Wahlkampf mit Kinderpornos?

Nur einen Tag nach Verabschiedung von "Eckpunkten" diskutierte der Bundestag gestern die Internetsperrung von kinderpornografischen Seiten. Ein Gespräch mit der Grünen-Abgeordneten Ekin Deligöz

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Ekin Deligöz ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vorstandsmitglied des Kinderhilfswerks UNICEF Deutschland. Sie ist zudem Mitglied der Kinderkommission des Bundestags.

Frau Deligöz, auf Drängen von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat das Kabinett gestern so genannte Eckpunkte für Internetsperrungen verabschiedet. Begründet wird der geplante Eingriff in den Datenverkehr mit der vermeintlichen Zunahme von Kinderpornografie. Sie haben sich zu dem repressiven Ansatz bei einer Aussprache im Bundestag kritisch geäußert. Weshalb?

Ekin Deligöz: Weil man das Problem mit Internetsperren alleine nicht lösen wird. Für Frau von der Leyen ist das jedoch das Wundermittel. Ich habe mich klar für eine Beteiligung des Gesetzgebers ausgesprochen, vor allem für ein sauberes Gesetz. Zugangssperren machen Sinn, wenn sie in ein strategisches Gesamtkonzept gegen sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern eingebettet sind. Gesellschaftlich sollten wir ein Zeichen setzen, dass wir Gewalt, vor allem sexuelle Gewalt, gegen Kinder nicht akzeptieren.

Experten hatten in Anhörungen zuvor schon darauf hingewiesen, dass Sperren im Internet recht einfach umgangen werden können. Zudem sind die rechtswidrigen Seiten auch dann noch im Netz. Weshalb, denken Sie, halten die Unionsfraktionen trotzdem an ihrem Vorstoß fest?

Ekin Deligöz: Die Unionsfraktionen verstecken sich ein wenig hinter dieser Forderung. Hier zeigen sich der nun beginnende Wahlkampf und der damit einhergehende Aktionismus. Um das Problem an den Wurzeln zu packen, um diesen Verbrechen den Nährboden zu entziehen, müssen wir jedoch mehr tun. Vorrang müssen präventive Maßnahmen und Täterverfolgung haben. Das leistet die Internetsperrung nicht.

Ihr Parlamentskollege Christoph Waitz (FDP) hat von "einem mit Eckpunkten versehenen Schnellschuss" gesprochen. Kann man das so sagen?

Ekin Deligöz: Ich würde es so sagen: Frau von der Leyen hätte sich - und uns auch - mit einem sauberen Gesetzentwurf einiges ersparen können. Mit den Eckpunkten wird ihr falsch eingeschlagener Weg korrigiert. Das fällt zum Beispiel auf, weil sie nicht einmal beantworten kann, ob ein Gesetz rechtlich die Verträge erübrigt. Und ein Schnellschuss ist es insofern, als dass diese Initiative davon ablenken soll, dass Frau von der Leyen bei dem Thema in der Vergangenheit nicht gerade aktiv war. Ihre Vorgängerin hat dem Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern immerhin eine solche Bedeutung beigemessen, dass sie auch auf dem Weltkongress gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in Yokohama 2001 anwesend war. Für den Weltkongress in Rio Ende letzten Jahres musste sich erst die Kinderkommission des Deutschen Bundestages einsetzen und um die Teilnahme des hohen Vertreters der Bundesregierung bitten. Frau von der Leyen war nicht dabei.

Kritiker der Unionsinitiative weisen darauf hin, dass die Debatte um Kinderpornografie im Internet genutzt werden könnte, um den Datenverkehr auch in anderen Bereichen einzuschränken. Sehen Sie diese Gefahr?

Ekin Deligöz: Ja, diese Gefahr besteht durchaus. Doch hängt das vom Gesetzentwurf ab.

Sie haben auf Programme gegen sexuellen Missbrauch von Kindern verwiesen, die von der amtierenden Familienministerin nicht weiter verfolgt oder gar gestoppt wurden.

Ekin Deligöz: Damit habe ich vor allem den Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung gemeint, den wir 2003 verabschiedet hatten. Die Schubkraft dieses Programms ließ seit 2005 abrupt nach. Letztlich wurden viele Angebote nur durch das Engagement und die Leidenschaft Nichtregierungsorganisationen am Leben erhalten.

Welche sozialpolitischen Maßnahmen wären denn unabhängig vom Internet notwendig?

Ekin Deligöz: Wir fordern ein konsequentes Vorgehen gegen Kinderpornografie. Ein Signal von Seiten der Bundesregierung allein reicht dafür nicht aus. Um nur einige Maßnahmen zu nennen: Ich sehe vor allem, dass wir die technische und personelle Ausstattung der zuständigen Behörden deutlich verbessern müssen. Eine bessere internationale Zusammenarbeit muss auf Grundlage rechtsstaatlicher Verfahren bewirken, dass es solche Angebote nicht länger gibt. Auch brauchen wir eine leistungsfähigere Jugendhilfe und die stärkere Vermittlung von Medienkompetenz im Umgang mit dem Internet. Gerade im internationalen Kontext, aber auch hier in Deutschland, muss die sexuelle Ausbeutung von Kindern vor dem Hintergrund von Armut, mangelnder Bildung und Gewalt gesehen werden.

Und dem wird die Bundesregierung nicht gerecht?

Ekin Deligöz: Nein, die Politik ist, nach Schulnoten bewertet, mangelhaft. Hier gab es viel Politik nach Kassenlage. Das heißt vor allem: Verlässliche Strukturen wurden gerade in der Kinder- und Jugendhilfe nicht erhalten, sondern eher geschwächt. Das sind die Bereiche, die sich um kindliche Opfer kümmern und Präventionsarbeit leisten.

Die kurzfristig angesetzte Debatte im Bundestag heute war emotional sehr aufgeheizt. Das zeigte sich auch daran, dass fast alle Abgeordneten ihren Beitrag mit einer deutlichen Verurteilung von Kinderpornografie eingeleitet haben. Behindert ein solch emotionaler Umgang nicht einen sinnvollen Meinungsaustausch?

Ekin Deligöz: Das glaube ich nicht. Ein emotionaler Meinungsaustausch ist die eine, eine sinnvolle Lösung die andere Seite - beides hat seinen Platz, auch im Politischen.

Denken Sie, dass diese Emotionalität von Seiten der konservativen Fraktionen bewusst genutzt wird?

Ekin Deligöz: Emotionen zu instrumentalisieren, möchte ich bei diesem Thema niemandem unterstellen. Ich glaube, in der Sache sind wir uns einig, über den richtigen Weg werden wir uns noch streiten.

Welche Chancen sehen sie, dass die im Parlament umstrittenen "Eckpunkte" in ein Gesetzgebungsverfahren einfließen?

Ekin Deligöz: Das wird sich zeigen. Heute klang das ja alles sehr optimistisch. Drei Minister haben ihre Zusammenarbeit angekündigt und wollen das noch in dieser Legislaturperiode abschließen. Was daraus wird, werden wir sehen.