Trennung von Polizei und Verfassungsschutz nur noch "rechtshistorisch bedeutsam"

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik will die "heiligen Kühe" der deutschen Sicherheitsarchitektur schlachten

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Tiefgreifende Veränderungen brechen oft Tabus. Doch diese Tabubrüche haben in der Geschichte oft für notwendigen Fortschritt gesorgt. Es bedurfte einigen Mutes, das geozentrische Weltbild anzuzweifeln, die Herrschaft von Kaisern und Königen in Frage zu stellen, und bisweilen muss heute noch um die Trennung von Staat und Kirche gerungen werden. In solch großen Traditionen möchte sich wohl auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) gern sehen. In einem Papier von BAKS-Studienreferent Rafael Hoffmann mit dem Titel Revision des status quo? Deutscher Sicherheitsföderalismus im Lichte asymmetrischer Gefahren und Herausforderungen wird gefordert, die "heiligen Kühe" unserer Sicherheitsarchitektur gründlich zu untersuchen, da sie den "Gefahren und Herausforderungen für unsere Sicherheit" nicht mehr gerecht würden.

Auf den Prüfstand soll zunächst das Prinzip des Föderalismus. 16 Landespolizeien, dazu noch eine Bundespolizei, und obendrein noch die gleiche Anzahl von Verfassungsschutzämtern? Diese "Fragmentierung der Sicherheitsbehörden" behindere deren Arbeit und sei obendrein zu teuer, so das Papier. Hinzu komme, dass die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit immer weiter verwischen würden. Die Lösung des Problems ist für die BAKS denn auch schlicht:

Terminologisch sollte fortan von Gefahren und Herausforderungen für die Nationale Sicherheit gesprochen werden, mit ausschließlicher Regelungskompetenz beim Bund.

Rafael Hoffmann

Der Bund soll laut dem Vorschlag die zentrale Kompetenz für den Bereich des Verfassungsschutzes bekommen, die Landesämter für Verfassungsschutz zu Außenstellen des Bundes werden. Begründung: Personalmangel. FDP und der Grüne Bundestagsabgeordnete Ströbele dagegen würden eher die Ausstattung der einzelnen Landesämter verbessern. Ob aber die kleinsten Bundesländer, wie Berlin oder Bremen, eigene Verfassungsschutzämter benötigen, oder hier in Ausnahmefällen eine Zusammenlegung mit einem benachbarten Bundesland sinnvoll sei, könne man prüfen, so beide Parteien gegenüber Telepolis.

Grundsätzliche Kritik an der Arbeit des Verfassungsschutzes kommt dagegen vom Vorsitzenden der Humanistischen Union, Sven Lüders.

Die Sicherheitsbehörden gehen den falschen Leuten auf den Leim, und verpassen echte Gefährdungen. Die Ursache für diese "Fehlleitungen" der Sicherheitsbehörden sehe ich in einer mangelnden Anerkennung der Meinungsfreiheit, aber auch in mangelndem Unterscheidungsvermögen zwischen politischen Protest und echten Sicherheitsgefahren. Durch mehr Personal oder einfache Zusammenlegungen von VS-Landesämtern ist da nicht viel zu erreichen. Nötig wäre hier ein anderes Sicherheitsdenken, das bei der Gefahrenanalyse neu ansetzen müsste.

Sven Lüders, Humanistische Union

Auch die Befugnisse des Bundeskriminalamts sollen laut dem BAKS-Vorschlag erweitert werden. Im Papier wird gefordert:

Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von Staatsschutzdelikten (Terrorismus, Extremismus, Spionage) sowie die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind grundsätzlich Aufgabe des Bundes.

Rafael Hoffmann

Die Länder sollen lediglich für die "übrige Gefahrenabwehr und Strafverfolgung" ihre Zuständigkeit behalten. "Eine zentrale Analyse- und Steuerungseinheit auf nationaler Ebene" soll die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz laut den Vorstellungen aus der Bundesakademie zukünftig koordinieren. Dafür komme das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Frage, es benötige jedoch zusätzlich die "Fähigkeit zur operativen Führung".

Die schleichende Aufhebung des Trennungsgebots von Polizei und Verfassungsschutz, die Bürgerrechtler schon beim Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) gegeben sehen, würde damit vollends Realität. Das wird vom BAKS auch nicht bestritten, sondern als wichtiger Schritt nach vorn gesehen, denn:

Spätestens seit 1990, mit der Wiedererlangung der vollständigen staatlichen Souveränität Deutschlands, sind Hintergrund und Motive für das Trennungsgebot nur noch rechtshistorisch bedeutsam.

