Inflationsanzeichen als Ende der Krise

Interview mit Lucas Zeise über Zentralbanken, Konjunkturprogramme und die "Schuldenbremse"

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Lucas Zeise ist Kolumnist bei der Financial Times Deutschland und vertritt in seinem Buch "Das Ende der Party" die These, dass die Notenbanken ein Zentrum der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise bilden. Speziell die Europäische Zentralbank (EZB) begünstigte Zeise zufolge mit ihrer Geldpolitik nicht nur das Wachsen der Finanzmärkte, sondern behinderte zusätzlich massiv den Gütermarkt.

Welche Ähnlichkeiten hat die gegenwärtige Krise mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und wo hören die Parallelen auf?

Lucas Zeise: Leider ist auch in der öffentlichen Wahrnehmung diese Krise der von 1929 folgenden immer ähnlicher geworden. Beide Wirtschaftskrisen sind große Überproduktionskrisen. Beide Krisen sind weltumspannende Krisen - wobei es als ersten Unterschied schon anzumerken gibt, dass es in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Sowjetunion gab, die sich der damaligen Krise vollkommen entzog und ein starkes Wachstum aufwies.

Ähnlich an beiden Krisen ist auch, dass sie vom Platzen einer Spekulationsblase eingeleitet oder besser ausgelöst wurden. Die heutige Wirtschaftspolitik unterscheidet sich leider auch nicht sehr von der in den 30er Jahren. In Westeuropa ist allerdings das soziale Sicherungssystem trotz der Abbaupolitik der letzten Jahre immer noch viel besser ausgebaut, als es das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Das verstetigt den Konsum und die Produktion. Der sozusagen normale Krisenmechanismus, wonach geringe Nachfrage zu Einschränkungen der Produktion, zu Entlassung von Beschäftigten führt, deren Einkommen damit drastisch reduziert wird, was wiederum die Nachfrage mindert, wird durch die Einrichtungen des Sozialstaates (Kurzarbeiterregelungen, Arbeitslosengeld etc.) gemildert. Kurz gesagt: Der Rest des Sozialstaates bewahrt wahrscheinlich die reichen kapitalistischen Länder vor der Depression.

Libertäre Ökonomen wie Jacob Weisberg oder Wirtschaftsjournalisten wie Rainer Hank erblicken in der staatlichen Maßnahme, die für eine Zeit die Verschuldung von amerikanischen Haushalten durch niedrige Leitzinsen bewältigbar hat erscheinen lassen und auch untere Einkommensgruppen zum Immobilienkauf ermunterte, einen fatalen Eingriff in das freie Spiel der Marktkräfte und die Grundlage der Finanzkrise. Demnach ist nicht die Deregulierung des Marktes die wesentliche Ursache der Finanzkrise, sondern die staatliche Regulierung - ist an dieser Einschätzung Ihrer Meinung nach etwas dran?

Lucas Zeise: Das ist eine lustige Argumentation. Das hieße ja, es könne Finanzmarkt ohne Regulierung, ohne Staatshandeln geben. Absurd. Auf dem Finanzmarkt werden Rechtskonstrukte, Verträge gehandelt. Das Geld selbst ist ein Produkt des Staates. Alle Schuldner-Gläubiger-Beziehungen sind selbstverständlich staatlich juristisch geregelt. Denken Sie an das Konkursrecht. Es geht also nicht darum, ob reguliert wird, sondern wie. Dass die Regulierung des Finanzsektors durch Staatsinstitutionen miserabel schlecht war, darin stimme ich mit den genannten Herren gern überein.

Sie messen der Währungspolitik der Zentralbanken eine außerordentliche Rolle bei. Warum?

