Juchuuu, zwei neue Webseiten, die ich anschauen darf

Von Sperrlisten zu Weißen Listen

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Diejenigen, die glauben, dass sich die von der rührigen Bundesfamilienministerin propagierten Netzsperren wirklich nur auf Kinderpornographie beziehen werden, dürften zu Ostern auch wieder darauf gewartet haben, dass ein langohriger Geselle mit einer Kiepe voller bemalter Eier durchs Gras schlurft. Die anderen, also die Karlsruhetouristen und die zum Teil schwerst Pädokriminellen (20 Prozent der Internetnutzer sind "zum Teil schwer Pädokriminelle"), können allerdings zumindest ein wenig aufatmen.

Lästige Zahlensuche

Eigentlich beneide ich die Familienministerin richtig. Unsereins muss, den frisch aufgebrühten Tee neben sich, für etliche Artikel ja erst einmal noch Zahlen und Daten heraussuchen. Sicher, ich mache auch Fehler, aber die muss ich dann schnellstens korrigieren und zusehen, dass mir so ein Fauxpas nicht wieder passiert, auf dass nicht mein Gehalt noch weiter sinkt, oder ich gar wieder in die ach so angenehme Hängematte des ALG II-Beziehers falle. Es gilt also, die Redaktion schnell um Korrektur zu bitten oder ein Update einzuflechten.

Wie schön wäre es doch, Politiker zu sein. Schon den werten Herrn Clement habe ich beneidet als er bei Sabine Christiansen von dem hohen Anteil derjenigen schwadronierte, die Sozialbetrug begehen. 20-25%, so Clement frank und frei, würden betrügerisch agieren. Zwar dementierte selbst die Bundesagentur für Arbeit diese Zahlen und sprach von höchstens 5% (und die sollten es hoffentlich wissen), doch wen interessieren schon echte Zahlen? Dass jeder vierte oder fünfte Sozialbetrug begeht, klang doch viel besser, als es darum ging, die Menschen gegen den ALG II-Bezieher in Stellung zu bringen. Öffentliche Entschuldigung? Richtigstellung? Ach nein, das ist doch etwas für Weicheier, ein echter Politiker hat das gar nicht nötig.

Frau von der Leyen ist da nicht anders. Als hätte sie einen Phrasengenerator, den ihre hoffentlich von den Brennesseln verschonten Hände anwerfen, sobald ihr Fragen gestellt werden, wirft sie munter mit Fantasieaussagen um sich. Da wird aus dem Zuwachs an Ermittlungsverfahren gleich ein Zuwachs an Taten, da widerspricht die Aussage, dass immer mehr kleine Kinder extra für die Herstellung von Kinderpornographie sexuell missbraucht werden, jeder Statistik, da wird vom Massenmarkt und dem Milliardengeschäft erzählt, ohne dass es irgendwelche Belege dafür gibt. Ja, warum denn auch? Als Familienministerin reicht es anscheinend, eine kollektive Betroffenheit herzustellen, der Rest ist Nebensache. Sooo gut möchte ich es auch haben.

Schwarz, grau, weiß und Schluss?

Natürlich, so heißt es immer wieder beruhigend, würde die Blacklist des BKA nur kinderpornographische Seiten enthalten. Das BKA ist übrigens die nächste Ecke, die ich beneide. Wer kann schon so einfach Beweise fälschen und vor Gericht lügen, nur um sich dann mit einem "Hupsili, ich habe noch einen wichtigen Termin" schnellstens aus dem Staub zu machen (Militante Ermittler)? In die Hände solcher Vertrauenspersonen lege ich doch gerne die Obhut über eine solch wichtige Liste (zumal sie ja nicht überprüft wird ... hm, na ja, vielleicht wird es demnächst noch eine Option geben: "Die Liste wird von BKA-Mitarbeitern, die die Befähigung zum Richteramt haben, geprüft", damit der Ruf nach dem Richtervorbehalt nicht zu laut wird.)

Zwar haben die Listen anderer Länder bereits deutlich gezeigt, dass sich nicht nur Kinderpornographie darauf wiederfindet, sondern auch Seiten mit durchaus nicht kindlich oder jugendlich aussehenden homosexuellen Protagonisten, Glücksspielseiten usw., aber im Rechtsstaat Deutschland wird das natürlich nie so passieren. So heißt es jedenfalls.

