Lügen und Kinderpornographie

Das Justizministerium, das Familienministerium und das BKA

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach dem Gesetz, das dem Bundeskriminalamt geheimdienstähnliche Befugisse gibt, erhebt der heute vom Bundeskabinett beschlussene Entwurf zur Sperrung von Kinderpornographieseiten das BKA gleich zur Allmacht, die nicht nur Ankläger, sondern auch Richter und Vollstrecker sein darf. Und wie es sich für Allmächtige gehört, dürfen sie lügen und betrügen. Und auch das Justizministerium äußerst sich in einer Form, die jeglichem Bürgerrechtler die Haare zu Bergen stehen lassen muss.

Der heute vom Kabinett verabschiedete Entwurf des Gesetzes zur "Bekämpfung von Kinderpornograhie in Kommunikationsnetzen" hat einmal öfter gezeigt, dass die Aussagen, die sowohl die Bundesfamilienministerin als auch das BKA zum Thema Netzsperren tätigten, auf Lug und Trug basierten. Diese Aussagen waren schlichtweg Beruhigungspillen für diejenigen, die bereits das Schlimmste vermuteten und sich nun in diesen Ahnungen bestätigt sehen.

Es wird doch nicht mitgeloggt, wer auf die gesperrten Seiten zugreift

Stolz hielten sie den Entwurf für das Stoppschild in die Kamera, welches beim Aufruf einer gesperrten Seite zu sehen sein sollte: Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen sowie BKA-Chef Jörg Ziercke konnten gar nicht genug lächeln.

Wer die Entwicklung bis zum heutigen Kabinettsbeschluss mitverfolgt hat, der kann dieses zufriedene Lächeln verstehen, denn die für ihre Rabulistik bekannten Protagonisten hatten es erneut geschafft, durch gezielte Irreführung einen Teil der Kritik an den Netzsperren verstummen zu lassen. Auf dem Stoppschildentwurf fand sich nämlich ein Passus, der suggerierte, dass Zugriffe auf die gesperrten Seiten nicht mitgeloggt werden. Wer aber genau las, der musste erkennen, dass diese Versicherung nur halb richtig war.

"Weder Informationen zu Ihrer IP-Adresse noch andere Daten, anhand derer Sie identifiziert werden könnten, werden vom Bundeskriminalamt gespeichert, wenn diese Seite erscheint. Die Sperrung dieser Webseiten erfolgt ausschließlich, um die kriminelle Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs und die weitere Ausbeutung der Kinder zu erschweren.

Der wichtige Teilsatz hierbei lautet: "werden vom Bundeskriminalamt gespeichert". Tatsächlich wird das BKA diese Daten nicht erheben, bereits im Gesetzentwurf vom 1.04.2009 findet sich allerdings folgende Bestimmung:

Die Diensteanbieter dürfen, soweit das für die Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 4 erforderlich ist, personenbezogene Daten erheben und verwenden. Diese Daten dürfen für Zwecke der Verfolgung von Straftaten nach § 184b des Strafgesetzbuchs den zuständigen Stellen auf deren Anordnung übermittelt werden.

Gesetzentwurf vom 1.4.2009

Das BKA hat also nicht zuletzt durch das medienträchtig herumgereichte Stoppschild, gemeinsam mit Frau von der Leyen, den Eindruck (erfolgreich) erweckt, dass die IP-Adressen der Aufrufenden nicht mitgeloggt werden, wohingegen diese Datenspeicherung lediglich auf die Diensteanbieter abgewälzt wurde. Über diesen Umweg erhält das BKA die Daten natürlich dennoch, doch können sie weiterhin von sich sagen, dass sie nicht mitloggen. Nicht zuletzt dürfte es nach dem Eklat um die gefälschten Beweismittel, die Falschaussagen und das Loggen von IP-Adressen derer, die auf bestimmte Seiten des BKA zugriffen für die Behörde schon allein aus Imagegründen sinnvoller sein, momentan von einer heiklen Log-Strategie Abstand zu nehmen.

