Jörg Tauss: Was von der Verschwörung übrig blieb

Nach der offiziellen Stellungnahme des Jörg Tauss' bleiben viele Fragen offen. Vor allen Dingen eine: Wie konnte ein fachlich kompetenter Politiker dermaßen unüberlegt agieren?

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Als die ersten Meldungen zum Fall Jörg Tauss verbreitet wurden, war für viele klar: Er wurde hereingelegt. Über den Bundestrojaner, untergeschobene Beweise und eine Verschwörung gegen den Politiker, der sich zu manchem Thema durchaus kontrovers äußerte, wurde spekuliert. Hier, hieß es, habe man sich eines unbequemen Kritikers entledigt. Dabei ist Jörg Tauss nie die Lichtgestalt des Datenschutzes gewesen, zu der er derzeit hochstilisiert wird. Beim Thema Netzsperren war er schon zu Zeiten eines Jürgen Büssow aktiv und engagierte sich, doch bei anderen Problematiken, wie beispielsweise der Vorratsdatenspeicherung, wusste Jörg Tauss nicht zu überzeugen. Sein Kommentar, dass er die VDS für einen inakzeptablen Anschlag auf die Bürgerrechte und die Privatsphäre in Europa halte, dennoch aber eine Richtlinie umgesetzt werden müsse (weshalb Herr Tauss für die VDS stimmte), ließ ihn in der Achtung vieler Bürgerrechtler sinken. Seine Rechtfertigungsversuche, die gerade bei den heiklen Fragen eher wie ein Herumlavieren anmuteten, brachten ihm lediglich neue Häme ein.

Doch Jörg Tauss war, egal wie seine Haltung bei der VDS bewertet wird, fachlich kompetent, was in der von Naivität und Unwissenheit geprägten Politlandschaft durchaus hervorsticht. Dass er beim umstrittenen BKA-Gesetz mit "Nein" stimmte und kurz darauf bei der SPD-Fraktion nicht mehr für den Datenschutz zuständig blieb, nährte die ersten Theorien darüber, wem er inwiefern zu unbequem geworden war.

Da Jörg Tauss zu den energischen Kritikern der von Familienministerin von der Leyen geforderten Netzsperren gehörte (was gerne mit Kritik am Vorgehen gegen Kinderpornographie gleichgesetzt wird), ließ die Nachricht, dass man bei Jörg Tauss kinderpornographisches Material gefunden hatte, bei einigen die Alarmglocken klingeln. Zu verführerisch war die Idee, dass hier ein Querulant kaltgestellt werden sollte. Das Tempo, in dem einerseits die Immunität des Jörg Tauss' aufgehoben wurde, und andererseits die Medien, allen voran Spiegel Online, über die Hausdurchsuchung sowie Details des Falls berichteten, trugen zusätzlich dazu bei, hier eine Verschwörung zu vermuten.

Die Choreographie der Strafverfolgung

In seiner Stellungnahme weist Jörg Tauss - zu Recht - darauf hin, dass das Verhalten der Staatsanwaltschaft in diesem Fall etliche Fragen offen lässt.

[...] erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, Oberstaatsanwalt Rüdiger Rehring, nach Presseberichten wie folgt: „Wir haben uns im Vorfeld die Köpfe zerbrochen, wie wir möglichst unauffällig Kontakt zu Herrn Tauss aufnehmen. Wir sind so zurückhaltend wie möglich vorgegangen.“

Ich hoffe, die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ist bei anderen Versuchen, sich die Köpfe zu zerbrechen, etwas erfolgreicher.

Ernster setze ich hinzu, dass sich die Damen und Herren aber in anderem Zusammenhang den Kopf zerbrechen werden müssen, wie es kommt, dass der Sprecher der Staatsanwaltschaft noch vor Abschluss der Durchsuchungen deren angebliches Ergebnis bereits gegenüber der Presse kommentierte.