Schon jetzt wird der Chor derjenigen, die nach Sperren für andere Inhalte rufen, lauter und lauter und übertönt das feine Stimmchen der Vernunft. Die SPD-Jugendexpertin Marks greift schon nach dem Büchlein mit dem Völkerrecht und sieht alle Menschen unter 18 Jahren als Kind an, weshalb auch Jugendpornographie ihrer Meinung nach gesperrt werden sollte. Dies würde dann bei entsprechender Anwendung der neuen Regeln (und den ja bekanntermaßen hohen Sachverstand von Politikern einmal vorausgesetzt) bedeuten, dass wir uns mit einem fröhlichem Lächeln nach der von der Leyenschen Art an den USA orientieren. Hier werden schon einmal Jugendliche wegen des Besitzes und des Vertriebs bzw. der Herstellung von Kinderpornographie verurteilt - auch wenn die Bilder sie selbst zeigen und nur per Email an den Partner geschickt wurden.

Die Unterhaltungsindustrie reibt sich sicherlich auch schon die durch die bösen Tauschbörsen fast leeren Hände, Jürgen Büssow konnte quasi als Wiedergänger gegen Naziseiten das politische Feld betreten und erweiterte die Wunschliste gleich noch um Glücksspielseiten, durch die Idee, dass auch der Link zum Link zum Link [...] strafbar ist bzw. auf die Liste gehört (nein, das ist nicht das Gleiche!). Damit könnten in einer Art Rundumschlag dann gleich noch die Vielzahl von Blogs, Foren usw. geblockt werden, bis das BKA letztendlich erschöpft zusammenbricht und von Überlastung spricht.

Da hilft dann wohl nur noch eine Grauliste bzw. eine Weiße Liste mit Seiten, die quasi ein Prüfsiegel tragen. In Annäherung an ein Deutschlandnetz können wir dann auch wieder von "Heimseiten" sprechen. Niemand muss sich dann mehr durch das Netz schlängeln, dafür gib es alle 2-3 Monate ein garantiertes Glückserlebnis, wenn wieder eine neue Seite (oder gar zwei) freigeschaltet werden, die im Lande der FDGO angesehen werden dürfen.

Sicher, es wird etwas einsam werden, wenn all die Forscher und Chemiker nicht nur wegen der Befürchtung, sie würden in Bürokratie untergehen oder mit Hausdurchsuchungen rechnen müssen, nur weil sie mal Aceton kaufen, das Land verlassen haben; die Jugendlichen, die gerne forschen möchten, sich Asyl in den USA suchen, um dort ein simples Experiment mit dem Chemiebaukasten durchführen zu können; die Journalisten ins nichteuropäische Ausland abwandern (wäre es nicht hübsch, wenn dann irgendwann ein Journalist aus China seine Artikel über die deutschen Zensurerfolge schreibt?), da es ihnen dort noch vergönnt ist, im Netz weitgehend unblockiert zu surfen und zu recherchieren (nicht vergessen, hier in Deutschland ist jemand, der weiß, wie er Blockaden solcher Art umgeht, ja gleich "einer von den 20%"). Aber ein Trost bleibt uns wenigstens: Wir werden uns immer noch die Zeit mit Glücksspiel vertreiben können. Tut mir leid, Herr Büssow, aber da muss man auch mal an die Familie denken.

Wer allerdings keine Lust auf das frisch geweißelte Heimatnetz in Deutschland hat, der kann zur Zeit wenigstens seinen Unmut durch eine Mitzeichnung der Petition gegen Internetzensur kundtun. Gut, dank der absurden Idee, die Mitzeichner mit Realnamen und dem Bundesland dort zu offenbaren (und die Liste sogar noch, wie praktisch, zum Download als CSV-Datei anzubieten), wird der Mitzeichner unter Umständen zwangsgeoutet (insbesondere bei eher seltenen Namen der Fall). Doch sind wir mal ehrlich: Sieht man sich an, wer unter welchen Umständen heutzutage schon mit Hausdurchsuchung und Co. bedacht wird, dann kann man sowieso für jeden Tag dankbar sein, an dem nicht die Herren die halbe Wohnung ausräumen. Ein Grund findet sich immer - und ein Richter auch.