Lucas Zeise: Im Zentrum des Finanzgeschehens stehen, wir ihr Name schon andeutet, die Zentralbanken. Sie geben die jeweilige Währung heraus und tun dies durch Kreditgewährung an die Geschäftsbanken. Das allein schon verleiht ihnen außergewöhnliche Macht. Es kommt hinzu, dass sie in fast allen kapitalistischen Industrieländern formal in die Bankenaufsicht involviert sind. Schließlich haben sie sich in den letzten Jahrzehnten in einem schleichenden Entdemokratisierungsprozess zu Staatsinstitutionen sui generis entwickelt, die "unabhängig", also jeder demokratisch-parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Die Zentralbanken haben die Inflation auf den Gütermärkten bekämpft und dabei auch Rezessionen in Kauf genommen. Die Spekulationsblasen und die Inflation bei den Vermögenspreisen haben sie dagegen hingenommen und letztlich finanziert. Sie sind also in erster Linie für die Zustände verantwortlich, die zu dieser Finanzkrise geführt haben.

"Krasser handwerklicher Fehler der EZB"

Welche Rolle haben bislang die Zentralbanken in der Krise konkret gespielt?

Lucas Zeise: Bei Ausbruch der Krise haben sie zunächst die plötzlich verschwundene Liquidität ersetzt. Der Finanzmarkt, vor allem der Geldmarkt unter den Banken, funktionierte nicht mehr. Die Banken erhielten von den Zentralbanken so viel Geld, wie sie brauchten. Das ist keine Kritik. Die Banken wären reihenweise zusammengebrochen, wenn die Notenbanken ihnen nicht äußerst freizügig liquide Mittel, das heißt Kredite zur Verfügung gestellt hätten. Das ist das eine. Sie haben zweitens, angesichts der Rezession, die Leitzinsen gesenkt. Auch das war richtig. Allerdings hat "unsere" EZB entweder in völliger Verkennung der Situation oder, was wahrscheinlicher ist, in einem Anfall von Populismus, im Sommer 2008, als die Öl- und Nahrungsmittelpreise hochschossen, ihren Leitzins sogar erhöht. Das war ein krasser, selbst im Selbstverständnis der Notenbanker handwerklicher Fehler. Die EZB hat dann noch ein Jahr gebraucht, bis sie endlich die Zinsen gesenkt hat.

Sie war auch in ihren Analysen der volkswirtschaftlichen Lage der Weltwirtschaft und der Eurozone durchweg zu optimistisch. Auch das sind im engeren Sinne handwerkliche Fehler. Drittens sind alle großen Notenbanken - außer der EZB - dazu übergegangen, Geld am Bankensystem vorbei in die Wirtschaft zu pumpen. Diese Technik heißt aus irgendeinem Grund "quantitative Lockerung" und bedeutet, dass die Notenbank direkt Schuldpapiere der Privatwirtschaft und des Staates aufkauft. Sie betätigt sich also als Geschäftsbank. Nur sind ihre Mittel - im Prinzip - unbegrenzt. Da das Fehlen von Kredit in der Überproduktionskrise nicht das größte Problem ist, wird diese Politik allein die Wirtschaft nicht in Schwung bringen. Was fehlt - man kann es nicht oft genug wiederholen - ist die zahlungskräftige Nachfrage nach Produkten.

Da diese Nachfrage in der Krise nur vom Staat kommen kann, ist es hilfreich, wenn die Notenbanken die staatlichen Schulden aufkaufen. Insofern die Notenbanken den antizyklisch agierenden Staat finanzieren, trägt also diese "quantitative Lockerung" zur Überwindung der Krise bei. Auch in diesem Punkt ist die EZB allerdings zögerlich. Wenn sich die Krise weiter verschärft, wird auch sie zum diesem Mittel greifen.

"Hyperinflation müsste eigentlich längst über uns gekommen sein"

Es gibt aktuell Befürchtungen, dass die Folge der momentanen Politik der US-Notenbank ganz klar eine Hyperinflation sein wird. Dies würde voraussichtlich nur Partikularinteressen nützen und auf Kosten der sogenannten kleinen Leute gehen. Diese Wirtschaftspolitik, die auch hierzulande momentan linkskeynesianische Ökonomen vorschlagen, würde also nicht an die gemütlichen Früh-Siebziger anschließen, sondern direkt ins Jahr 1923 führen. Ist es da aufgrund der geschichtlichen Erfahrung, die man bereits mit einer Hyperinflation gemacht hat, nicht grob fahrlässig, für eine Senkung der Leitzinsen durch die EZB zu plädieren, wie Sie es in ihrem Buch getan haben?

