Der Reiz der Dunkelheit

Mit Hilfe eines künstlich durch einen Laser erzeugten Leitsterns werden die Turbulenzen in der Erdatmosphäre gemessen und durch eine Korrekturoptik bis zu 1000 Mal pro Sekunde ausgeglichen. Über der linken Kuppel ist die Kleine Magellansche Wolke zu sehen, das hellste Objekt rechts oben ist der Jupiter. Bild: ESO

Blick ins Dunkle - Teil 2

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Wegen der besseren optischen Auflösung allein muss man heute keine Observatorien mehr im All stationieren. Doch der kosmische Standort bietet noch andere Vorteile. Längere Belichtungszeiten und die Möglichkeit, alle Bereiche des elektromagnetischen Spektrums zu beobachten, haben den Astronomen mehr und mehr die dunklen Bereiche des Universums erschlossen.

Teil 1: Von Galilei über Hubble zu Herschel und weiter

Adaptive Optik

Das Prinzip der adaptiven Optik besteht darin, mithilfe eines Leitsterns die Turbulenzen in der Erdatmosphäre zu messen. Mehrere hundert Mal pro Sekunde werden die durch die Lufthülle verursachten scheinbaren Bewegungen des Sterns registriert und in Echtzeit an Aktuatoren hinter einem Korrekturspiegel im Strahlengang des Teleskops übermittelt, die diese Bewegungen durch gezielte Verformungen des Spiegels exakt ausgleichen.

Dieses Verfahren setzt das Vorhandensein eines geeigneten Leitsterns nahe bei der zu beobachtenden Region voraus. Um auch andere, sternenärmere Himmelsbereiche mit adaptiver Optik beobachten zu können, werden mittlerweile künstliche Leitsterne erzeugt. Hierzu wird ein wenigstens zehn Watt starker Laser der Wellenlänge 589 Nanometer in die gewünschte Richtung gestrahlt, wo er in etwa 90 Kilometer Höhe die dort in einer dünnen Schicht vorhandenen Natrium-Atome zum Leuchten anregt.

Auch bei einem Laser-Leitstern bleibt die Korrektur indessen auf einen schmalen Bereich beschränkt. Zudem sorgt die relative Nähe der künstlich erzeugten Lichtquelle im Vergleich zum beobachteten Objekt für eine systematische Unschärfe, den sogenannten "Kegel-Effekt": Während das Licht eines echten Sterns praktisch aus dem Unendlichen kommt, bilden die leuchtenden Natrium-Atome mit dem Teleskopspiegel einen schmalen Kegel. Ihr Licht durchquert daher etwas andere Luftschichten als das beobachtete Objekt. Der gleichzeitige Einsatz mehrerer Laser, die wechselseitig den Kegel-Effekt kompensieren, soll hier für Abhilfe sorgen und zugleich das Blickfeld der korrigierten Optik erweitern. Die hierfür erforderlichen Algorithmen sind allerdings erheblich komplexer als bei der Verwendung eines einzelnen Leitsterns. Ihre Ausarbeitung dürfte in den kommenden Jahre noch zahlreiche Doktoranden beschäftigen.

Allein wegen der besseren optischen Auflösung muss man Teleskope heute nicht mehr unbedingt im All stationieren: Die gleiche Himmelsregion, beobachtet mit dem Very Large Telescope (links) und mit dem Hubble Space Telescope. Bilder: ESO

Bereits mit dem heutigen Entwicklungsstand der adaptiven Optik übertreffen Großteleskope am Boden mittlerweile das Auflösungsvermögen des Hubble Space Telescope. Im Infrarotbereich des Spektrums bei Wellenlängen über einem Mikrometer wird mit dem VLT sogar das durch die Wellenlänge und den Teleskopdurchmesser vorgegebene theoretische Maximum von etwa 0,1 Bogensekunden erreicht. Bei kürzeren Wellenlängen wird die Korrektur schwieriger, da die adaptive Optik dann noch schneller auf die atmosphärischen Störungen reagieren muss. Riesenteleskope mit Spiegeldurchmessern bis zu 100 Meter, die in den kommenden 10 bis 20 Jahren errichtet werden sollen, könnten ohne adaptive Optik gar nicht sinnvoll betrieben werden.