Ein solches Vorgehen passt zum bisherigen Verhalten des BKA sowie der Familienministerin, die mit Halbwahrheiten, Ungenauigkeiten, aufgeblähten Zahlen und anderen Scheinargumenten die emotionale Klaviatur zu bedienen wusste. Ausgerüstet mit einem atavistisch anmutenden Mutterinstinkt, rabulistischem Können und wenig Fachwissen gelang es der siebenfachen Mutter, eine Zensurstruktur ins Leben zu rufen und von den Providern befürworten zu lassen, welche im Gewand der Kinderpornographiebekämpfung daherkam und somit jeden Kritiker in die Ecke der Kinderschänder rückte.

Wie erfolgreich diese Strategie war, lässt sich an dem Beispiel eines Users sehen, der bei seinem Provider wegen eines Sonderkündigungsrechtes auf Grund der neuen Situation anfragte. Provokant formulierte er, wie er die Provider, sollten sie sich durch Verträge zur Zensur hinreißen lassen, sehen würde:

Als bisheriger Kunde möchte ich Sie darum bitten, diesen Vertrag nicht zu unterschreiben, da Sie ansonsten direkt verfassungsfeindlich handeln würden und neben diversen anderen Gruppierungen wie die NPD, die KPD, Al-Quaida usw. zu den Terroristen und Extremisten in der Gesellschaft zählen

Die Antwort, die der Provider sandte, bestand zwar im wesentlichen nur aus einer kurzen Infomail, doch interessanterweise war, wie so oft üblich bei Behörden, der gesamte bisherige Emailverkehr bezüglich der Anfrage angehängt. Und dieser Mailverkehr offenbarte, dass sich der Gedanke, hier ginge es nur um Kinderpornograhie, Kritiker würden somit an Kinderpornographie interessiert sein, bereits erfolgreich in den Köpfen eingenistet hat. So schreibt Frau Anja H. als Kommentar zu der Anfrage:

Hinweis zur Bearbeitung: Hallo Herr Hxxx, hat er Recht oder ist er nur ein potenzieller Nutzer der demnächst gesperrten Seiten, der nun maulig wird? Bitte um Prüfung oder Weiterleitung. Vielen Dank und frohe Ostertage! Anja Hxxx, VCS Uelzen

Kundenanfrage vom 09.04.2009 19:42

Wir sagen "Springt" und ihr fragt bitte nur: "wie hoch?"

Bedenklich ist auch, dass bei dem Entwurf nunmehr herausgefallen ist, dass es sich lediglich um kinderpornographische Seiten handeln soll, die auf der Sperrliste stehen. So schreibt Thomas Stadler:

Die m.E. einzige inhaltlich relevante Änderung wurde in § 8 Abs. 2 TMG-E vorgenommen. Im Entwurf vom 01.04.09 hieß es noch, dass es sich um Angebote handeln muss, die Kinderpornografie enthalten und auf der Sperrliste aufgeführt sind. In der Beschlussvorlage wurde der erste Teil gestrichen, so dass der Provider sperren muss, sobald ein Angebot auf der Sperrliste aufgeführt ist.

Dies bedeutet, dass die Diensteanbieter verpflichtet sind, die Sperrliste umzusetzen, selbst wenn ersichtlich sein sollte, dass es sich nicht um Kinderpornographieseiten handelt. Zwar steht in der geplanten Änderung des §8a Telemediengesetz, dass die Sperrliste sich lediglich auf Kinderpornographieangebote bezieht, doch sobald - zum Beispiel durch ein Versehen des BKA - eine Seite auf der Sperrliste auftaucht, die dieser Einschränkung nicht entspricht, besteht dennoch zunächst die Verpflichtung, den Zugang zur Seite zu erschweren. Das BKA erhält somit eine Blankovollmacht, die noch dazu deshalb bedenklich ist, da lediglich vorgesehen ist, den Anbietern Auskunft über die gesperrten Seiten zu geben und die Sperrlisten geheim gehalten werden müssen.