Hierbei ist durchaus die immer stärker dem hyperdramatischen Reality-TV nachempfundene Choreographie zu kritisieren, mit der heutzutage Strafverfolger vorgehen. Ob die Presse sich bei der Hausdurchsuchung beim Post-Chef Zumwinkel bereits gierig aneinanderdrängt, ob Verdächtige mit Ohren- und Augenschutz unter Kameraaugen in den wartenden Hubschrauber einsteigen, um zum Bundesgerichtshof geflogen zu werden ... die Inszenierung der Strafverfolgung ist längst über bloße Information hinausgewachsen und trägt so innerhalb der Verdachtsgesellschaft wirksam dazu bei, jemanden schon ab Verdachtsbeginn als unschuldig oder schuldig darzustellen.

Missbrauch mit dem Missbrauch

Doch abgesehen von dieser grundsätzlichen Kritik lässt die Stellungnahme viele Interessierte fassungslos zurück. Anlass hierfür bietet beispielsweise die schmerzliche Offenheit, mit der Jörg Tauss zugibt, dass er seinen Kampf gegen die Kinderpornographie auch zur eigenen Beliebtheitssteigerung instrumentalisieren wollte.

Und natürlich hätte die von mir erhoffte Entdeckung und „Sprengung“ eines der immer wieder durch die Öffentlichkeit geisternden „Kinderpornoringe“ meinem Bekanntheitsgrad nicht gerade geschadet.

Es mag sein, dass Jörg Tauss hier den Kritikern vorgreift, oder sich in Selbstironie übt, dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Dass ein Politiker, der dem BKA misstraut, sich selbst informieren will, ist eine Sache. Dass er sich, wie er selbst formuliert, "in einen stinkenden Schweinestall gewagt hat um ihn auszumisten", ist gegebenfalls eine Selbstüberschätzung, gepaart mit Dummheit. Diese Aktivität als privater Ermittler zu entfalten, aber auch mit dem Hintergrund, die eigene Popularität zu steigern, lässt Jörg Tauss letztendlich in einem ähnlichem Licht erscheinen wie andere Politiker, die den Missbrauch mit dem Missbrauch betreiben und das Leid der Kinder nutzen, um sich zu profilieren.

Sträfliche Dummheit

In der Rückschau weiß ich dennoch, dass ich ohne juristische Beratung und eine bessere rechtliche Absicherung meine Recherchen nicht hätte machen sollen.

Ganz im Gegenteil: Ich wollte mein Umfeld damit nicht belasten, zudem hätte eine Adresse wie „Deutscher Bundestag, Berlin“ nicht zum angestrebten Zugang zu den entsprechenden Kreisen geführt. Mir ist klar, dass mein Vorgehen sowohl strafrechtlich wie auch politisch bewertet werden muss.

Dass eine Adresse wie "Deutscher Bundestag, Berlin" nicht zum Zugang in Kinderpornokreise geführt hätte, ist sicherlich jedem klar. Diese Anmerkung erscheint in der Stellungnahme wie eine Nebelkerze, denn auch wenn sich der zu privaten Ermittlungen berufen gefühlte Politiker Tauss unter einem Decknamen Zugang zu Kinderpornokreisen verschaffte, stellt sich doch die Frage, wieso er aber nach seinen Recherchen weder juristische Beratung suchte, noch das belastende Material den entsprechend zuständigen Stellen zuleitete, sondern es weiterhin in seinem Büro aufbewahrte. Ebenso wenig verständlich ist es, wieso Jörg Tauss auf ihn registrierte Mobiltelefone nutzte, um in Verbindung mit der Kinderpornoszene zu treten, wieso es so leicht war, zurückzuverfolgen, an wen das einschlägige Material geliefert wurde. Medienberichten zufolge nutzte Jörg Tauss seine Berliner Privatadresse, jedoch mit dem abgeänderten Namen eines ehemaligen Mitbewohners, um an eben diese Adresse das fragliche Material geliefert zu bekommen. Auch soll es möglich gewesen sein, die SMS des Bremerhavener Kontaktmannes an Tauss direkt zurückzuverfolgen. Ein Politiker, der sich fachlich durchaus kompetent zu Datenschutzthemen äußert, sollte doch wohl in der Lage sein, wenigstens ein nicht registriertes Handy zu benutzen und sich eine Deckadresse zu besorgen.