Zwei Augen sehen mehr als eins

Eine noch höhere Auflösung lässt sich mit interferometrischen Methoden erreichen. Dabei werden zwei oder mehr Teleskope so zusammengeschaltet, dass die von einem Objekt empfangenen Lichtwellen exakt überlagert und gemeinsam fokussiert werden. Auf diese Weise lässt sich eine Auflösung erreichen, die der eines Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser in der Größe des Abstands der beiden Teleskope, der sogenannten Basislinie, entspricht. Beim VLT sind das bis zu 128 Meter, wenn zwei der 8,2-Meter-Großteleskope kombiniert werden sollen. Daneben gibt es noch 1,8 Meter durchmessende Hilfsteleskope, die bei der Beobachtung hellerer Objekte zum Einsatz kommen und auf Schienen bewegt werden können. Mit ihnen lassen sich sogar Basislinien bis zu 200 Meter schaffen.

Blick in den interferometrischen Tunnel am Very Large Telescope der ESO. Durch geringfügige Bewegungen der Spiegel werden die von verschiedenen Teleskopen eingefangenen Lichtwellen zur Deckung gebracht. Bild: ESO

Die hohe Auflösung besteht zwar nur entlang eines schmalen Streifens mit der Breite der Spiegeldurchmesser der verbundenen Teleskope, entspricht also gewissermaßen einem Schnitt durch das beobachtete Objekt. Für viele Studien reicht aber dieser Schnitt schon aus. Leonard Burtscher etwa hoffte, für seine Dissertation am Max-Planck-Institut für Astronomie den heißen und warmen Staub sehen zu können, der die schwarzen Löcher in den Zentren naher aktiver Galaxien umgibt.

Schematische Darstellung des interferometrischen Beobachtungen am VLT: Hier sind vier 1,8-Meter-Hilfsteleskope auf den Rändern eines 100 Meter durchmessenden Kreises positioniert und zusammengeschaltet, um das Auflösungsvermögen eines 100-Meter-Spiegels zu erreichen. Bild: ESO

In einem lesenswerten Blog vermittelt Burtscher einen Eindruck von der Faszination interferometrischer Beobachtungen, aber auch von der damit verbundenen technischen Herausforderung. Immerhin müssen die von den zwei Teleskopen eingefangenen Lichtwellen, ehe sie im gemeinsamen Fokus vereinigt werden, auf den Bruchteil einer Wellenlänge des beobachteten Lichts genau die gleiche Wegstrecke zurückgelegt haben. Hinzu kommt, dass sich die Länge dieser Verzögerungsstrecken oder "delay lines" kontinuierlich verändert, weil die Teleskope die Erdrotation ausgleichen müssen. Interferometrie ist daher umso besser zu realisieren, je größer die beobachtete Wellenlänge ist. Radio-Observatorien können sogar über verschiedene Kontinente zusammengeschaltet werden.

Burtscher führte seine Beobachtungen am VLT mit MIDI (Mid-infrared interferometric instrument) im mittleren Infrarot bei zehn Mikrometer Wellenlänge durch. "Wir haben mal grob überschlagen, wieviele Computer eigentlich zusammenarbeiten müssen, damit wir mit MIDI Interferometrie machen können", schreibt er.

Heute zeichnen Astronomen ihre Beobachtungen anders auf: Diese Daten des Sterns Sirius wurden gewonnen, indem zwei Hauptteleskope des VLT interferometrisch zusammengeschaltet wurden. Es war der erste erfolgreiche Test der Anlage am 18. März 2001. Bild: ESO

"Da gibt es zum einen pro Teleskop (für einen Fokus) 9 so genannte LCU (Hardware-nahe Kontrolleinheiten), weitere fünf für jede Delay-Line, nochmal eine für IRIS, das den Beam im VLTI-Labor stabil hält, dazu kommen 10 Workstations (im Rechnerraum) hier im Kontrollzentrum für die darüberhinaus nochmal etwa 10 Terminals hier an der ‚VLTI station‘ herumstehen. Insgesamt müssen also für MIDI, das zwei Teleskope verbindet, mindestens 50 CPUs fehlerfrei zusammenarbeiten, damit es funktioniert."

Rätsel der Dunkelheit

Der enorme Aufwand, den interferometrische Beobachtungen erfordern, beschert den Astronomen allerdings ein Auflösungsvermögen in der Größenordnung von Mikrobogensekunden, das entspricht der Dicke eines menschlichen Haares in einem Kilometer Entfernung. Sonne und Erde, deren mittlerer Abstand etwa 150 Millionen Kilometer beträgt, ließen sich damit noch in einem Abstand von 1000 Lichtjahren getrennt voneinander darstellen.