Rafael Hoffmann

Heftige Kritik an Äußerungen wie dieser kommt aus der Linkspartei. Gerade seit 1990 sei das Trennungsgebot als innenpolitische Bremse unverzichtbar. Die BAKS-Thesen seien eine verschärfte Form dessen, was die Minister Schäuble und Jung seit Jahren forderten. Die BAKS fordere nicht weniger als ein Bundessicherheitshauptamt. Die Akademie, die dem Verteidigungsministerium untersteht, verfolge das Ziel, auch die Bundeswehr in ihr Sicherheitskonzept mit einzubinden, wie dies bereits bei der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit (Der Schutz der kritischen Infrastruktur und Einsatz der Bundeswehr im Inneren) geschehen sei, und trete für Inlandseinsätze der Bundeswehr ein, so die Linke gegenüber Telepolis.

Auch Hans-Christian-Ströbele kann über solche Forderungen nur den Kopf schütteln. "Die haben nichts gelernt", so das Mitglied im parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste. Sein Ansatz? "Ich will nichts Zusätzliches machen, sondern versuchen, die Umsetzung, die Praxis zu verbessern", so Ströbele gegenüber dieser Redaktion. In der Sicherheitspolitik sei bereits sehr viel getan worden, in einigen sogar "eher zu viel", so Ströbele weiter. Bei der FDP sieht man das ähnlich. Das Trennungsgebot sei ein Grundstein der Sicherheitsarchitektur, so die Liberalen. Eine "Vernachrichtendienstlichung" der Polizei, wie bereits im BKA-Gesetz vorgesehen, lehnt man dort strikt ab.

Die CDU hingegen sieht die Notwendigkeit, aufgrund "neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen" die Sicherheitsarchitektur weiter anzupassen. Das BKA solle verstärkt präventiv aktiv werden, "Organe und Fähigkeiten der inneren und äußeren Sicherheit" sollen "miteinander verzahnt" werden. Als Vorbild dafür nennt die CDU das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum. Gleichzeitig erklärt die Partei jedoch, dass die strikte Trennung von Polizei und Verfassungsschutz gewahrt bleiben müsse.

Wie das zusammengeht, ist auf den ersten Blick nicht so ganz klar, deshalb fragt Telepolis noch einmal genauer nach, ob die CDU den Thesen aus dem BAKS-Papier, beispielsweise zur veränderten Bedeutung des Trennungsgebots seit 1990 grundsätzlich zustimmend oder eher ablehnend gegenüber steht. Eine eindeutige Antwort auf diese Nachfrage gibt es nicht, stattdessen wird auf die Vorstellung des gemeinsamen Wahlprogramms von CDU und CSU am 29. Juni verwiesen. Nachfragen an die CSU wurden bis Redaktionsschluss für diesen Artikel nicht beantwortet (gleiches gilt auch für die SPD).

Planen die Unionsparteien also für die nächste Legislaturperiode bereits weitere deutliche Grundrechtseingriffe unter dem Deckmantel Terrorismusbekämpfung? Unmöglich ist das nicht, doch auch innerhalb von CDU/CSU gebe es erhebliche Differenzen, die eine Einigung auf solch ein Programm erschweren, meint zumindest Hans-Christian Ströbele:

Die Gesamt-CDU, also die Bundes-CDU, häufig auf Fraktionsebene oder auf Ministerebene, ist auf dem Weg der Zentralisierung der Sicherheitsinstitutionen auf Bundesebene. Sie wollen möglichst viel in einer zentralen Behörde konzentrieren. Aber wie das glücklicherweise immer noch so ist, gibt es in den Ländern, in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, dagegen Widerstände. Die muss man fördern, weil das sind ja durchaus auch Fachleute, und die sind für die föderale Struktur zuständig.

Hans-Christian Ströbele

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik wurde 1990 gegründet und führt Fortbildungsveranstaltungen im Bereich der Sicherheitspolitik durch, welche auch für Personen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kirchen und Gewerkschaften offen stehen. In ihrem Beirat sitzen nicht nur Vertreter aus Politik und Militär, sondern auch aus Medien wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, sowie Industrie (Hewlett-Packard) und Bildung (Professor Dr. Herfried Müller, Humboldt-Universität Berlin). Die Arbeit der Bundesakademie ist demnach geeignet, große Teile der öffentlichen Wahrnehmung zu erreichen.

Den Sinn ihrer Tätigkeit sieht die BAKS in der Förderung des "Konsens in Fragen der Sicherheitspolitik". Rafael Hoffmann selbst trat zu diesem Zweck bereits als Referent eines BAKS-Seminars für Richter und Staatsanwälte auf.