Der Himmel gehört allen

Im Infrarotlicht werden interstellare Staubwolken durchsichtig: die Wolke Barnard 68, links aufgenommen im Bereich des sichtbaren Lichts und des nahen Infrarots, rechts zusätzlich im mittleren Infrarot. Bild: NASA/Max-Planck-Institut für Astronomie

Blick ins Dunkle - Teil 3

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Astronomen führen ihre Beobachtungen nicht mehr nur am Himmel durch, sondern mehr und mehr auch in Datenbanken. Deren Vernetzung zu einem Virtuellen Observatorium könnte der Erforschung des Weltalls ganz neue geistige Ressourcen erschließen.

Teil 2: Der Reiz der Dunkelheit

Verbesserte Messmethoden

Auch in unserer näheren kosmischen Nachbarschaft sind Infrarotbeobachtungen interessant. Da die langwelligen Strahlen interstellare Staubwolken durchdringen, können Objekte sichtbar gemacht werden, die im optischen Bereich des Spektrums durch den Staub verhüllt werden. Mithilfe von Spektralanalysen lassen sich zudem Objekte untersuchen, die sich im Teleskop nicht als einzelner Punkt identifizieren lassen. So beobachtete ein Team des Jet Propulsion Laboratory und des Max-Planck-Instituts für Astronomie den 153 Lichtjahre entfernten Stern HD 2095458 mit dem Weltraumteleskop Spitzer im Wellenlängenbereich von 7,5 bis 15,2 Mikrometer. Der Stern wird von einem Planeten von der ungefähren Größe des Jupiter auf einer sehr engen Umlaufbahn alle 3,525 Tage umkreist. Dabei kreuzt der Planet aus Sicht der Erde regelmäßig die Sichtlinie zum Stern.

Die Forscher nahmen nun Spektren von HD 2095458 zu verschiedenen Zeitpunkten. Kurz bevor der Planet hinter dem Stern verschwand, wandte er den Beobachtern seine heiße Seite zu, sodass die von ihm ausgestrahlte thermische Infrarotstrahlung im Gesamtspektrum enthalten war. Wenn der Planet vom Stern bedeckt wurde, erhielten die Forscher dagegen das reine Sternspektrum. Durch Abzug der letzten Messung von der ersten ließ sich das reine Planetenspektrum extrahieren - allerdings erst nach aufwendigen Kalibrierungen, bei denen Störungen des Signals eliminiert werden mussten. Aus dem Vergleich dieser Messdaten mit simulierten Spektren schlossen die Forscher, dass die Atmosphäre des Planeten etwa 1100 K heiß sein muss. Folgeuntersuchungen mit Spitzer, Hubble und Bodenteleskopen sollen noch mehr Details wie die Wärmeverteilung in der Atmosphäre und ihre chemische Zusammensetzung zutage fördern.

Solche detaillierten und raffinierten Analysen des Sternenlichts lagen zu Galileis Zeit noch weit jenseits des technisch Machbaren und vielleicht auch der Vorstellungskraft. Galilei musste sich darauf beschränken, seine Beobachtungen handschriftlich zu notieren. Für die epochale Entdeckung der Jupitermonde reichte das aus: Ein umkringeltes Kreuz markierte den Jupiter, kleinere Kreuze daneben die Monde, die mal links, mal rechts vom Planeten zu sehen waren, mal etwas höher, mal etwas niedriger. Mehrere Jahrhunderte blieb das die einzige Aufzeichnungsmethode, bis die Erfindung der Fotografie eine präzisere Erfassung der Beobachtungen ermöglichte.

400 Jahre nach Galilei sind die Astronomen in der Lage, Positionen von Sternen mit einer Genauigkeit von einer Mikrobogensekunde zu bestimmen. Dies gelingt nur vom Weltraum aus. So vermaß der Astrometrie-Satellit Hipparcos Anfang der 1990er-Jahre die Positionen und Eigenbewegungen von 118.000 Sternen mit dieser Präzision, die dem Winkeldurchmesser eines von Hamburg aus beobachteten Golfballs in New York entspricht. Eine Million zusätzliche Sterne wurden auf immerhin noch 0,02 Bogensekunden genau katalogisiert. Die für Ende 2011 geplante europäische Mission Gaia soll eine Milliarde Sterne ins Visier nehmen und die Genauigkeit bei ihrer Positionsbestimmung noch einmal um den Faktor 40 verbessern. Zusätzlich sollen Helligkeiten und Farben gemessen, sowie von den hellsten 100-200 Millionen Sternen hoch aufgelöste Spektren aufgezeichnet werden. Ziel dieser Präzisionsmessungen ist es, den Ursprung und die Entwicklung unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, besser zu verstehen. Gaia soll fünf Jahre in Betrieb bleiben, der während dieser Mission entstehende Sternenkatalog dürfte den Astronomen aber weitaus länger Arbeit bescheren.

