Antarktis: Wilkins-Schelf verliert den letzten Halt

Die Energie- und Klimawochenschau: Während in der Antarktis die Eisberge splittern und im Norden die Schmelz-Saison beginnt, wird in Bonn zäh um den Klimaschutz gerungen

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Jüngste Nachrichten von den Polen bilden eine dramatische Untermalung der Gespräche, die noch bis Mittwoch auf Einladung der Klimaschutzrahmenkonvention UNFCCC in Bonn stattfinden. Im Norden hat das Meereis seine jährliche Maximalausdehnung überschritten, und startet in die Schmelzsaison so dünn wie nie zuvor seit Menschengedenken. Im Süden zeichnet sich unterdessen der Zusammenbruch einer weiteren Eisschelfs ab.

Wie letzte Woche berichtet, droht am Rande der antarktischen Halbinsel der Verlust eines weiteren Eiskörpers, der die vom Land zum Meer drängenden Gletscher abbremst. Der bedrohte Wilkins-Schelf ist eine jener Gletscherzungen, die oft mehrere 100 Meter dick in den Buchten vor der Küste schwimmen, sich am Untergrund oder kleinen Felsinseln verhaken und so den Fluss der Gletscher ins Meer drosseln.

Übers Wochenende ist nun auch die letzte Eisbrücke zersplittert, die die Eismasse noch an einer vorgelagerten Insel stabilisierte. Die Internetseite des US-Magazins National Geographic veröffentlichte eine Satellitenaufnahme der Europäischen Raumfahrtagentur ESA (siehe unten), auf der das Zerbrechen des Eises zu erkennen ist. Die ESA beobachtet die Region regelmäßig und stellt die Aufnahmen zeitnah ins Internet.

Die Tatsache, dass die Eisbrücke in hunderte kleiner Eisberge zerborsten ist, demonstriert, unter welcher Spannung sie gestanden hat, und ist damit zugleich ein Hinweis auf die Kraft, mit der das Eis vom Land nachschiebt. Die dortigen Gletscher fließen übrigens allein schon aufgrund ihres Eigengewichts auseinander, da Eis sich nicht wie ein starrer Körper, sondern eher wie ein besonders zähes Gel verhält. Die Neigung des Geländes verstärkt gegebenenfalls den Abfluss noch.

Bild: ESA

Die eigentliche Bedeutung des Verlustes liegt also darin, dass die auf dem Land liegenden Gletscher destabilisiert werden, was wiederum Auswirkungen auf den Meeresspiegel haben wird. Dabei spielt es keine Rolle, dass in der Antarktis die Lufttemperaturen auch im Sommer (anders als in der Arktis) meist unter dem Gefrierpunkt bleiben. Eis geht dennoch verloren, zum einen durch das so genannte Kalben, das heißt, das Abbrechen von Gletschern an den Rändern des Schelfeises, zum anderen durch Tauen an dessen Unterseite. Dort liegt nämlich die Temperatur des Wassers, das durch wärmere Meeresströmungen herangeführt und vom Eis gegen Auskühlung isoliert wird, oft über dem Gefrierpunkt.

Dünner als je zuvor

Ganz anders hingegen die Verhältnisse in der Arktis, wo der überwiegende Teil der Eisfläche aus gefrorenem Meereis besteht. Diese ist wesentlich dünner als das vom Land ins Meer gedrückte Schelfeis. Und es wächst durch das Gefrieren an der Unterseite und an den Rändern hauptsächlich im Herbst und Winter. Im Sommer taut es hingegen an der Oberfläche und an den Rändern. Auf den Meeresspiegel hat dieser Vorgang im Gegensatz zum Schicksal der grönländischen und antarktischen Gletscher keinen Einfluss, wohl aber auf das regionale und globale Klima.

Zieht sich nämlich wie in den letzten Jahren der Eispanzer auf dem Nordpolarmeer während des Sommers immer weiter zurück, so passiert zweierlei: Zum einen vermindert sich die Rückstrahlung des Sonnenlichts, denn die Wasseroberfläche ist wesentlich dunkler als das Eis. Mehr Sonnenenergie dringt in das Klimasystem ein, anstatt direkt in den Weltraum reflektiert zu werden. Die Mengen, um die es dabei geht, sind durchaus beachtlich, denn nördlich des Polarkreises steht die Sonne zwar auch im Sommer nur tief, aber sie scheint rund um die Uhr.

Zum anderen erwärmt sich durch diese drastisch veränderte Energiebilanz die ganze Region und damit auch die Böden Sibiriens und des arktischen Nordamerikas. Der so genannte Permafrost beginnt zu tauen. Das hat fatale Folgen für Gebäude und Infrastruktur, die bisher den dauerhaft gefrorenen Boden als Fundament nutzen. Gravierender sind aber noch die globalen Auswirkungen, denn in den Böden sind große Mengen organischen Materials konserviert, das nun zersetzt wird und in der Form der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan (vgl. Zeitbombe in der Arktis) in die Atmosphäre gelangt.