Das BKA, das BKA, das BKA hat immer recht

Das BKA erhält durch dieses Gesetz, sollte es in der Form in Kraft treten, eine Allmachtsfunktion. Es erstellt die Listen, es ordnet durch Übersendung der Listen die Sperrung an, es gibt ggf. bei "berechtigtem Interesse" Auskunft darüber, ob und in welchem Zeitraum ein Angebot in der Sperrliste enthalten war, es verwaltet, ändert und korrigiert die Sperrlisten. Jegliche Kommunikation diesbezüglich findet also, fernab von richterlicher Kontrolle und der Möglichkeit für den Nutzer, sich vor einer Sperrung der eigenen Webseite (welche einhergeht mit der Mitteilung, dass hier kinderpornographische Inhalte zu finden sind, wäre nicht das Stoppschild davorgeschaltet) auf dem Rechtsweg oder im Sinne einer Anhörung zu wehren. Das BKA wird somit, wie die Zeit in ihrem Artikel "Keine Allmacht dem BKA" treffend bemerkt, Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person.

Hierbei ist es wichtig zu bedenken, dass in die Sperrlisten auch jene Angebote aufgenommen werden, "deren Zweck darin besteht, auf Kinderpornographieangebote zu verweisen" - auch hier liegt die Definitionshoheit darüber, ob es sich um eine solche Webseite handelt oder nicht, beim BKA.

Um dies einmal zu verdeutlichen:

Hans F. hat auf seiner Domain "www.websperrungen-sind-sinnlos-und-ich-erzaehle-euch-warum.de" einen Link zur Webseite des finnischen Aktivisten Matti Nikki gesetzt. Diese Seite wird derzeit im Sinne des "finnischen Kampfes gegen Kinderporno" gesperrt, obgleich er (in Finnland ansässig) weder angeklagt, noch seine Seite vom Netz genommen wurde. Doch viele Nutzer erhalten eine Warnung, dass sie eine Kinderpornographieseite aufrufen wollten, statt der ursprünglichen Homepage Nikkis. Hans F. hält dies für indiskutabel, was er auf seiner Domain ausführt. Dank whois und Impressum kann jeder, der Hans F.s Seite aufruft, auch herausfinden, wem die Seite gehört bzw. wer sie mit Informationen füllt. Auf Grund der Tatsache, dass Hans F. auf eine "Kinderpornographieseite" verlinkt (schließlich ist Nikkis Seite ja deshalb gesperrt...), wird auch die Webseite des Hans F. gesperrt und das bekannte Stoppschild erscheint.

Hans F. hat somit weder Gelegenheit, sich zu erklären, noch sonstwie zu verhindern, dass seine Webseite als Kinderpornographieseite bezeichnet wird, und dies jedem, der seine Seite aufruft, mitgeteilt wird. Der Provider, der die URL auf der Sperrliste fand, muss diese sperren, er kann also keine Juristen dazwischenschalten. Hans F. ist somit auf Gedeih und Verderb dem BKA ausgeliefert, in der Zwischenzeit wird er als Kinderpornographiehoster denunziert, was ggf. nach einer langwierigen Auseinandersetzung mit dem BKA einmal zurückgenommen wird. Wie der dadurch entstandene Schaden (Verlust von Freunden und Familie sowie Arbeitsplatz, ggf. Bedrohungen usw.) ausgeglichen werden soll, ist nicht nur fraglich, es ist auch im Gesetzesentwurf nicht geregelt.

Geh nicht auf die Schmuddelseiten

Vollends erschreckend ist die Tatsache, dass die Zugriffe auf in den Sperrlisten enthaltene Seiten protokolliert und ggf. dem BKA übersandt werden sollen. Hierzu äußert sich die Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries, auf eine Weise, die sich jeden fragen lässt, ob sie und die anderen, die diese Sperrungsanordnungen befürworten und umsetzen wollen, eigentlich noch mit den Füßen auf dem Boden der Grundrechte und der Rechtstaatlichkeit stehen, oder ob sie die Füße eher dazu nutzen, auf eben diesen Rechten herumzutrampeln bzw. sie in den Boden zu stampfen.

