Nehmen die somalischen Piraten nur ihr Recht wahr?

Der Pirateriebericht der Vereinten Nationen und das Internationale Seerecht

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Der UN-Generalsekretär hat Mitte März einen Bericht zur Piraterie vorgestellt. In dem Bericht fordert Ban Ki-Moon die Staaten dazu auf, Gesetze zu ändern und das sogenannte „opposed boarding“ von Schiffen zu erlauben. Bislang dürfen dies nämlich noch nicht einmal Militärs, Polizeikräfte und andere Einsatzkräfte. Wenn der Kapitän es nicht zulässt, dürfen Schiffe auf Hoher See nur dann aufgeentert werden, wenn Piraten sie gerade attackieren oder sich bereits in deren Gewalt befinden. Selbst in Küstennähe dürfen die Anrainerstaaten nur gegen Piraten vorgehen, wenn sie genau nachweisen können, dass es sich auch wirklich um solche handelt.

Der Bericht beruft sich u.a. auf das International Maritime Bureau (IMB). Dieses dokumentiert eigentlich, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Piratenüberfälle gesunken ist. Allerdings beziehen sich die Autoren des UN-Berichts nur auf die Pressemitteilung des IMB, und das vergleicht lediglich die Zahl der Piratenüberfälle 2007 mit denen von 2008, die gestiegen sind (Von Spin-Doktoren, Speedbooten und der Shoppingliste der See-Piraten).

Obwohl es jetzt weniger Überfälle gibt, eskaliert die Situation vor Somalia. Immer mehr Staaten schicken Kriegsschiffe. Weshalb? Nach Angaben des UN-Generalsekretärs wurde in den vergangenen 16 Jahren massiv und kontinuierlich gegen das totale Waffenembargo verstoßen. Auf diese Weise hätten die Waffenlieferanten die Piraten munitioniert. Weitere Namen oder Hintergründe führt der Generalsekretär allerdings nicht auf. In seinem Bericht bezieht er sich auf die Somalia-Berichterstattungsgruppe, die im Dezember vergangenen Jahres auf die Verknüpfung von Waffenhandel, Piraterie und Schmuggel im Golf von Aden hingewiesen hatte.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass ausgerechnet das Internationale Seerecht seiner eigenen Organisation, die United Nations Convention on the Law of the Seas (UNCLOS) der Umweltverschmutzung und Gefährdung durch radioaktive und toxische Stoffe Tür und Tor geöffnet hat. Formal nimmt in dem Gesetz zwar der Umweltschutz einen breiten Raum ein. Wer sich die Paragraphen aber genau durchliest, stellt fest, dass selbst Schiffe, die nuklear betrieben sind, atomare oder andere giftige Substanzen transportieren, dieses nur angeben müssen. Mehr ist nicht vorgesehen. Die Dokumente müssen einwandfrei sei, viel mehr aber auch nicht. Eine atomare Katastrophe auf See lässt sich so wahrlich nicht verhindern. Und dies ausgerechnet in Zeiten, in denen gerne vor der sogenannten „schmutzigen Bombe“ gewarnt wird. Dabei landet die „schmutzige Bombe“ in den Weltmeeren – täglich.

Nach internationalem Seerecht wird gemäß § 9 nur grober Vorsatz und schwerwiegende Verschmutzung geahndet. Abfälle hingegen dürften in das Meer gelangen, wenn, so UNCLOS, dies sich halt nicht vermeiden lasse – weil die Schiffe, Plattformen, Flugzeuge oder andere Einrichtungen z.B. nicht dicht sind. Dieser Gummiparagraph ist sozusagen der Freibrief für´s Dumpen und erklärt auch, weshalb hin und wieder gemeldet wird, dass Flugzeuge (angeblich) geeiste Toilettenabfälle (über Land) verlieren. Denn wenn dieses Manko als technisch üblich eingestuft wird, ist es möglich, auch im großen Stil Abfälle per Flieger über dem Meer abzulassen. Negative Auswirkungen auf die Umwelt müssen erst nachgewiesen sein.

Offiziöse Wissenschaftler verneinen allerdings gern Gefahren durch sogenannte Niedrigstrahlung sowie bestimmter Chemikalien und Pharmaka. So lange aber das Gefährdungspotential umstritten ist, gibt es – zumindest durch das Internationale Seerechtsübereinkommen - keine Handhabe dagegen. Meeresforschung ist strenger reglementiert als ausgerechnet der Schutz des Meeres. Laut § 40 darf nur explorieren, wer dazu die Genehmigung des Küstenlands hat.

Offenbar geht die UN davon aus, dass es sich bei der angeblichen Meereserforschung in Wahrheit um Spionage handelt. Raubfischer hingegen, die der Bevölkerung die Lebensgrundlage wegfischen, dürfen noch nicht einmal inhaftiert werden; es sei denn, es gäbe entsprechende bilaterale Abkommen, so heißt es in § 73. Auch wenn § 69 und 70 formal solchen Ländern besonderen Schutz einräumen, die von der Fischerei abhängig sind. Schutz vor dem Totalausverkauf aus Armut bieten sie nicht – so wie es gerade in Afrika durch China geschieht.

Piraten als Marine der Warlords

Kein Wunder also, wenn manche das Recht selbst in die Hand nehmen. Einige Piraten berufen sich darauf, sich nur gegen räuberische Industrietrawler und Giftmüllkapitäne zu wehren. Der UN-Generalsekretär schildert, dass die prominentesten Piraterie-Milizen ihre Wurzeln in der Fischerei haben. Der Report nennt Puntland und den Distrikt um Eyl als Zentren. Die sogenannte Eyl-Gruppe soll allein 2008 rund 30 Millionen US-Dollar Lösegeld eingenommen haben, indem sie sechs Schiffe überfiel. Der ukrainische Frachter MV Faina, der Waffen geladen hatte, wurde laut UNO vom Suleiman/Habar-Clan der sogenannten Mudug-Gruppe überfallen, die von Xarardheere operiert.

