Nato-Gipfel in Warschau: Weiter Säbelrasseln Richtung Russland

Bild: Nato

Ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter fordern Angela Merkel auf, eine weitere Eskalation zu verhindern und die Ukraine-Politik zu überdenken

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Heute beginnt der zweitägige Nato-Gipfel in Warschau, wo weitere Aufrüstungsmaßnahmen beschlossen werden sollen. Im Jargon gesprochen heißt es auf der Nato-Website, dass die Sicherheit der Allianz durch Verstärkung der Abschreckung und Verteidigung verstärkt und "Stabilität über ihre Grenzen hinaus projiziert" werden soll. Beschlossen werden soll die feste Stationierung von vier Bataillonen in Estland, Lettland, Litauen und Polen und einer Brigade in Rumänien. Überdies sollen die Cyberwar-Kapazitäten, das zivile Krisenmanagement und die Verteidigung gegen Raketen, also das US-Nato-Raketenabwehrsystem, ausgebaut werden. Der Cyberspace soll neben den traditionellen Operationsgebieten Land, Luft und See zum neuen Operationsgebiet erklärt werden.

Stützpunkte sind in Rota, Spanien, Rumänien, Polen und der Türkei, in Deutschland befindet sich auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein die Kommandozentrale. Wieder einmal wiederholt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, das Raketenabwehrsystem richte sich nicht gegen Russland. Man könne schon aus physikalischen Gründen keine russischen Interkontinentalraketen damit abschießen. Es seien dafür zu wenige Raketen, sie seien auch zu nahe an der russischen Grenze oder zu südlich stationiert.

Der Readiness Action Plan richtet sich gegen Russland, ebenso die Vertiefung der Kooperation mit der Ukraine, Georgien und Moldawien. "Stabilität projizieren" will man hingegen im Nahen Osten und im Mittelmeerraum. So sollen nun auch AWACS-Aufklärungsmaschinen der Nato die Anti-IS-Koalition unterstützen. Überhaupt wird verkündet, dass auf dem letzten Gipfel erfolgreich die Erhöhung der Rüstungsausgaben beschlossen wurde. Das will man fortsetzen. Jetzt sei die Nato schon schneller, stärker und besser gerüstet für jede Herausforderung. Allein 2016 sind 240 Nato-Übungen geplant bzw. haben schon wie Anakonda, die größte Übung, stattgefunden.

Die Übungen seien angekündigt und würden Russland nicht bedrohen. Dagegen würde Russland öfter große, unangekündigte Übungen an der Grenze ausführen, die die Stabilität bedrohen, heißt es in einem Papier, in dem 5 russische Mythen" widerlegt werden sollen. Die Behauptung, dass die Nato Russland einkreisen wolle, sei gegenstandslos, schließlich seien die russischen Landgrenzen 20.000 km lang, während die Grenze zu Nato-Ländern nur 1.200 km lang sei. Die Nato habe viele Partnerschaften mit anderen Ländern, die dürften aber nicht als Bedrohung gesehen werden. Die Politik der offenen Tür und die Nato-Erweiterung hätten Demokratie, Stabilität und Sicherheit in Europa verbreitet, die Länder würden sich freiwillig der Nato anschließen.

Generäle, die gerne Cowboy spielen

Ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter, die sich zur Gruppe Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) zusammengeschlossen haben schrieben zusammen mit William Binney, einem ehemaligen technischen NSA-Direktor, dem bekannten Ökonomen und Whistleblower Daniel Ellsberg oder Scott Ritter, einem ehemaligen UN-Waffeninspekteur, ein Memorandum an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schon vor dem Nato-Gipfel in Wales hatten sie dies gemacht, um vor weiterer Aufrüstung gegen Russland zu warnen (US-Geheimdienstveteranen schreiben offenen Brief an Merkel).

Jetzt fordern sie Merkel auf, mäßigend auf die Nato einzuwirken und wie der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier darauf zu dringen, mit dem Säbelrasseln gegenüber Russland aufzuhören und eine konstruktive Politik zu beginnen, "bevor die Dinge noch schlechter werden". Es sei höchste Zeit, mit einigem Skeptizismus nach Warschau zu gehen, vor allem gegenüber der behaupteten Bedrohung durch Russland. Gelobt wird Merkel, weil sie sich deutlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen und mitgeholfen hat, einen Waffenstillstand in der Ukraine durchzusetzen. Merkel würde auch im Sinne der Mehrheit der Deutschen handeln, wenn sie beitragen würde, die Eskalation zu bremsen. Nach dem neuesten DeutschlandTrend sprechen sich 67 Prozent dagegen aus, dass die Nato dauerhaft eine militärische Präsenz in Osteuropa aufbaut, um sich vor möglichen Bedrohungen aus Russland zu schützen. Nur 29 Prozent finden dies richtig.

