Wer glaubt, spinnt!

Alle Bilder: Central

Des Gottes alte Kleider: Larry Charles' und Bill Mahers Film "Religulous" zeigt, dass Religion einfach lächerlich ist

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wer glaubt, ist einfach dumm. Sagen wir's doch mal! Und gleich nochmal, beim zweiten Mal ist es schon nicht mehr so schwer: Wer glaubt, ist einfach dumm. Auf einen groben Klotz, sagt man, gehört ein grober Keil, und genau das ist dieser Film: In Zeiten, in denen Religion hierzulande zwar nicht stärker aber lauter und dreister wird, ist er ein kaum weniger dreistes Gegengift. Ein mit Witz und Bosheit, ohne jedes scheinheilige Wohlwollen vorgetragenes Vademecum gegen den Glauben, gegen die Torheit des Religiösen, für Skepsis, Aufklärung, Wissen. Also, aller guten Dinge sind drei: Wer glaubt, ist einfach dumm.

Es gibt sehr wahrscheinlich keinen Gott. Gott ist eine schlichte Behauptung. Man kann auch gottlos glücklich sein. Das ist unser Wissensstand. Sein kritisches Prinzip enthält "Religulous" schon im Untertitel. "Man wird doch wohl fragen dürfen". Zweifel, also, Skepsis, Fragen. Dumme Kinderfragen, so entlarvend wie Kinderfragen nunmal sind, so wie die Frage nach des Kaisers neuen Kleidern im Märchen.

Warum sieht das denn keiner, dass hier erwachsene Menschen behaupten, an redende Schlangen zu glauben. Warum lacht den Kaiser keiner aus, wenn er etwas vom Paradies und ewigem Leben, von Wiederauferstehung erzählt? Wenn er an die unbefleckte Empfängnis glaubt? An Jonas und den Walfisch? Warum erhebt sich keine Revolution gegen einen Papst, der eine Gloria von Thurn und Taxis zu seiner Fachberaterin in AIDS-Fragen ernennt: "Die soll'n nicht so viel schnackseln!"? Warum weist man diejenigen nicht in eine Heilanstalt ein, die behaupten, die Erde sei an sechs Tagen erschaffen worden?

Die Religion als Geisteskrankheit

Religion, so gibt Larry Charles' und Bill Mahers eindeutig zu verstehen, ist eine Krankheit, eine neurologische Störung. Nichts anderes. Damit liegt er im Prinzip nur in der Tradition von Sigmund Freud, der bereits 1907 schrieb, dass "die Neurose als eine individuelle Religiosität, die Religion als eine universelle Zwangsneurose zu bezeichnen" sei. Die Religion als Geisteskrankheit. Und Krankheiten muss man behandeln, nicht achten. Bill Maher, Drehbuchautor und wenn man so will Moderator dieses Films, setzt gegen unser homöopathisches Verhältnis zur Religion Schulmedizin: Behandeln durch Bekämpfen der Krankheit.

Maher ist ein amerikanischer Komiker und Schauspieler, der bereits für 21 Emmys nominiert wurde. Bekannt wurde er zunächst als Stand-Up Komiker, dann zwischen 1993 und 2002 als Talkshow-Moderator der Sendung "Politically Incorrect". Derzeit moderiert er die wöchentliche Sendung "Real Time with Bill Maher". Für seine erste Kinoproduktion hat er sich mit Larry Charles zusammengetan, der nicht nur eine Reihe von Folgen für die Serie "Seinfeld" schrieb, sondern bereits mehrere Kinofilme drehte. Die bekanntesten sind "Masked and Anonymous" mit Bob Dylan als Hauptdarsteller und der weltweit erfolgreiche "Borat - Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen".

Das "Borat"-Prinzip, ein Roadmovie durch das ganz normale Amerika mit dem Ziel seiner Selbstentlarvung, ist auch das prinzipielle Verfahren in "Religulous". Der Titel ist ein Kalauer, die Vermischung von "Religion" und "ridiculous" (lächerlich).

Neue Giftpilze des Fundamentalismus

Nein, "Religulous" ist kein Film, der den Glauben so ernst nimmt, wie die Gläubigen und ihre Funktionäre es gern hätten. Es ist kein Film, der ihnen den Gefallen erweist, am runden Tisch einfach mit ihnen zusammen zu sitzen, und sie gleichberechtigt mitdiskutieren zu lassen, hier die Wissenschaft, dort die Pfarrer, hier die FDP, dort die katholischen Weihbischöfe aus Bayern. Dies ist kein Film, der hübsch ausgewogen und staatstragend untersucht, sondern eine Polemik. Und wie das so ist, steht da dann das Ergebnis vorher fest. Hätten Sie denn, liebe Kollegin vom Berliner "Tagesspiegel" seinerzeit auch Alexander Kluges "Der Kandidat" vorgeworfen, dass er schon am Anfang klar macht, dass die Wahl von Strauß nicht zur Debatte steht? Oder Erwin Wagenhofers "Let's make money", dass er gegen den Kapitalismus ist? Na also! Warum dann jetzt so fromm?