Vor diesem Hintergrund sind die neuesten Nachrichten aus der Arktis nicht gerade beruhigend. Am Montag berichteten die US-Raumfahrtbehörde NASA und das ebenfalls US-amerikanische National Snow and Ice Data Centre NSIDC, dass das Eis auf dem Nordmeer gerade seinen Höhepunkt überschritten hat und so dünn wie nie zuvor ist. Das ist das Ergebnis von Abschätzungen des Eisalters aufgrund von Satellitenmessungen.

Bild: The National Snow and Ice Data Center, courtesy J. Maslanik and C. Fowler, University of Colorado

Wie viel Eis letztendlich in diesem Sommer verschwindet, wird natürlich auch von den jeweiligen Wetterbedingung abhängen. Dabei spielen nicht nur die Temperaturen eine Rolle, sondern auch Stärke und Richtung der Winde. Sie können einerseits Eisschollen zusammen schieben und somit für die Akkumulation dickeren Eises beitragen, andererseits treiben sie aber auch dickes, mehrjähriges Eis durch die Grönlandstraße aus der Arktis hinaus in wärmere Gewässer. Auf jeden Fall gilt aber, dass, je jünger (dünner) das Eis, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es gänzlich auftaut oder zusammen geschoben wird. Rekordniedrige Eisbedeckungsraten im Spätsommer, so wie in den Vorjahren liegen damit auch 2009 im Bereich des Möglichen.

Die Bedeutung dieser Vorgänge im hohen Norden ist übrigens völlig unabhängig davon, was gerade in der Antarktis passiert. Das dortige Meereis, das keinen eindeutigen Trend zeigt, könnte sich noch weit ausdehnen. Dennoch die arktische Tundra auftauen, wenn das dortige Eis im Sommer verschwindet. Deshalb macht es auch keinen Sinn, wenn Warnrufen angesichts der Entwicklung rund um den Nordpol mit Verweisen auf den weniger eindeutigen Trend in der globale Eisbedeckung (also den addierten Flächen von Arktis und Antarktis) begegnet wird, wie es gelegentlich vorkommt.

Gespräche in Bonn

Die Nachrichten aus Arktis und Antarktis bildeten in den letzten eineinhalb Wochen sozusagen den Rahmen für ein Treffen von Klima-Diplomaten, das in Bonn noch bis zum morgigen Mittwoch stattfindet. Dort hat das Sekretariat der UN-Klimaschutzrahmenkonvention (UNFCCC) seinen Sitz, das derzeit die Vorverhandlung für die nächste große Weltklimakonferenz organisiert. Nach der bisherigen Planung wird sich die Runde der Vertreter aus 175 Ländern im Juni wiedertreffen, aber derzeit sieht es danach aus, dass wegen der geringen Fortschritte zusätzliche Treffen abgehalten werden müssen.

In Kopenhagen steht ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll auf der Tagesordnung, das unter anderem regelt, um wie viel die Industriestaaten ihre Emissionen mindern müssen. Ende 2012 läuft es aus - und angesichts der Langsamkeit des Verhandlungsprozesses ist es höchste Zeit, dass ein neues Abkommen oder eine Fortschreibung des alten (wie einige Staaten verlangen) unterschrieben wird.

Vor eineinhalb Jahren war auf der vorletzten UN-Klimakonferenz auf Bali ein Fahrplan für die Verhandlungen verabschiedet worden. In dem hatte es – noch unverbindlich – geheißen, dass die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 25 bis 40 Prozent kürzen sollen. Inzwischen schießen sich die Entwicklungsländer auf eine Forderung von 40 Prozent ein.

Für Deutschland, wo die Koalitionsregierung diese Zahl bereits als interne Zielmarke ausgegeben hat, dürfte das nicht allzu schwer zu erreichen sein. Andere Länder müssten sich hingegen reichlich anstrengen. Vor allem die USA bräuchte eine Revolution ihres Energiesektors, denn dort hat man auch nach 1990 trotz gegenteiliger Verpflichtung aus der Rahmenkonvention die Emissionen munter weiter wachsen lassen. Das Kyoto-Protokoll hatte man zwar nicht ratifiziert, wohl aber – noch zu Bill Clintons Zeiten – die Konvention, die vorsah, dass die Industriestaaten 2000 ihre Emissionen auf das Niveau von 1990 zurückgefahren haben sollten.

Ein weiterer Streitpunkt ist, wie viel Geld die Industriestaaten an die Entwicklungsländer für die Anpassung an jenen Teil des Klimawandels zahlen, der nicht mehr zu verhindern ist. Nach Ansicht der internationalen Hilfsorganisation Oxfam sind dafür 100 Milliarden jährlich nötig, ein Bruchteil dessen also, was derzeit in den USA und Europa in das Finanzsystem gepumpt wird.

Um Geld geht es auch bei der Frage des Technologietransfers. Schon 1992 wurde in der Rahmenkonvention vereinbart, dass die Industriestaaten den anderen Ländern helfen sollen, ihre Wirtschaft von vornherein mit der neuesten klimafreundlichen Technik aufzubauen. Geschehen ist bisher jedoch herzlich wenig, da es einen ewigen Streit über Form und Größe eines Fonds gibt, über dem der Transfer zu organisieren wäre. Das neue Abkommen soll endlich Abhilfe schaffen, doch Bewegung gibt es bisher wenig.