Lucas Zeise: Niedrige Leitzinsen und die Ausweitung der Geld- und Kreditmenge sind eine notwendige, aber bei weitem nicht hinreichende Bedingung für das Entstehen von Inflation. Wäre es anders und hätte der Guru der Inflationsbesessenen, Milton Friedman, Recht, müsste die Hyperinflation längst über uns gekommen sein. Friedman stellte die schlichte These auf, Inflation sei immer das Resultat von übermäßiger Geldschöpfung. Dass das nicht immer richtig ist, zeigt die riesige Spekulationsblase, die zu dem jetzigen Schlamassel, aber nicht zur Inflation geführt hat, und deren Kern in der schier grenzenlose Kreditausweitung - das heißt Geldschöpfung - bestand. Sie wurde von den Banken und Fonds aller Sorten betrieben und von den Zentralbanken und anderen Aufsichtsbehörden zugelassen.

Jetzt sind die Akteure andere. Kreditgeber sind in den jetzigen Krisenzeiten, wie ich gerade geschildert habe, vor allem die Notenbanken und die Kreditnehmer sind vor allem die Staatshaushalte. Per saldo aber schrumpft das Kreditvolumen in der Krise. Das Schrumpfen des Kreditvolumens ist am besten zu beobachten in den Abschreibungen der Banken und anderen Finanzinstitutionen. Kredit erlischt dann, wenn er entweder getilgt oder endgültig wegen Pleite oder aus Unwilligkeit nicht mehr bedient wird. Beides geschieht zur Zeit massenhaft.

Lehrreich ist wie oft der Fall Japan. Dort hatte der Staat sich zur Krisenbekämpfung massiv verschuldet, dort hatte die Notenbank viele Jahre lang Nullzinspolitik betrieben und zuletzt massiv ihre Bilanz ausgeweitet. Das Resultat war aber nicht Inflation, sondern Deflation. Allgemein gesprochen kommt es auch bei der Entstehung von Inflation darauf an, was mit dem geschöpften Kreditgeld geschieht. Solange es nicht in größerem Stil bei denen ankommt, die es für Bedarfsgüter ausgeben, wird auch die effektive Nachfrage nach diesen Gütern nicht ausreichen, um die Preise auf breiter Front nach oben zu treiben. Leider, bin ich versucht zu sagen, ist keine Inflation in Sicht. Der größte Teil der frisch geschaffenen Staatsknete dient zum Stopfen der Riesenlöcher in den Bankbilanzen. Nur der kleinere kommt beim kleinen Mann an, dessen Budget wegen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit schrumpft. Erst wenn erste Anzeichen von Inflation sich zeigen, ist auch das Ende der Krise da.

"Nachfrageausfall muss kompensiert werden"

Nun hat die Fed aber nicht nur die Leitzinsen auf praktisch null gesenkt, sondern auch noch eigene Anleihen mit frisch gedrucktem Geld angekauft. Bei solch einer Ausweitung der Geldmenge kann eine Inflation durch Verzögern des Ankommens beim Konsumenten vielleicht etwas auf sich warten lassen, aber wenn sie dann kommt, dann wird sie sehr plötzlich und sehr massiv sein. Freuen Sie sich denn auch über solch eine Hyperinflation?

Lucas Zeise: Muss ich mich wiederholen? Was macht Sie so sicher, dass das schöne viele Geld beim Konsumenten ankommen wird? Ich wünschte ja, es wäre so. Aber sehen Sie irgendwelche Zeichen dafür, dass die Einkommensverteilung sich jetzt drastisch ändert? Deswegen führe ich ja Japan als Beispiel an. Dort wurde Geld gedruckt, wie der etwas lockere Ausdruck dafür lautet, mit dem die Notenbank dem Staatshaushalt und den Banken schier unbegrenzt Kredit gegeben hat. Was passierte in Japan mit dem schönen Geld? Es wurde in die weltweiten Finanzmärkte gepumpt.

Die kleinen Japanerlein haben davon relativ wenig gesehen. Und auch Sie werden von dem Geld, das der Staat von der Notenbank erhält und dann in die Banken steckt, zu wenig in Form des Gehaltes bekommen, um die Preise für Nahrungsmittel, Autos oder Blackberrys hochzutreiben.