So schreibt Jörg Tauss in seiner Stellungnahme selbst:

Zu diesem Zeitpunkt hielt ich meine These bereits für belegt, dass der Austausch pornografischen Materials infolge von Fahndungserfolgen sich heute sehr viel mehr auf das Handy, Telefonhotlines und sogar wieder auf postalischen Versand verlagert hat. Der klassische Internet-PC ist wie das Web “out“, zumal sich ein Handy im Verdachtsfalle auch schneller entsorgen lässt und das Web aufgrund der Anstrengungen, an denen ich aktiv beteiligt war, heute in der „Szene“ als zu „unsicher“ gilt.

Warum also diese schon fast sträfliche Dummheit, sich selbst nach den eingestellten privaten Recherchen weder des fraglichen Handies, noch des Materials zu entledigen, juristische Beratung zu suchen, oder sich an die zuständigen Behörden zu wenden? Zu einfach erscheint es, wie die Strafverfolger von "Sascha" (dem Kontakt in Bremerhaven) zu Jörg Tauss kamen.

Natürlich sind Abgeordnete keine Polizisten, wie Sie und Ihre Kollegen richtig kritisiert haben. Aber, wie sollte ich anders zu unverfälschten Erkenntnissen über die tatsächlichen Verbreitungswege kommen, da ich mich in dieser speziellen Frage etwa auf das BKA nicht verlassen wollte: Nicht erst seit dem bereits erwähnten Auftritt des BKA-Präsidenten im Deutschen Bundestag und meiner Teilnahme bei der Herbsttagung 2007 in Wiesbaden zu diesem Thema, hat sich bei mir der Eindruck verfestigte, dass das BKA das Thema Kinderpornographie auch dazu nutzt, neue Kompetenzen und Zuständigkeiten politisch durchzusetzen. Längst ist das BKA hier Partei und keine neutrale Beratungsinstanz mehr für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Scharf geht Jörg Tauss in seiner Stellungnahme mit dem BKA ins Gericht, doch auch wenn er selbst davon spricht, dass endlich gerichtlich geklärt werden muss, inwiefern ein Abgeordneter sich im Zuge des §184b (5) StGB strafbar machen kann, so bleibt die Frage offen, warum er, so er hier eine Klärung suchte oder für sinnvoll hielt, sich nicht selbst anzeigte und zeitgleich das belastende Material den Behörden übergab. Für seine Reputation, sowie für die gesamte Datenschutzszene, die nun einmal öfter mit dem Vorwurf konfrontiert werden dürfte, Kritiker der Netzsperren gegen Kinderpornographie würden nur deshalb Kritik üben, weil sie selbst Kinderpornographie besäßen, wäre dies allemal sinnvoller gewesen. So wären seine privaten Recherchen und deren Hintergründe sicherlich anders bewertet worden als nun, da sie in einer Stellungnahme nach einer Hausdurchsuchung und der öffentlichen Anprangerung getätigt wurden.

Politisch ist mir gleichwohl bewusst, dass ich mit meinem Vorgehen nicht nur mir am Ende mehr geschadet als genutzt habe, sondern auch meinem Anliegen, einer effektiven Bekämpfung der Kinderpornographie. [...] Ja: Ich habe Mist gebaut.

Und zumindest diesen beiden Sätzen, die sich in der Stellungnahme des Jörg Tauss' wiederfinden, kann man vorbehaltlos zustimmen.