Das Internationale Seerechtsübereinkommen erlaubt in § 56 Küstenländern, in der Wirtschaftszone Zölle zu erheben, die Fischereirechte zu sichern und die Umwelt zu schützen. Lösegeldzahlungen an Piraten wären demnach nichts anderes als rechtmäßiger Tribut. Nähmen sich also die Warlords einen Anwalt und beriefen sich auf diesen Paragraphen, gäbe es einen interessanten Prozess vor dem Hamburger Seegerichtshof. Zumal ihnen die Prozessgegner erst einmal nachweisen müssten, dass sie Piraten sind. § 62 und § 106 des UNCLOS sehen nämlich sogar eine Entschädigung vor, sollte sich herausstellen, dass einem Schiff nicht nachgewiesen werden kann, dass es in Piraterie, Sklaven- oder Drogenhandel involviert ist. Ausgerechnet die Billigflaggen könnten davon profitieren. Auch Kriegs- und Regierungsschiffe genießen nach § 95 bzw. 96 des Internationalen Seerechts Immunität. Da die Piraten sozusagen die Marine der (somalischen) Warlords sind, könnten sie eigentlich sogar das geltende Recht in Anspruch nehmen. Wie der Hamburger Seegerichtshof dann entscheiden müsste, wäre juristisch von prägender Bedeutung.

Wohl auch deshalb deutet der Generalsekretär düster an: Die Situation im Golf von Aden und vor der somalischen Küste sei so komplex und kompliziert, dass selbst das Sekretariat der Vereinten Nationen überfordert sei. Das sagt eigentlich alles.

Der UN-Generalsekretär kommt zu dem Fazit, es bedürfe einer zentralen Führung, um das Problem zu lösen. Bis dahin müsse es weitere regionale Konferenzen und bi- sowie mulilaterale Abkommen geben. Die UN sieht sich mehr als zentrale Sammelstelle für Informationen aller Art. Von wem die kommen, wird allerdings nicht explizit genannt. Inwieweit Nachrichtendienste aus aller Welt Erkenntnisse beisteuern, ist in dem Report nicht weiter aufgeführt.

Ansonsten sind weitere militärische Einsätze in der Region vorgesehen. Nicht nur die deutsche Marine darf gegen angreifende Piraten einschreiten, sondern auch die Bundespolizei und andere Kräfte – solange das Schiff oder das Flugzeug deutlich als regierungseigen zu erkennen ist. Dies sieht § 107 von UNCLOS vor. US-Schiffe wechseln beispielsweise schon heute einfach die Flagge und sind wahlweise Marine oder Küstenwache. Zu DDR-Zeiten mussten Frachter jederzeit binnen kürzester Zeit mit grauer Farbe angestrichen und als Kriegsschiff umgerüstet werden können.

Kollisionen sind straffrei

Gegen Piratenschiffe, die in den Gewässern unterwegs sind, aber nicht auf frischer Tat ertappt werden, hilft nur § 97. Kollisionen bleiben nämlich straffrei. Und so, wie früher Detektive und berühmte Privatagenten gerne einmal Auffahrunfälle verursachten, um auf diese Weise den Halter zu ermitteln, können Auffahrunfälle auf Hoher See nicht geahndet werden. Ein juristisches Schlupfloch also für das eigentlich nicht erlaubte Boarden.

Eine weitere Möglichkeit bietet UNCLOS mit § 60. Künstliche Inseln dürfen errichtet werden. Für sie gelten all die anderen Paragraphen nicht. Würden sich also Einsatzkräfte statt auf Booten auf solchen artifiziellen Inseln befinden, könnten sie gegen Piraten vorgehen; zumindest gibt es in dem Gesetz kein eindeutiges Verbot.

Solche schwimmenden Gebilde gibt es bereits u.a. in der Arktis – wenn auch hauptsächlich für geheimdienstliche Zwecke. Dies schreibt der amerikanische Fachautor James Bamford in seinem Buch über die US-Abhörbehörde National Security Agency NSA „Body of Secrets“. Klassische Counter-Insurgency wäre eine weitere Möglichkeit, Piraten zu bekämpfen – dann würden sich gewissermaßen Clans untereinander bekriegen. Oder aber die Piratenbekämpfung würde ausgeflaggt. Eine solche Möglichkeit offerieren private Militärdienstleister.

Würde die Mannschaft aus Drittstaaten kommen und sich auf einem Boot befinden, das unter sogenannter Billigflagge fährt oder als Schiff einer Regierung deklariert ist, die es mit dem Recht nicht ganz so genau nimmt, könnte sich die Truppe Scharmützel mit Piraten liefern. Dies wäre zwar ein Verstoß gegen das Internationale Seerecht, aber nur schwer zu ahnden. Es gilt nämlich das Flaggenstaatprinzip. § 97 des UN-Seerechts sieht vor: eine Lizenz darf nur das Land entziehen, das sie erteilt hat. Also z.B. Länder wie Liberia, Haiti oder andere. Bei den Piraten wären es die Warlords. Und all dies wäre formal konform mit dem Gesetz der Vereinten Nationen. Kein Wunder, dass der Generalsekretär in seinem Bericht resigniert hat. Vor Gericht und auf Hoher See...