Leistungsfähigkeit, Vielseitigkeit und Präzision der heutigen Observatorien sind im Vergleich mit deren Vorläufern zu Galileis Zeit geradezu atemberaubend. Heute sitzt kein Astronom mehr hinter dem Teleskop und schaut, ein Auge zusammengekniffen, durchs Okular. Die Wissenschaftler müssen häufig nicht einmal mehr selbst vor Ort sein. Mehr und mehr werden die Observatorien ferngesteuert, manche arbeiten ihre Beobachtungsprogramme auch schon vollautomatisch ab.

Das Hamburger Robotische Teleskop etwa, das derzeit noch auf dem Gelände der Hamburger Sternwarte steht, später aber beim Observatorium La Luz in Zentralmexiko seine Heimat finden soll, verfügt über eine Kamera auf dem Dach, die den Bewölkungsgrad erkennt. Bei günstigen Beobachtungsbedingungen öffnet das Teleskop die Kuppel und entscheidet selbstständig, auf welches Objekt es sich ausrichtet. "Es kann zum Beispiel erkennen, ob ein Stern demnächst untergeht und daher zuerst beobachtet werden sollte, oder ob noch genügend Zeit ist, um sich zunächst einem anderen Objekt zu widmen", sagt Projektleiter Alexander Hempelmann. Auch die Fokussierung und Kalibrierung des Teleskops vor Beginn der Beobachtungen erfolgt vollautomatisch.

Das virtuelle Observatorium

Ein mindestens ebenso gravierender Wandel wie bei der Datenerhebung hat sich indessen bei deren Verarbeitung vollzogen. So musste Clyde Tombaugh auf der Suche nach dem Planeten Pluto (der mittlerweile zum Zwergplaneten herabgestuft wurde) monatelang Aufnahmen vergleichen, die von identischen Himmelsabschnitten im Abstand mehrerer Nächte gemacht worden waren. Seine einzige Hilfe war ein „Blinkkomparator“, der den raschen Wechsel zwischen zwei Aufnahmen erlaubt, sodass ein Stern, der nur auf einer Aufnahme oder an verschieden Positionen erschien, sich durch Blinken bemerkbar macht. Die Positionen von etwa sieben Millionen Sternen verglich Tombaugh auf diese Weise, bis ihm am 18. Februar 1930 auf Bildern des Gebiets rund um den Stern Delta Geminorum ein schwacher Lichtpunkt auffiel, der seine Position verändert hatte - Pluto, der lange gesuchte neunte Planet! Heute, wo alle Beobachtungsdaten von vornherein digital vorliegen, lässt sich eine solche Arbeit komplett automatisieren.

Mehr noch, das digitale Datenformat eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten, Beobachtungen verschiedener Observatorien, die etwa zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder in verschiedenen Wellenlängen vorgenommen wurden, unmittelbar aufeinander zu beziehen. Hierfür ist allerdings noch viel Kleinarbeit zu leisten, die am Ende dazu führen soll, dass alle bestehenden Observatorien und astronomischen Datenbanken zu einem virtuellen Observatorium vereint werden.

Die oberste Koordinierungsstelle hierfür ist die International Virtual Observatory Alliance. Sie umfasst gegenwärtig 16 nationale und internationale Projekte, die wiederum in neun Arbeitsgruppen gemeinsam Standards für Datenformate und Protokolle entwickeln. Bei ihrer Arbeitsweise orientiert sich die Allianz am World Wide Web Consortium: In einem mehrstufigen Verfahren reifen die Standardspezifikationen von Entwürfen zu Vorschlägen und schließlich Empfehlungen, über deren Annahme zuletzt die International Astronomical Union

Die europäische Südsternwarte ESO etwa hat erst vor Kurzem VirGO-1.4.3 veröffentlicht, einen Browser, der als Plug-in der Planetariumssoftware Stellarium die Nutzung der ESO-Wissenschaftsarchive verbessern soll. Nach und nach wächst so ein globales Nervensystem heran, das den Vergleich und die Kombination unterschiedlichster astronomischer Daten mehr und mehr vereinfacht.