Die bessere optische Auflösung allein ist demnach kein zwingender Grund mehr für die Stationierung von Observatorien im Weltraum. Doch Hubble und Co können noch zwei weitere Trümpfe ausspielen. Denn auf der Erde werden weite Bereiche des elektromagnetischen Spektrums durch die Atmosphäre abgeblockt und Beobachtungen sind durch den Tag-Nacht-Rhythmus auf maximal acht bis zehn Stunden am Stück begrenzt. Im Weltraum dagegen können alle Wellenlängen beobachtet werden, und es sind Belichtungszeiten bis zu mehreren Tagen möglich.

So beobachtete das Hubble Space Telescope im Jahr 1995 zehn Tage lang eine sehr sternenarme, dunkle Himmelsregion im Sternbild des Großen Bären. In diesem Gebiet mit einer Kantenlänge von etwa zweieinhalb Bogenminuten (was ungefähr der scheinbaren Größe eines Tennisballs in hundert Meter Entfernung entspricht) hätte Galilei mit seinem Teleskop wahrscheinlich nichts gesehen. Das als "Hubble Deep Field" bekannt gewordene Bild, das aus mehreren, mit verschiedenen Farbfiltern belichteten Aufnahmen zusammengesetzt wurde, zeigte dagegen etwa tausend Galaxien.

Das Hubble Ultra-deep Field - der bislang tiefste Blick ins All. Dieses Bild zeigt keine einzelnen Sterne, sondern Galaxien, die wiederum jeweils aus Milliarden Sternen bestehen. Der Himmelsausschnitt, der in diesem Bild erfasst wurde, entspricht dem Blick durch einen über zwei Meter langen Strohhalm. 50 solcher Bilder wären nötig, um die Fläche des Vollmondes zu erfassen. Bild: NASA/ESA

Neun Jahre später wurde das Weltraumteleskop für das "Hubble Ultra-Deep Field" auf eine dunkle Stelle im Südsternbild Fornax (Chemischer Ofen) gerichtet. Der Blickwinkel der zuvor bei einer Space-Shuttle-Mission im Jahr 2002 erneuerten Kamera betrug diesmal 3 Bogenminuten, die Belichtungszeit eine Million Sekunden oder 11,5 Tage. Die Zahl der auf diesem Bild erkennbaren Galaxien wird auf knapp 10.000 geschätzt, ein Datenschatz, der bis heute noch nicht vollständig gehoben ist.

Diese Aufnahmen verdeutlichen recht plastisch nicht nur die Leistungsfähigkeit moderner Observatorien, sondern auch den Wandel, den die astronomische Forschung seit Galilei vollzogen hat. Während dieser sein Teleskop zunächst auf die hellsten Objekte wie Mond, Venus und Jupiter richtete, interessieren sich die Astronomen heute besonders für die dunklen Seiten des Universums. Sie spüren schwarzen Löchern nach, versuchen, die Masse dunkler Materie zu schätzen und die Natur der rätselhaften dunklen Energie zu verstehen. Hierfür reicht es nicht aus, die kosmischen Objekte im Teleskop möglichst fein aufzulösen und ihre Positionen zu bestimmen. Die spannenden Informationen sind in deren Licht selbst verborgen, die mithilfe der Spektralanalyse zu Tage gefördert werden können.

Informationsträger Licht

So entdeckte der Astronom Edwin Hubble durch die Untersuchung des Lichts ferner Galaxien in den 1920er-Jahren, dass sich das Universum ausdehnt und das Tempo dieser Ausdehnung umso höher ist, je weiter die beobachteten Objekte entfernt sind. Hierfür beobachtete Hubble eine spezielle Klasse veränderlicher Sterne, die "Cepheiden". Die Taktrate, mit der diese Sterne pulsieren, steht in einem Zusammenhang mit den Helligkeiten, die sie dabei annehmen. Sie können dadurch als "Standardkerzen" zur Entfernungsmessung dienen: Je schwächer ihre beobachtete Helligkeit, desto weiter sind sie entfernt. Hubble stellte nun fest, dass mit wachsender Entfernung das Spektrum dieser Sterne mehr und mehr zum langwelligen Bereich verschoben war. Die einzige Erklärung dafür war, dass sich diese Objekte vom Beobachter weg bewegten, sodass die Lichtwellen aufgrund des Doppler-Effektes gestreckt wurden. Mittlerweile ist die Rotverschiebung, ausgedrückt durch die dimensionslose Zahl "z", zum Maßstab für die größten Entfernungen im Kosmos geworden.

