Anreize für das perfekte Verbrechen

Nach dem DNA-Debakel um das "Phantom von Heilbronn" fordern Polizeifunktionäre mehr Massengentests

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass etwas, was von der Polizei und anderen Behörden als vermeintlich sicherer Beweis gewertet wird, deshalb noch lange kein solcher sein muss, zeigten in den letzten Tagen die Enthüllungen um das so genannte "Phantom von Heilbronn": Fast ein Jahrzehnt lang hatte die Polizei in Dutzenden von verschiedensten Fällen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Frankreich und in Österreich DNA-Spuren einer Frau gesichert, die ein immer unwahrscheinlicheres Bild ergaben. Trotzdem setzte sie statt auf Occams Rasiermesser lieber auf noch bizarrere Theorien einer aus Osteuropa stammenden Zigeunerkönigin, die aussieht wie ein Mann und vor der sogar hartgesottene albanische Schwerverbrecher so viel Angst haben, dass sie in Verhören kein Wort über sie über die Lippen bringen.

Lange Zeit wurde von Behörden wie von Mainstream-Medien jeder als Verschwörungstheoretiker oder Paranoiker belächelt, der Zweifel an dieser als Tatsache präsentierten Theorie äußerte. Man hatte die DNA-Proben ja schließlich mit der von Polizeibeamten abgeglichen – und jede andere Möglichkeit wäre doch "völlig lebensfern".

Seit gestern Abend herrscht Gewissheit, dass dem keineswegs so sein muss: Die angebliche Superschurkin ist oder war in Wirklichkeit Angestellte einer bayerischen Verpackungsfirma. Mittlerweile gibt es auch eine Stellungnahme des Anbieters der Wattestäbchen, in der dieser darauf hinweist, dass die Polizei wissen musste, dass die Produkte zwar steril, aber nicht frei von anderweitigen Verunreinigungen und deshalb auch nicht für DNA-Proben geeignet waren.

Dass das Debakel den Verantwortlichen schaden wird, ist eher nicht zu erwarten: Polizisten sind verbeamtet und Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll wies bereits vor zwei Tagen vorbeugend darauf hin, dass die Ermittler auf keinen Fall etwas falsch gemacht hätten, denn "die sehen es einem Wattestäbchen ja nicht an, dass da schon was dran ist." Allerdings hätten sie es sich vielleicht denken können. Zumindest ab dem Zeitpunkt, an dem die Szenarien anfingen, bizarr zu werden.

Bernd Carstensen, der Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) forderte in den Stuttgarter Nachrichten denn auch statt personeller Konsequenzen neue Massengentests für alle Mitarbeiter von Medizinalbedarfherstellern. Allerdings dürfte auch das nach Ansicht von Sachkundigen nicht ausreichen: Denn selbst der Baumwollpflücker in Usbekistan kann bereits Spuren hinterlassen, wenn er ein entsprechend "guter DNA-Spender" ist. Dafür würde der Kreis von Personen mit faktischer Immunität erheblich ausgeweitet: Schon jetzt ist es für Polizisten geradezu eine Verlockung, das "perfekte Verbrechen" zu begehen, weil ihre DNA in Whitelists enthalten ist und aus allen Proben herausgerechnet wird.