Der Virgo-Browser erleichtert das Durchsuchen großer astronomischer Datenbanken, indem er unter anderem zeigt, welche Himmelsregionen von welchen Instrumenten abgedeckt wurden.

Denn bislang sind diese Daten noch sehr heterogen. Sie können als bloße Helligkeitsverteilungen anfallen, als Spektren, als einzelne Photonenereignisse oder auch als Phaseninformationen bei Interferenzen von Radiowellen. Und diese Daten werden nicht einfach gesammelt und abgespeichert, sondern müssen aufwendig kalibriert werden. Das kann mehrere Jahre dauern und wird nie wirklich fertig: Jedes Mal, wenn sich das Verständnis der Funktionsweise des Beobachtungsinstruments vertieft und verbesserte Korrekturen möglich werden, müssen die bisher gespeicherten Daten neu bearbeitet werden.

Eine zentrale astronomische Datenbank ist daher kaum realisierbar. Es ist praktikabler, die einzelnen astronomischen Archive bei den Institutionen zu belassen, die sie aufgebaut haben, und wo sie von den Forschern verwaltet werden, die die gesammelten Daten am besten verstehen. Die Herausforderung besteht darin, diese verstreuten und sehr heterogenen Daten über das Internet allgemein zugänglich zu machen. Astronomen aus anderen Spezialgebieten, aber auch weltraumbegeisterte Grundschüler sollen auf die Bilder der verschiedenen Hochleistungsobservatorien zugreifen können. Und das soll nach Möglichkeit nicht wesentlich schwieriger sein als der Blick durch einen Feldstecher. Bislang muss der Anwender sehr genau wissen, wo er welche Daten findet und wie er sie aufbereiten muss. Zukünftig soll eine Middleware die reibungslose Kommunikation zwischen verschiedenen Daten und Anwendungsprogrammen ermöglichen und den Anwendern über eine einfach, intuitiv zu bedienende Benutzeroberfläche den Zugriff ermöglichen. Unter den gegenwärtig verfügbaren Programmen dürften Google Sky und Worldwidetelescope die verbreitetsten sein.

Wie die Beobachtungsinstrumente der Astronomen entwickeln sich auch die Softwarewerkzeuge zur Nutzung des Virtuellen Observatoriums stetig weiter, ermöglichen aber heute schon neue Erkenntnisse. So berichtete Mark Allen vom Observatoire de Strasbourg bei einem Workshop im indischen Poona im Herbst 2007, wie durch den Abgleich von Beobachtungsdaten des Röntgenobservatoriums Chandra mit Beobachtungen im optischen Bereich und dem Einsatz verschiedener Filter 31 neue Quasare des Typs 2 gefunden werden konnten. Allen spricht im Zusammenhang mit dem virtuellen Observatorium von der "Beobachtung des virtuellen Himmels". Astronomen führen ihre Studien nicht mehr nur am nächtlichen Himmel durch, sondern mehr und mehr auch in Datenbanken.

Astronomie für alle

Nicht alle professionellen Himmelskundler sind von dem Projekt "virtuelles Observatorium" überzeugt. Er könne auch heute schon übers Internet problemlos alle Daten beschaffen, die er brauche, sagt der Hamburger Astronom Peter H. Hauschildt. Sein Mitarbeiter Andreas Schweitzer hält das virtuelle Observatorium für eine Initiative, die sich eher an die allgemeine Öffentlichkeit richte als an die Fachleute.

Tatsächlich geht es nicht nur um die Vernetzung von Datenbanken, sondern ebenso um die Vernetzung von Menschen. In den einzelnen Arbeitsgruppen der International Virtual Observatory Alliance werden neben der Spezifizierung von Übertragungsprotokollen und anderen technischen Details auch die Einrichtung und Gestaltung von Mailinglisten diskutiert, die die Kommunikation untereinander verbessern sollen. Wenn dabei vermehrt auch Amateurastronomen und Laien einbezogen werden, kann die wissenschaftliche Forschung aber nur profitieren.