Man muss sie auch nicht ernst nehmen, die Gläubigen und erst recht nicht ihre Vertreter, öffentlichen Sprecher, Anwälte, Aufhetzer, die uns mit ihren Phrasen belästigen, sich öffentlich-rechtliche Sonderstellungen und exklusive Beraterfunktionen unter den Nagel reißen - gerade in Deutschland, jenem Land, in dem die Religion mächtiger ist als irgendwo sonst in West-Europa. Immer wieder betonen sie die segenspendende Funktion der Religion, während in jeder Ecke neue Giftpilze des Fundamentalismus aus dem Boden sprießen. Klar, das sind jetzt natürlich nur die bösen Fanatiker, die von allen "vernünftigen" Gläubigen abgelehnt werden und die natürlich nichts, gar nichts mit der Religion zu tun haben. Klar, es gibt auch einen liberalen Islam, und das Christentum hat mit den Folterkellern der Kirche nichts zu tun, das sind nur Exzesse, die Schwächen der Menschen. Trotzdem hat das eine doch mit dem anderen irgendetwas zu tun.

Lachsalven gegen Religion

Zu Wort kommen sie allerdings schon, nicht zu knapp, aber nicht immer so, wie sie es gern hätten. Warum auch? Maher feuert Lachsalven gegen Religion, indem er sie sich selbst entblößen lässt, indem er ihre Selbstwidersprüche entfaltet. Man solle mehr die Bibel lesen. Ok. Aber man soll die Bibel ja nicht wörtlich nehmen. Sondern auf die Interpreten hören. Die die wahre Lehre verkünden. Die Funktionäre also. So erneuert Maher nicht nur die klassische Kritik an der Kirche als einer Priesterherrschaft mittels Interpretationshoheit und die an der Religion als eines Herrschaftsmittels, einer Ideologie, eines "Opium fürs Volk" im Dienst der Funktionäre. Sondern er macht auch auf die schlichte Tatsache aufmerksam, dass es allein in der christlichen Religion tausende von verschiedenen Interpretationen und sektiererischen Abspaltungen gibt, tausende von einander entgegengesetzten Auslegungen. Schon die Logik gebietet: Nur eine könnte womöglich wahr sein, die meisten von ihnen müssen falsch sein, einfach reiner Unsinn.

Maher reist durch "God's Own Country", dann durch die Welt, findet in ihr Rabbis und bigotte Prediger, Kreationisten, einen gläubigen Jesus-Darsteller im "Holy Land"-Erlebnispark, einen "wiedergeborenen" Jesus-Latinoprediger, kuriose Vatikan-Gelehrte, gläubige US-Senatoren, ein "Schöpfungsmuseum" in Kentucky, einen zur Heterosexualität bekehrten Pfarrer, der mit seiner einst lesbischen Frau mehrere Kinder hat und nun andere Schwule dabei unterstützen möchte, wieder auf den "rechten Weg" zurück zu finden, denn schließlich ist "Homosexualität eine Sünde", den muslimischen Rapper Propa-Ghandi, einen "For Jesus"-Rabbi und so weiter, und so weiter. "Religulous" ist eine Freakshow, so wie "Fahrenheit 9/11" eine Freakshow der amerikanischen Reaktionäre war.

"Wie viele religiöse Leute keine Ahnung haben, was in der Bibel steht"

Überhaupt erinnert "Religulous" in seinen unangenehmen Aspekten ziemlich stark an Michael Moore, auch wenn Maher um einiges besser aussieht als der fette Polit-Prediger und immerhin nicht selbst Regie führte. Aber auch hier erlebt man einen Typ, der permanent grinsend im Bild steht, mit Leuten redet, dabei selbst besser beleuchtet wird und immer schon die Antwort auf seine Fragen kennt, sich für die Leute gar nicht ernsthaft interessiert. Muss er natürlich auch nicht. Es macht den Film dann eben nur zu einem Pamphlet, das lustig ist, aber recht enge Grenzen hat.