Ihre These ist, dass die Politik der ökonomischen Entwicklung gegenüber gar nicht so hilflos ist, wie sie gerne tut. Welche Maßnahmen wären geeignet, die Wirtschaftskrise zu entschärfen oder gar zu stoppen?

Lucas Zeise: Der plötzliche Nachfrageausfall, der dadurch entstanden ist, dass der globale Finanzsektor nicht mehr bereit ist, die Verschuldung der US-Bürger zu finanzieren, muss kompensiert werden. Kurzfristig muss das der Staat tun, der idealerweise sowohl Geld unter die Leute bringen als auch selber Güter nachfragen sollte. Vernünftig wäre es dabei, wenn Länder mit hohen Leistungsbilanz- und Exportüberschüssen wie Japan, China und Deutschland große Konjunkturprogramme auflegen, Staaten mit Defiziten in der Leistungsbilanz wie die USA, Großbritannien oder Spanien aber eher zurückhaltend vorgehen würden. So könnten sich die Ungleichgewichte etwas abbauen. - Leider geschieht fast das Gegenteil. Mittelfristig muss das Einkommen der ärmeren Gesellschaftsschichten auf Kosten der Einkommenszuwächse bei den Reichen gestärkt werden, also eine seit Jahrzehnten ungleicher werdende Verteilung umgekehrt werden.

"Wirklich sozial nützliche Dinge kann man von dieser Regierung nicht erwarten"

Danach würden die Konjunkturprogramme aber genau die Dämme für jene Inflation brechen lassen, die durch das Fehlen solcher Konjunkturprogramme bisher zurückgehalten wird ...

Lucas Zeise: Aha, freut mich, dass Sie da so sicher sind mit dem Brechen der Dämme. Gestatten Sie, dass ich etwas ungehalten reagiere, wenn auch von Leuten, die es besser wissen sollten, die Angst vor dem Gespenst Inflation geschürt wird. Wir befinden uns zu Beginn der schärfsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Nachfrage nach Gütern ist weltweit dramatisch eingebrochen. Reale Investitionen finden so gut wie nicht mehr statt. Geldbesitzer drängen in die Liquidität. Da erinnern sich dankenswerterweise einige Politiker daran, dass der Staat ein wenig antizyklisch handeln und damit die Krise mildern kann. In Deutschland geschieht dies in viel zu geringem Maße.

Denn die von den Unternehmerverbänden befürwortete Wirtschaftspolitik lautet nun einmal: Mit allen Mitteln die Kostenfaktoren Lohn und Steuern gering zu halten, um die ausländische Konkurrenz von der Platte zu putzen. Um das zu erreichen, sind Ausgabenprogramme des Staates nur schädlich. Sie fördern die Konjunktur, senken die Arbeitslosigkeit, machen Arbeitnehmer und Gewerkschaften frech. Folglich wird das Gespenst der Inflation recht gefährlich aufgebaut und Konjunkturprogramme werden zunächst als wirkungslose Strohfeuer verteufelt. Wenn das nichts hilft, brechen angeblich die Dämme der Inflation. Lachhaft.

"Schuldenbremse ebenso albernes Rechtskonstrukt wie die Maastricht-Kriterien"

Bisher sehen die Konjunkturprogramme zu einem großen Teil so aus, dass Teerwege aufgerissen und durch Kopfsteinpflaster ersetzt werden. Warum baut man angesichts von zwei- bis dreihunderttausend Obdachlosen keine Wohnungen? Und warum wird viel über Konjunkturprogramme, aber praktisch nichts über deren Ausgestaltung gesprochen?

Lucas Zeise: Na, es wird ja darüber geredet. Wochenlang haben Regierung und Presse sich ausschließlich mit der Abwrackprämie befasst. In der Financial Times Deutschland, der Zeitung, für die ich schreibe, findet seit Jahren eine intensive Diskussion darüber statt. Allerdings geht natürlich viel Diskussionszeit damit verloren, denen, die grundsätzlich gegen Konjunkturprogramme sind, mühsam zu erklären, weshalb sie notwendig sind.