Ein aktuelles Beispiel ist die Klassifikation von Galaxien. Um die Entstehung und Entwicklung der Sterneninseln besser zu verstehen, ist es erforderlich, sie nach ihrer Erscheinungsform zu ordnen. Die Hauptkategorien sind elliptische und Spiralgalaxien, letztere können noch hinsichtlich der Zahl der Spiralarme, der Rotationsrichtung, des Vorhandenseins eines zentralen Balkens und anderer Kriterien weiter differenziert werden. Eine solche Klassifizierung lässt sich mit Computern noch nicht zuverlässig genug automatisieren, erfordert aber auch nicht unbedingt das Fachwissen von Astronomen. So kam das Internetprojekt Galaxy Zoo zustande: Ab Juli 2007 waren Freiwillige aufgefordert, sich im Internet Aufnahmen von etwa einer Million Galaxien anzusehen, die im Rahmen der seit 2000 laufenden systematischen Himmelsdurchmusterung Sloan Digital Sky Survey gemacht wurden, und nach vorgegebenen Kriterien zu klassifizieren. Nach einem Jahr waren beim Projekt 50 Millionen Klassifikationen von knapp 150.000 Teilnehmern eingegangen.

Was ist das für ein rätselhafter, blauer Fleck? Eine niederländische Lehrerin entdeckte ihn im Rahmen des „Galaxy Zoo“-Projekts auf einem Bild des „Sloan Digital Sky Survey“. Seitdem rätseln die Astronomen über dessen Natur. Bild: Sloan Digital Sky Survey

Daneben förderte die gründliche Durchsicht der Bilder auch mysteriöse Objekte zutage, etwa einen seltsamen blauen Fleck, den die niederländische Lehrerin Hanny van Arkel entdeckte und der seitdem „Voorwerp“ (niederländisch für „Objekt“) genannt wird. Nachfolgebeobachtungen zeigten mittlerweile, dass sich Voorwerp ähnlich weit von der Erde befindet wie die Galaxis, die im Bild darüber zu sehen ist. Das Spektrum gibt aber weiterhin Rätsel auf.

Mitte Februar 2009 ist das Folgeprojekt "Galaxy Zoo 2" angelaufen, bei dem 250.000 Galaxien nach noch feineren Kriterien klassifiziert werden sollen. Im März wurden bereits 15 Millionen Klassifikationen gezählt, neue Mitstreiter sind weiterhin willkommen, neue Überraschungsfunde ebenfalls.

Auf ähnliche Weise war bereits die Suche nach interstellaren Staubteilchen übers Internet koordiniert worden. Die Sonde Stardust hatte sie eingesammelt und im Januar 2006 zur Erde gebracht. Das Missionsteam allein hätte Jahre gebraucht, um die geschätzten 45 Teilchen im Aerogel des Staubkollektors zu finden. Stattdessen wurde der Kollektor mit einem Mikroskop automatisch gescannt und die Bilder im Internet zugänglich gemacht. 24.000 Freiwillige durchsuchten in einer ersten Phase 40 Millionen Bilder und identifizierten 50 Stellen, bei denen es sich um interstellaren Staub handeln könnte. Einige davon sind bereits näher untersucht worden, jedoch ohne dass ein interstellarer Ursprung bestätigt werden konnte. Mittlerweile ist das Projekt in eine zweite Phase mit verbesserten Suchmethoden getreten.

Vor 400 Jahren stürzte Galileo Galilei mit einem einfachen Linsenteleskop und ein paar aufs Papier gekritzelten Beobachtungsskizzen ein Jahrhunderte altes Weltbild. Wird das atemberaubende Tempo, mit dem der menschliche Blick heute immer tiefer ins All vordringt und neue Erkenntnisse produziert, bald wieder an unserem Verständnis der Welt rütteln? Bislang trifft es nur Unterabteilungen, wenn auch wichtige. So mussten nach der Entdeckung der ersten extrasolaren Planeten ab 1995 die Modelle von der Entstehung von Planetensystemen völlig neu entwickelt werden.

Das Modell vom großen Ganzen steht dagegen noch relativ sicher. Viele Voraussagen etwa der Relativitätstheorie wurden sogar mit bemerkenswerter Genauigkeit durch Beobachtungen bestätigt. Doch die Entdeckung der dunklen Energie zeigt, dass mit Überraschungen weiterhin gerechnet werden muss.

Im Nachhinein erscheint das kopernikanische Weltbild, das durch Galileis Beobachtungen endgültig durchgesetzt wurde, als viel einfacher und eleganter als die bis dahin gültige geozentrische Lehre, die sich furchtbar anstrengen musste, um die komplizierten Bahnen der Planeten zu erklären. Man wundert sich, warum die Menschen nicht schon früher auf die einfache Lösung gekommen sind. Vielleicht werden sich zukünftige Generationen auf ähnliche Weise über uns wundern, die sich das Universum viel zu kompliziert vorgestellt haben, wo sich dessen Vielfalt doch auf viel einfachere und elegantere Weise auf einen Nenner bringen lässt.