Schwerer Ausweg aus lukrativen Drogenkriegen

In Lateinamerika werden neue Ansätze gegen die Gewalt durch den illegalen Rauschgifthandel gefordert. Doch die Chancen für einen Neuanfang stehen schlecht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Drogenbanden haben Mexiko immer fester im Griff. Alleine im vergangenen Jahr starben in dem südlichen Nachbarstaat der USA nach offiziellen Angaben 6300 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen den Rauschgiftkartellen. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Trotz massiver innenpolitischer Kritik hält Präsident Felipe Calderón an seinem harten Kurs fest: Er will die Kartelle mit militärischer Gewalt zerschlagen.

Städte und ganze Regionen wurden in den vergangenen Monaten dem Militär unterstellt, weil die Polizei von den milliardenschweren Drogenbanden gekauft wurde. Nun wächst der Widerstand gegen eine vermeintliche militärische Lösung. Erstmals werden in den USA und vor allem in Lateinamerika alternative Vorschläge vorgebracht, dem Drogenproblem Herr zu werden. Doch die wirtschaftlichen Interessen scheinen zu groß – nicht nur bei den Händlern selbst.

Zuletzt sprach US-Präsident Barack Obama die eskalierende Gewalt in Mexiko an. Die Auseinandersetzungen zwischen Kartellen und Ordnungskräften in dem mittelamerikanischen Staat sei „außer Kontrolle“, urteilte Obama in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CBS. Die Stellungnahme wurde in Lateinamerika mit großem Interesse wahrgenommen: Erstmals erkannte schließlich ein US-Staatschef an, dass das Drogenproblem auch in den Konsumentenstaaten angegangen werden muss.

Wenige Wochen vor Obamas Interview hatten bereits drei ehemalige lateinamerikanische Präsidenten für Aufsehen gesorgt. César Gaviria (Kolumbien), Ernesto Zedillo (Mexiko) und Fernando Henrique Cardoso (Brasilien) plädierten Mitte Februar auf einer Fachkonferenz in Brasilien für die teilweise Legalisierung leichter Drogen wie Marihuana. So könne den Drogenkartellen das Wasser abgegraben werden. Der Vorschlag wurde auf staatlicher Ebene zwar nicht weiter verfolgt. Die Debatte um einen politischen Strategiewechsel im Kampf gegen die Drogenmafia aber ist in vollem Gange.

Grenzen sollen in beiden Richtungen kontrolliert werden

Ein effektives Vorgehen gegen das Drogenproblem könne nur „beidseitig“ stattfinden, gestand auch US-Präsident Obama ein. Zugleich wies er auf die wachsende Unsicherheit an der Südgrenze hin.

Ich denke nicht, dass es sich dabei um eine existenzielle Gefahr handelt. Aber es ist eine ernstzunehmende Gefahr für die Gemeinden und sie ist außer Kontrolle.

US-Präsident Obama

Das Problem müsse „auf einem zweispurigen Weg“ angegangen werden, indem auch in den USA effektive Anti-Drogen-Strategien entwickelt werden. Dies betreffe zum einen die hohe Nachfrage vor allem an Marihuana und Kokain. Zum anderen stamme ein Großteil der Waffen, mit denen südlich der US-Grenze die Drogenkriege ausgefochten werden, eben aus den USA. In einem ersten Schritt wurden in den vergangenen Wochen 360 Bundesbeamte an die Grenze zu Mexiko entsandt. Die Stationierung der Nationalgarde an der Grenze schließt Obama zwar nicht aus. Zunächst wolle man dem Problem auf polizeilicher Ebene Herr werden, heißt es in Washington. Ein zentraler Punkt dabei: Die Kontrolle des Grenzverkehrs aus den USA nach Mexiko. Nach dem 11. September 2001 waren die lediglich die Kontrollen des Einreiseverkehrs in die USA verstärkt worden.

Dass sich diese Strategie lohnt, wurde in den vergangenen Wochen bereits deutlich. Der Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters, Robin Emmott, verweist darauf, dass lediglich im Februar an dem US-mexikanischen Grenzübergang Laredo in Texas 5,5 Millionen US-Dollar Drogengelder sichergestellt wurden. „In anderen Orten waren die Funde sogar noch größer“, schreibt Emmott. Die Ankündigung des US-Präsidenten, die Grenzen auch auf US-amerikanischer Seite einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen, stößt bei Lokalpolitikern deswegen auf eine positive Resonanz. „Der Plan Obamas ist ein guter Anfang“, sagt der Bürgermeister des mexikanischen Grenzortes, Raúl Salinas, „aber wir brauchen hier mehr Polizeibeamte“. Eine konkrete Strategie zur Umsetzung, so Salinas, sei noch nicht erkennbar.

Debatte um Legalisierung und die Rolle der Rüstungsindustrie

In Lateinamerika läuft derweil eine Debatte über Alternativen zu bisherigen rein repressiven Strategien gegen den Drogenhandel. Mitte Februar forderten die drei ehemaligen Staatschefs von Brasilien, Kolumbien und Mexiko die Legalisierung von Besitz und Konsum weicher Drogen wie Marihuana.

Ein solcher Paradigmenwechsel sei nötig, weil das rein militärische und polizeiliche Vorgehen gescheitert ist, sagten die Vertreter des Think-Tanks Kommission Drogen und Demokratie, dem 17 politische Persönlichkeiten aus Lateinamerika angehören. Sie alle haben Erfahrungen mit den negativen Auswirkungen des Anti-Drogen-Kampfes gemacht. Neben den Expräsidenten Cardoso, Gaviria und Zedillo gehört der Kommission unter anderen auch der einstige Bürgermeister der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá Antanas Mockus Sivickas an. Alle bisherigen Strategien gegen den Drogenhandel basieren auf „Vorurteilen und Ängsten“, kritisierte Gaviria, der den Legalisierungsvorschlag vor zwei Wochen erneut auf der 52. Tagung der UN-Suchtstoffkommission in Wien vorbrachte.

Der Vorschlag der politischen Persönlichkeiten wurde in Wien zwar mit Interesse, jedoch verhalten aufgenommen. Die Widerstände gegen ein Umdenken mögen auch darin begründet sein, dass der Kampf gegen den Rauschgifthandel für alle beteiligten Seiten ein lukratives Geschäft ist. Die lateinamerikanischen Kartelle können sich auf stabile Preise verlassen und auch die Rüstungsindustrie profitiert.

184 Millionen US-Dollar will US-Präsident Obama für weitere militärische und polizeiliche Aufgaben zur Verfügung stellen – neue Ausrüstung eingeschlossen. Schon jetzt stammen nach mexikanischen Angaben 95 Prozent der mittleren und kleinen Waffen der Drogenbanden aus den USA, wo sie legal erworben werden. Und schließlich profitiert die US-Rüstungsindustrie auch in großem Maße. 80 Millionen US-Dollar wurde Mexiko zuletzt von der US-Regierung zur Verfügung gestellt. Die Mittel sind zweckgebunden: Von den Geldern sollen Militärhubschrauber des Typs „Blackhawk“ für die mexikanische Armee gekauft werden. Sie stammen von dem US-Unternehmen Sikorsky Aircraft Corporation.