehr erhältlich.

Dies wiederum beeinträchtigte den Umsatz von Marinopoulos nachhaltig und wirkte für die Pleite katalytisch. Es wäre dennoch vermessen, allein den Kapitalverkehrskontrollen die Schuld am Dilemma zuzuschieben. Tatsächlich hätten die Alarmglocken auch beim Großgläubiger Staat, der auf Steuern und Sozialabgaben wartet, früher klingeln müssen. Seit 2012 legte das Unternehmen keine Bilanz mehr vor. Immobilienbesitz im kolportierten Wert von 750 Millionen Euro wurde an eine Briefkastenfirma ins Ausland übertragen. Die Mutterfirma führte für die Immobiliennutzung Miete ab.

In den Medien suchte das Besitzerehepaar Marinopoulos während der Zeit der Expansion die Präsenz auch auf den Klatschseiten. Es gab Home-Stories vom Ferienhaus in Miami und weitere ähnliche Geschichten. Dies alles schlägt sich nun in einem blanken Entsetzen der betroffenen Arbeitnehmer und Zulieferer nieder. Sie bangen um ihre Existenz und fürchten den Dominoeffekt.

Große Unternehmen vor der Pleite

Während die Entwicklung um die Pleite von Marinopoulos noch in den Anfängen steckt, sind weitere große Unternehmen vom Ruin bedroht. Der Privatsender Mega TV, einst die größte Rundfunkanstalt des Landes, steht vor der Schließung. Es ist, wie viele andere Medienunternehmen auch, hoffnungslos überschuldet. Auch hier ist die Unternehmensführung zumindest ebenso am Drama beteiligt wie die allgemeine Wirtschaftslage. Einem der Anteilseigner, dem Medienmogul Stavros Psycharis, wurden am Donnerstag sämtliche Konten und Schließfächer gepfändet. Eine Steuerprüfung brachte ans Tageslicht, dass er über 10 Millionen Euro mehr Vermögen hat, als durch seine Erklärungen zu rechtfertigen sind.

Bei dem Telekommunikationsunternehmen Forthnet, welches neben Telefonie und Internet auch den Kabel- und Satelliten-Pay-TV Sender Nova im Angebot hat, sind es dagegen die Kredite, welche der ebenso wie Marinopoulos einst aggressiv expandierenden Firma zum Verhängnis drohen können. Eine parlamentarische Prüfung ergab, dass der Schuldenberg von Forthnet den Gesamtwert der Firma um 52 Millionen Euro überschreitet. 200 Millionen Euro der insgesamt 326,2 Millionen Euro Kredite waren zum 31.12.2015 "faul" und wurden nicht der Schuld entsprechend bedient. Die Firma versucht mit einer Umschuldung den Bankrott abzuwenden.