Wenn es zu keiner Änderung der Politik komme, sei eine militärische Auseinandersetzung wahrscheinlich. Besonders beunruhigend sei es, "dass viele der Nato-Führer der zweiten Generation sich dieser drohenden Möglichkeit nicht bewusst seien oder diese sogar übersehen würden". Zumindest steige mit der angekündigten "größten Truppenverstärkung seit dem Kalten Krieg" (Stoltenberg) die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen oder provozierten militärischen Konfrontation zu Wasser oder zu Lande. Zumal einige der Top-Nato-Generäle es lieben würden, "Cowboy zu spielen". Putin könne seine Generäle nicht auf Dauer versichern, dass das, was sie von der Nato hören und sehen, nur Rhetorik sei. Herausgehoben wird Luftwaffengeneral Philip Breedlove, der bis vor kurzem oberster Nato-Kommandeur war und Druck auch mit irreführenden Behauptungen wie einer drohenden russischen Invasion ausübte, um die Konfrontation mit Russland zu verstärken. Das hätten kürzlich veröffentlichte gehackte Emails von Breedlove gezeigt, der sich u.a. über den zurückhaltenden US-Präsidenten beschwerte. Obama wiederum sei zu schwach gewesen, um Hardliner wie Breedlove aus dem Amt zu entfernen.

Regierungsumsturz in Ukraine wird als Ursache der Eskalation betrachtet

Für die Ex-Geheimdienstmitarbeiter ist der Regierungsumsturz in der Ukraine am 22. Februar die Ursache für die deutliche Verschlechterung der Beziehungen zu Russland. Obgleich sie zusammen mehrere hundert Jahre an Erfahrung in Geheimdiensten aufweisen, hätten sie noch nie erlebt, dass ein geplanter Regierungssturz Wochen zuvor ans Licht kam und dennoch durchgeführt wurde. Sie verweisen dabei auf den Leak der Äußerungen von Victoria Nuland, die Anfang Februar als Staatssekretärin des Außenministeriums mit dem amerikanischen Botschafter darüber sprach, dass die US-Regierung am liebsten Jatsenuk (Yats) als neuen Regierugschef etablieren wollte, der es dann ja auch geworden ist. Die Annexion der Krim sei die Folge des Staatsstreichs gewesen, es gebe keine Hinweise auf einen Plan vor dem Coup. Die Nato-Führer seien unfähig oder unwillig zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.

Gefordert wird auch, einmal genauer zu untersuchen, welche Parteien die Umsetzung der Vereinbarungen des Minsker Abkommens verhindern. Verwiesen wird auf rechte und nationalistische Politiker wie Oleh Tyahybok, Chef der Swoboda-Partei, der 1991 zusammen mit Andriy Parubiy die Sozialnationale Partei mit der von der SS verwendete Wolfsangel als Symbol gegründet hatte. Parubiy war zur Zeit der Maidan-Proteste bei der Vaterlandspartei, organisierte als "Kommandeur des Maidan" die sogenannten Selbstverteidigungskräfte und arbeitete eng mit Jarosch vom Rechten Sektor zusammen. Nach dem Regierungssturz wurde er wichtigen Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine und war mitverantwortlich, gegen die Aufständischen in der Ostukraine die militärische "Antiterroroperation" zu starten. Gegenwärtig ist er Parlamentssprecher. Die Unterzeichner weisen darauf hin, dass er erst vergangenen Montag erklärte hatte, von Beginn an nicht das Minsker Abkommen unterstützt zu haben. Moskaus Pläne könne man "nur mit Gewalt und internationalen Sanktionen stoppen".

Auf dem Gipfel in Warschau wäre statt Säbelrasseln konstruktiver, offen über das Hinauszögern des Minsker Abkommens durch Kiew zu diskutieren. Man könne den US-Botschafter fragen, ob er jemand kenne, der in Kiew Einfluss habe und die Blockade durchbrechen könne. Wichtig wäre auch, eine Nato-Arbeitsgruppe einzurichten, um zusammen mit Russland Maßnahmen einzuführen, um gefährliche Begegnungen im baltischen Luftraum zu verhindern. Und dann schlagen sie noch vor, dass die Nato noch einmal einen neuen Blick auf die Ursachen des Terrorismus werfen würde, um "neue, phantasievollere und weniger auf Gewalt setzende Wege zu finden, um sich den Problemen zuzuwenden, die letztlich die Geisel des Terrorismus nähren".