Man könnte sogar sagen, Maher paraphrasiere in seinem Film nur die Bergpredigt: "Nehmt euch vor den falschen Propheten in acht, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie raubgierige Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen." (Matthäus 7:15-16)

Zudem ist es so, dass "Religulous" eher ein Film für die Amerikaner ist und ihre spezielle Ausprägung religiöser Dummheit, die um einiges fanatischer und radikaler ist als die europäische. Bill Maher ist darum auch nicht gerade arm an Sendungsbewußtsein: "Die Leute sind froh, dass mal jemand öffentlich sagt, was viele denken", meint er , "denn Atheisten glauben oft, sie seien allein auf der Welt, weil sie sich ja nicht in Kirchen versammeln, um ihr Unglaubensbekenntnis anderen mitzuteilen." Am meisten überrascht habe ihn, "wie viele religiöse Leute keine Ahnung haben, was in der Bibel steht. Sie können nicht einmal die Zehn Gebote aufsagen. Und auch diese sind moralisch inakzeptabel: Wenn man die schlimmsten zehn Sachen auflisten wollte, würde man denn wirklich verzichten auf Vergewaltigung und Inzest zu Gunsten von nicht fluchen und keine Statuen für andere Götter haben?"

Im "Wir-sind-Papst"-Country

Die westlichen Gesellschaften können das gut gebrauchen. Gerade Deutschland hat einen gehörigen Schluck Säkularismus und Laizismus, also Abstand zwischen Staat und Religion, aber auch einfach Religionskritik und Atheismus, bitter nötig. Denn das "Wir-sind-Papst"-Country ist weltanschaulich zurückgeblieben. Das zeigt derzeit gerade das Schicksal der säkularen "Buskampagne" (siehe dazu: Dialektik der Weltanschauungswerbung), die mit atheistischen Sinnsprüchen - "Es gibt sehr wahrscheinlich keinen Gott" - in diversen europäischen Ländern, vom anglikanischen Großbritannien bis zum katholischen Spanien wie selbstverständlich an den Werbewände von Verkehrsbussen zu sehen sind, sträuben sich die deutschen Verkehrsbetriebe bisher.

Dort wo man immer wieder Sätze lesen kann wie "Gott hat einen wunderbaren Plan für Ihr Leben" oder "Jesus liebt Dich", soll nicht stehen: "Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott". Die Berliner Verkehrsgesellschaft lehnte ab, die Kölner Verkehrsgesellschaft, die Münchner MVG. Immer mit der Begründung: Linienbusse seien keine Litfasssäulen für Weltanschauungen.

Dies ist ein gutes Symptom für die Lage. Unsere eigenen Religionsfunktionäre, die offiziellen wie die inoffiziellen, sind allerdings so leicht nicht zu fassen, dafür sind sie zu wendig, glitschig, zu sehr durch die Schule der Religionskritik von Feuerbach und Nietzsche gegangen. "Religulous" ist kaum ein probates Gegenmittel gegen unsere Wolfgang Hubers und Ratzingers, unsere netten Fernsehpfarrer, ob sie jetzt Jürgen Fliege (populistisch), Peter Hahne (reaktionär), oder Gert Scobel (gutmenschlich) heißen, oder gleich gegen Johannes Baptist Kerner, den Oberammergauer Passionsspiel-Kitsch oder ähnliches. Gegen die hilft nur guter Geschmack.

"You don't need to follow me!"

Es ist schon richtig: Religionen müssen bekämpft werden. Nicht nur, weil sie völlig aus der Luft gegriffen sind. Sondern auch, weil sie für unglaublich viel Hass und Elend in der Welt verantwortlich sind. Politische Ideen sind das nur, wo sie zur Ideologie werden, wo sie sich in politische Religionen verwandeln.

Andererseits braucht man, um die Lächerlichkeit und den Irrwitz der Religion bloßzulegen, keinen Film wie "Religulous". Das immer noch beste Mittel sind gute Texte, wie etwa Heinrich Heines "Deutschland – Ein Wintermärchen":

Es wächst hienieden Brot genug/Für alle Menschenkinder,/ Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,/Und Zuckererbsen nicht minder./ Ja, Zuckererbsen für jedermann,/Sobald die Schoten platzen!/ Den Himmel überlassen wir/Den Engeln und den Spatzen.

Oder der Film der Monty-Pythons "Das Leben des Brian". Dessen Aussage ist so simpel wie zeitlos gültig: "You don't need to follow me!"

PS:

Höllenqualen, und das will bei einem atheistischen Film schon etwas heißen, leidet man allerdings bei der wirklich schlimmen, ganz schrecklichen deutschen Synchronisation. So etwas Albernes und Dummes hat man schon lange nicht erlebt. Damit das deutlich wird, sollte man einfach einmal hier den Trailer vergleichen, und man muss dafür noch nicht mal Englisch verstehen. Hier der amerikanische und hier der deutsche.