Eine weitere Schlussfolgerung aus Hubbles Entdeckung war, dass das Universum zu einem früheren Zeitpunkt in einem winzigen Punkt konzentriert gewesen sein musste. Um diesen Zeitpunkt der Geburt des Weltalls genauer zu bestimmen, war es erforderlich, das Verhältnis zwischen Geschwindigkeit der Expansion und Entfernung, die sogenannte "Hubble-Konstante", möglichst präzise zu messen. Eben dies war eine der wesentlichen Motivationen, ein Observatorium im Weltraum zu stationieren, es tief ins All blicken zu lassen - und nach Edwin Hubble zu benennen. Während beim Start des Hubble Space Telescope das Alter des Universums auf 10 bis 20 Milliarden Jahre geschätzt wurde, konnte dieser Wert, auch mithilfe der Messungen anderer Observatorien, inzwischen auf 13,7 Milliarden Jahre präzisiert werden.

Überrest einer Supernova, deren Ausbruch im Jahr 1572 vom dänischen Astronomen Tycho Brahe beobachtet wurde, zusammengesetzt aus Infrarot- und Röntgenaufnahmen. Forschern des Max-Planck-Instituts für Astronomie ist es gelungen, Lichtreflexe dieser Supernova an interstellaren Gaswolken, die erst jetzt die Erde erreichten, zu beobachten und spektroskopisch zu analysieren. Auf diese Weise konnten sie feststellen, dass es sich um eine Supernova des Typs Ia gehandelt haben muss. Bild: Max-Planck-Institut für Astronomie

Die Beobachtung ferner Galaxien führte aber nicht nur zu einer Präzisierung der Hubble-Konstanten, sondern auch zur überraschenden Entdeckung einer bislang unbekannten Kraft, der "dunklen Energie". Ausgangspunkt war die Suche nach Supernovae des Typs Ia. Das sind explodierende Sterne, bei denen der Kollaps heutigem Verständnis zufolge auf eine Weise erfolgt, die eine stets gleiche Helligkeitskurve hervorbringt. Typ-Ia-Supernovae können daher ähnlich wie die Cepheiden zur Messung kosmischer Entfernungen dienen. Zwei Forschungsteams, die in den 1990er-Jahren unabhängig voneinander solche Messungen vornahmen, kamen zu dem Ergebnis, dass die Expansion des Weltalls nicht, wie erwartet, durch die Gravitation abgebremst wird, sondern sich im Gegenteil beschleunigt, getrieben durch die dunkle Energie. Deren Existenz wurde mittlerweile durch weitere Beobachtungen erhärtet. Die gegenwärtigen Schätzungen beziffern den Anteil der dunklen Energie an der Gesamtenergie des Universums mit etwa drei Viertel. Die wichtigste Kraft des Weltalls ist derzeit noch weitgehend unverstanden.

Auch andere dunkle Bereiche des Alls lassen sich mithilfe der Spektralanalyse besser greifen. So können Astronomen intergalaktische Wasserstoffwolken erkennen, weil sie teilweise das Licht ferner Objekte absorbieren. Diese charakteristisch geformten Absorptionslinien zeigen sich als "Lyman-Alpha-Wälder" im Spektrum des beobachteten Objekts bei verschiedenen Rotverschiebungen, woraus sich die Entfernungen der jeweiligen Gaswolken ableiten lassen.

Weil sich die Spektren mit größerer Entfernung mehr und mehr zum langwelligen Bereich verschieben, müssen Observatorien, die noch tiefer als bisher ins Universum blicken sollen, über Infrarot-Detektoren verfügen. Das demnächst startende Weltraumobservatorium Herschel ist daher als reines Infrarotteleskop ausgelegt und beobachtet mit seinen drei Instrumenten den Bereich des fernen Infrarot zwischen 55 und 672 Mikrometer Wellenlänge. Das James Webb Space Telescope (JWST), das voraussichtlich im Jahr 2013 im All stationiert werden soll, widmet sich dagegen dem nahen und mittleren Infrarot zwischen 0,6 und 27 Mikrometer. Von den Beobachtungen dieser Observatorien am Rande des sichtbaren Universums erhoffen sich die Astronomen neue Erkenntnisse über die Bildung der ersten Sterngeneration nach dem Urknall und über die Entstehung von Galaxien.

Teil 3: Der Himmel gehört allen