Warum der Wohnungsbau im Konjunkturprogramm der Regierung eine so geringe Rolle spielt, weiß ich im Detail nicht. Ich vermute, dass es zur neoliberalen Programmatik dieser Regierung nicht passt, den sozialen Wohnungsbau, der in den 80er und 90er Jahren mühsam auf Null gefahren wurde, jetzt wieder aufleben zu lassen. Nein, wirklich sozial nützliche Dinge kann man von dieser Regierung nicht erwarten.

Eine mittelfristige Umkehr der Einkommensverteilung ist aber nirgendwo in Sicht. Stattdessen wird bereits das Gegenteil angekündigt: Durch die "Schuldenbremse" werden die Konjunkturprogramme von heute bereits zum Sozialabbau von morgen.

Lucas Zeise: In der Tat - so ist es: Eine Umkehr der Einkommensverteilung ist nicht in Sicht. Dass die "Schuldenbremse" eine Absurdität ist, stimmt auch. Sie wird sich als ebenso albernes Rechtskonstrukt erweisen wie die Maastricht-Kriterien. Die Verschuldung der Staaten richtet sich nicht nach Gesetzen, sondern folgt invers dem Konjunkturverlauf.

"Optimismus hat ziemlich gelitten"

Aber hatten denn die Maastricht-Kriterien keine negativen Auswirkungen zum Beispiel auf den Sozialstaat? Man argumentierte doch beim Sozialabbau immer damit, dass ansonsten die Maastricht-Kriterien überschritten würden. - Sollte dies bei der "Schuldenbremse" anders werden?

Lucas Zeise: Kommt es denn auf die Argumentation an? Wenn das so wäre, hätten die Vernünftigen doch schon seit Solons Zeiten gewonnen. Maastricht und der so genannte Stabilitäts- und Wachstumspakt wurden von Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans Tietmeyer erfunden, um den Spielraum staatlichen Handelns - vor allem im Sozialbereich, wie Sie richtig anmerken - einzuschränken. Es ist diesen Herren gelungen, unsinnige Regelungen in Vertrags- und Gesetzestexte zu gießen. Aber es hat sich auch gezeigt, dass die Wirklichkeit solchen Unsinn nicht wirklich toleriert. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde schon in der vergangenen Krise bis 2005 immer wieder verletzt. Dutzende von Finanzministern des Eurolandes haben sich an seinen albernen Vorgaben abgearbeitet. Der Vertrag wurde reformiert.

Die Verabschiedung der "Schuldenbremse" durch die regierenden Parteien ist allerdings der Höhepunkt der Absurdität. Just in dem Moment, da die Staatsverschuldung dank absackender Steuern massiv ansteigt, nehmen sich Bund und Länder brav vor, in der Zukunft keine Schulden mehr zu machen. Die Schuldenbremse mag beschlossen worden sein, sie wird aber nicht eingesetzt werden. Und - was uns nicht tröstet - auch ohne sie werden künftige Regierungen versuchen, den Sozialstaat abzubauen.

Sie haben ihr Buch über die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise mit folgenden Satz beendet: "Auch ein Buch über eine Krise kann mit einem optimistischen Ausblick enden." Wie ist es um ihren Optimismus nach den Maßnahmen der Bundesregierung zur Krisenbewältigung bestellt?

Lucas Zeise: Ich räume ein, dass mein Optimismus ziemlich gelitten hat. Die einzig positive Entwicklung bisher besteht darin, dass die Bundesregierung das Tabu, es dürfe keine Konjunkturprogramme geben, einfach fallen gelassen hat. In Regulierungsfragen hat sich überhaupt nichts getan. Der Einfluss der Finanz-Lobby in Berlin scheint sogar noch stärker geworden zu sein. Allerdings - da die Krise ja nicht einfach verschwindet, bleibt mir ein Restoptimismus, dass die Verhältnisse radikalere Maßnahmen einfach erzwingen.