Der Rechtsstaat verlangt laut der SPD-Politikerin aber auch, dass die über die Stopp-Seite ausfindig gemachten Straftäter verfolgt und anklagt werden. Der Entwurf sehe daher vor, dass es für die Strafverfolger möglich sei, "in Echtzeit" direkt beim Provider auf die IP-Adressen der "Nutzer" des virtuellen Warnschilds zuzugreifen. Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe.

Auch hier noch einmal das Beispiel des Hans F.:

Wer auf die Webseite zugreift, bekommt das Stoppschild zu sehen (so er nicht die IP direkt eingibt). Das BKA soll hier also auf die Daten all jener zugreifen können, die, warum auch immer, Hans F.s Webseite aufrufen. Sei es um zu schauen ob das Gerücht, dass Hans F.s Seite gesperrt wurde, zutrifft, um sich die Seite überhaupt anzuschauen, zu überprüfen ob es tatsächlich sein kann, dass eine Seite versehentlich auf die Sperrliste kommt usw. usf. Jeder, der aus welchem Grund auch immer, auf eine Seite zugreift, die sich auf der Sperrliste wiederfindet, wird somit dem Verdacht, Täter zu sein, ausgesetzt.

Anders als anfangs noch mitgeteilt, soll das Stoppschild also nicht etwa vor dem Betreten des Kinderpornographiehauses warnen, bereits das Ansehen des Warnschildes soll schon einen Anfangsverdacht mit sich bringen. Wie der Nutzer nun nachweisen soll, dass es sich bei ihm um ein Versehen handelt, er also auf eine andere Seite zugreifen wollte, bleibt das Geheimnis des Familienministeriums und des BKA. Wie dies mit der Unschuldsvermutung in Einklang zu bringen ist, dass jemand, der auf eine gesperrte Seite, von deren Sperrung er aber dank der geheimgehaltenen Listen nichts wissen kann, zugreift, beweisen soll, dass er eben nicht auf diese Seite zugreifen wollte und dies nur ein Versehen war, ist für einen vernunftbegabten Menschen kaum mehr nachvollziehbar.

Zu vergleichen wäre dies mit einem Menschen, der in einer fremden Stadt ausgesetzt wird und der bei jedem Halt vor einem Stoppschild, obgleich er sofort umdreht, festgenommen wird, da er sich offensichtlich in ein verbotenes Gebiet hin bewegen wollte. Das Internet wird somit dank der geheimen Sperrlisten und der Ansicht, dass jeder, der auf eine gesperrte Seite zugreift, sich automatisch verdächtig macht, zum Minenfeld. Dabei stellt sich nicht zuletzt auch die Frage, warum der Zugriff auf eine Seite, die ja nach Reglement des BKA nur noch ein Stoppschild zeigt, überhaupt strafbar sein soll. Aber auch hier gilt ja: der Betroffene muss nachweisen, dass er nicht auf die ursprünglichen (angeblich kinderpornographischen) Inhalte Zugriff nehmen wollte.

Dies bedeutet schlichtweg auch, dass jegliche Überprüfung der Listen ad absurdum geführt wird. Wer damit rechnen muss, mit einer eilig anberaumten Hausdurchsuchung rechnen zu müssen, nur weil er bei den voraussichtlich irgendwann doch bei wikileaks und Co. auftauchenden Sperrlisten einmal zu oft einen Blick riskiert oder gar eine Seite angeklickt hat, der wird sich dies verkneifen und somit dem BKA blind vertrauen müssen. Eben jenem BKA, dass Beweise gefälscht und vor Gericht Falschaussagen getätigt hat.

Ein erschreckendes und groteskes Triumvirat hat sich gebildet, bestehend aus Frau von der Leyen, Frau Zypries und Herrn Ziercke. Was dieses Triumvirat nunmehr in Gang gesetzt hat, setzt nicht nur die Unschuldsvermutung und die Gewaltenteilung außer Kraft, es lässt auch jeden, der das Internet nutzt, durch ein Minenfeld stolpern, welches nicht einmal - im Gegensatz zum beliebten Spiel "Minesweeper" - die Möglichkeit bietet, sich durch Logik oder Vorsicht vor den Minen zu schützen.