Verantwortung? Dafür ist keine Zeit

Allzu schnell unterschreiben Richter Anträge auf Hausdurchsuchungen. Die mangelnde Prüfung wird durch Arbeitsüberlastung und Personalmangel entschuldigt. Eine zynische Einstellung.

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Wie immer, wenn die Praxis der Hausdurchsuchungen (und der Richtervorbehalt) kritisch beleuchtet werden, findet sich jemand, der die Kritik damit zusammenfasst, dass es nur um mehr Personal für Ermittlungsbehörden (oder mehr Richter) ginge. Dabei ist dies ein Freibrief für diejenigen, die die Verantwortung für die unrechtmäßigen Hausdurchsuchungen tragen.

Unsere Akkordarbeiter stehen halt unter Druck

Laut Wikipedia handelt es sich bei Ermittlungsrichtern um Richter, welche "Entscheidungen treffen können, die einen so schweren Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen beinhalten, dass deren Anordnung von Verfassungs wegen Richtern vorbehalten bleibt" (daher der Begriff Richtervorbehalt, der eine Sicherheit suggeriert, die nicht vorhanden ist). Schon auf Grund dieser hohen Verantwortung wird gemeinhin davon ausgegangen, dass die Richter die Anordnungen gewissenhaft prüfen und erst dann eine Entscheidung treffen. Dies wäre angesichts der Schwere der Eingriffe nicht nur logisch, sondern schlichtweg auch selbstverständlich. Studien wie die zur Telefonüberwachung zeigten auf, dass das Gegenteil der Fall ist.

Nicht nur Richter, sondern auch die Staatsanwaltschaften, so die Studie, wiesen hier eklatante Mängel in Bezug auf ihre Pflichten auf. Ca. 75% der Anordnungen auf eine Telefonüberwachung waren nicht vollständig, ca. 70% der staatsanwaltschaftlichen Anträge wiesen den gleichen Makel auf. Dies deutete nicht nur darauf hin, dass die staatsanwaltschaftlichen Begründungen kritiklos übernommen wurden, es war auch ein Beleg dafür, dass Ermittlungsbehörden wie auch -richter sich wie Akkordarbeiter verhalten, welche jeglicher Haftung enthoben sind.

Um einmal einen Vergleich zur Privatwirtschaft zu bemühen: Stellen wir uns einfach vor, ein Autohersteller würde seine Bremsen und Airbags im Akkord herstellen, Sicherheitsprüfungen wegen des Zeitmangels außen vor lassen und bei einem durch seine schadhafte Ware verursachten Unfall lapidar mitteilen, dass er keinen Grund dafür sieht, sich zu entschuldigen, er wäre davon ausgegangen, dass er richtig handele. Süffisant würde er auf eine kärgliche Entschädigung des Betroffenen hinweisen und ansonsten seine Verantwortung mit den Worten: "unsere Mitarbeiter stehen unter Zeitdruck" beiseite schieben. Dies ist letztendlich das Verhalten, das beispielsweise der Ermittlungsrichter Rolf Nitschke (Amtsgericht Braunschweig) im Beitrag des Politikmagazins "Panorama" zeigte. Auf eine vom Bundesverfassungsgericht als nicht legitim angesehene Hausdurchsuchung (sie entsprach nicht der Verhältnismäßigkeit, wie das Gericht urteilte) angesprochen, kam es zu der Frage, ob der Betroffene nicht wenigstens eine Entschuldigung erwarten könne.

O-Ton Panorama: „Könnte man da nicht darüber nachdenken, sich auch an den Betroffenen nochmal zu wenden und sich zu entschuldigen.“

O-Ton Rolf Nitschke, Amtsgericht Braunschweig: „Ich denke nein!“

Tut mir leid, aber ich muss prüfen

Es ist keine Frage, dass Bearbeitungszeiten zwischen 2 und ca. 40 Minuten pro Antrag eine gründliche Prüfung, wie es für einen Grundrechtseingriff selbstverständlich sein sollte, nicht zulassen. Sich hinter der Maske des Überforderten zu verstecken kann aber keine Lösung sein. Es reicht nicht aus, hier nur in regelmäßigen Abständen nach Personal zu rufen, wenn einerseits die (sich ebenfalls auf Personalmangel beziehenden) Ermittlungsbehörden bereits schlampig arbeiten, andererseits aber die Richter ihrer Verantwortung nicht gerecht werden und sich als Opfer der Einsparungen wähnen. In der auch für Politiker üblichen Machtlosigkeitsrabulistik wird somit die eigene Rolle nicht beleuchtet, sondern lediglich das Märchen vom hilflosen Rad im Getriebe weitergesponnen.

Will ein Richter somit also dem nachkommen, was seine Aufgabe ist, dann muss er hier Rückgrat beweisen und sich die Zeit für die notwendige Prüfung nehmen, auch wenn dies bedeutet, dass so pro Tag statt 25 nur 2,5 Anträge bearbeitet werden können (oder gar weniger). Diese Chuzpe würde eine nicht unerhebliche Außenwirkung entfalten. "Pro Tag können 23 Hausdurchsuchungsanordnungen nicht bearbeitet werden." wäre ein Thema, was, einmal in den Medien, das Augenmerk auf die Probleme von Richtern und Ermittlungsbehörden lenken würde. Wenn aber lediglich, und das meist mit erheblichen finanziellen Einbußen, diverse Hausdurchsuchungen im Nachhinein als nicht den Gesetzen entsprechend bewertet werden, so findet sich dies nur als Randbemerkung in den Medien wieder, wird somit also von der Bevölkerung, die dieses Problem direkt betrifft, kaum wahrgenommen.

Auch die Ermittlungsbehörden könnten, würden sie ihrerseits ihrer Sorgfaltspflicht und Verantwortung gerecht werden wollen, durch ein vehementes Beharren auf die Zeit, die eine solche Sorgfalt mit sich bringt, auf Missstände aufmerksam machen, statt sich hier in Opferpose zu werfen. Doch beide Verhaltensweisen sind nicht festzustellen, stattdessen wird das Mantra der "zu schwachen Personaldecke" so lange wiederholt, bis es als Lösung akzeptiert wird. Doch es sollte dabei nicht vergessen werden, dass die Anzahl der Gesetze und Verordnungen stetig steigt, während es selten dazu kommt, dass Regelungen zurückgenommen werden. Dies bedeutet, dass eine stärkere Personaldecke das Problem lediglich verlagern würde. Oder einfach ausgedrückt: Wenn heutzutage ein Ermittlungsrichter pro Tag 25 Anordnungen unterzeichnen muss, nutzt es wenig, wenn er einen Kollegen bekommt, durch neue Gesetze aber so viele neue Straftatbestände hinzukommen, dass sich die Anzahl der Anordnungen drastisch erhöht. Im Extremfall wären dann statt einem Richter für 25 Anordnungen zwei Richter für 50 Anordnungen zuständig, was niemanden weitergebracht hätte, solang sich nicht bei Richtern wie auch Ermittlungsbehörden ein Bewusstsein für ihre Verantwortung herauskristallisiert. Wer über Grundrechtseingriffe entscheidet (und wer diese verlangt) sollte sich nicht auf Personalmangel herausreden dürfen, sondern seiner Rolle entsprechend agieren. Vermeintlich hilflose Opfer mit treuherzigem Augenaufschlag, die von Überlastung reden, aber nicht wirklich aktiv werden, sind ein Schlag ins Gesicht für all jene, die unter den Hausdurchsuchungen zu leiden haben, die von diesen "Opfern" allzu leichtfertig beantragt und angeordnet werden.