"Gefahr einer Kettenreaktion"

Mit der SPD, die bis vor kurzen die Enthaltsamkeit des Staates predigte, wandelte sich, nachdem lange eine Auswirkung der amerikanischen Finanzkrise auf die deutsche Wirtschaft abgestritten wurde, der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück binnen kürzester Zeit vom Saulus zum Paulus. - Können sie uns etwas über diese wundersame Wandlung erzählen?

Lucas Zeise: Saulus wurde auf dem Weg nach Damaskus erleuchtet und dadurch zum Paulus. Von einer Erleuchtung kann bei Steinbrück leider keine Rede sein. Er ist, ähnlich wie die EZB der Entwicklung erst dann hinterhergelaufen, als es nicht mehr zu vermeiden war. Besonders plötzlich kam die späte Erkenntnis im September vorigen Jahres. Damals war die Finanzkrise schon über ein Jahr alt

Die drohende Pleite der Hypo Real Estate hat damals Steinbrücks Überzeugung, es handele sich um ein Problem des angelsächsischen Finanzsystems, in die wenigstens im Ansatz richtige Erkenntnis umgewandelt, dass wir es mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun haben.

Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn der Staat keine Rettungsschirme für marode Banken gespannt hätte? Wäre es nicht sinnvoller, die durch die Finanzkrise hervorgerufene Vernichtung überflüssigen Kapitals als "Marktbereinigung" zu akzeptieren und angeschlagene Kreditinstitute einfach Pleite gehen zu lassen?

Lucas Zeise: Ungeordnete Bankpleiten können verheerende Wirkungen haben. Die Gläubiger der Bank, die schließlich nach Verbrauch des bisschen Eigenkapitals nichts weiter als einen riesigen Schuldenberg darstellt, sind in höchster Gefahr, ebenfalls umzukippen. Kurz, es besteht die Gefahr einer Kettenreaktion. Da die Hypo Real Estate eine große Bank vor allem im Immobiliensektor ist, ist dieses Systemrisiko nicht unerheblich. Es bleibt nichts anderes übrig, als die HRE abzuwickeln. Das scheint jetzt ja auch zu geschehen. Man hätte das schneller und ohne den Aufwand eines eigenen Gesetzes haben können. Schließlich hätte die BaFin das Institut beim Anblick der Überschuldung schließen können. Den Gläubigern hätte man eine Teilgarantie für ihre Kredite geben können.

All das ist schwierig. Man kann verstehen, dass der überforderte Finanzminister die unkontrollierte Pleite nicht riskieren wollte. Zumal die Banken und Versicherungen, die viele HRE-Pfandbriefe im Portefeuille haben, die Folgen in den schwärzesten Farben ausgemalt haben. Schlimmer als die hohen Garantien für mehr als 100 Milliarden Euro HRE-Schulden finde ich jene 18 Milliarden Euro reales Geld, das die Commerzbank als Eigenkapital erhalten hat. Es zeigt noch deutlicher, dass diese Bundesregierung nicht daran denkt, den Finanzsektor geordnet zurückzustutzen, sondern vorhat, ihn noch aufzupäppeln.

Wie Sie vorher schon darlegten, blieben strukturelle Änderungen, also Regeländerungen bisher weitgehend aus. Nachdem ein Manager im derzeitigen Wirtschaftssystem aber bei Strafe seines Untergangs den bequemsten und profitabelsten Weg gehen muss, ist doch zu erwarten, dass sich die Bankmanager in der Erwartung, dass man sie "retten muss", zukünftig auf das Einkassieren von Staatsgeldern spezialisieren, weil dies das lohnendste Geschäftsmodell ist.

Lucas Zeise: Bei dieser Frage passe ich. Sie ist einfach zu clever. Für Manager sind Methoden, höhere Profitabilität zu erreichen, alles andere als der bequeme Wege. Sie lernen Jahre lang auf Business Schools und ducken sich Jahre lang in Unternehmen, um dieses schwierigste Ergebnis, den größtmöglichen Profit für die Eigentümer des Unternehmens, zu erreichen. Auch das Einkassieren von Staatsgeldern zählte schon seit Alters her zu den besonders effektiven Techniken der Profitsteigerung. Erfolgreich war schließlich derjenige, der besonders gut vernetzt war, auch in der Politik. Daran hat sich nichts geändert.