BKA-Gesetz gefährdet anwaltliche Berufsausübung

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein hat Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt

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Onlinedurchsuchungen, Ermittlungen ohne Tatverdacht, Videoüberwachung innerhalb der Wohnung: Kritik gibt es an der Neufassung des BKA-Gesetzes vom Dezember 2008 und den der Behörde darin neu erteilten Befugnisse genug. Jetzt gehen auch die Anwälte auf die Barrikaden: Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) sieht die freie Advokatur in Gefahr und hat heute Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt.

Beschwert hat sich die RAV-Vorsitzende Anwältin Andrea Würdinger zusammen mit ihren Vorstandskollegen Martin Lemke und Wolf-Dieter Reinhard. „Mit dem BKA-Gesetz steht nicht weniger auf dem Spiel als die freie Advokatur, also die Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit frei von staatlicher Kontrolle, Einschüchterung oder Bevormundung“, warnt Würdinger.

Überwachte Anwälte

Die Anwälte sind nach der Gesetzesnovelle selbst nicht mehr davor geschützt, vom Bundeskriminalamt überwacht zu werden. „Das BKA-Gesetz eröffnet den Raum für eine vielfältige geheime Ausforschung und Instrumentalisierung von Rechtsanwälten“, sagt Sönke Hilbrans, der die Beschwerdeführer vertritt. Verdeckte Ermittlung, Telefonüberwachung und der große Lauschangriff – die Advokaten sind hiervor nicht mehr gefeit. Die im BKA-Gesetz verankerten Einschränkungen für die Verwertung so erlangter Informationen seien „gänzlich ungenügend“, heißt es in einer Mitteilung des RAV.

Die freie Advokatur zähle zu den Wesensmerkmalen eines demokratischen Rechtsstaats, so der RAV in der Zusammenfassung seiner Beschwerde. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den ratsuchenden, in ihren Rechten bedrohten Mandanten und dem Rechtsanwalt sei zentraler Bestandteil hiervon. Weiter heißt es in der Zusammenfassung:

Diese elementaren Grundsätze müssen sich gerade auch dann bewähren, wenn die Mandantschaft besonders verletzlich ist, weil sie gesellschaftlich etikettiert oder durch staatliche Maßnahmen in zentralen Freiheitsrechten bedroht wird. Dies gilt etwa für Mandantinnen und Mandanten im Asyl- und Asylwiderrufsverfahren, aber auch für politische Aktivistinnen und Aktivisten oppositioneller Bewegungen. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) tritt dafür ein, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sich uneingeschränkt an der Seite der Betroffenen für die Achtung von Grund- und Menschenrechten einsetzen können. Vor diesem Hintergrund wendet sich der RAV entschieden gegen die durch das BKA-Gesetz (BKA-G) eröffneten Eingriffsmöglichkeiten in die anwaltliche Berufsausübung.

RAV-Beschwerde

Gestörtes Vertrauensverhältnis

Die Rechtsanwälte können nach der Gesetzesnovelle auf unterschiedliche Weise in das Visier des BKA geraten. Sie können als „Dritte“ von Maßnahmen betroffen sein, wenn ihr Mandant Zielperson des Bundeskriminalamts ist. Aber auch die Möglichkeit, selber Zielperson zu werden, ist durch das Gesetz nicht ausgeschlossen. Außerdem passen Rechtsbeistände unter die Definition einer Kontakt- und Begleitperson – und von denen dürfen nach Paragraph 23 des Gesetzes „personenbezogene Daten mit den besonderen Mitteln“ durch das BKA erhoben werden.

„Bereits die Möglichkeit, dass verdeckte Maßnahmen getroffen werden können, stört das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant“, beklagen die Juristen. Die anwaltliche Beratung und Rechtsvertretung werde hierdurch gravierend erschwert. Gespräche zwischen Mandant und Anwalt müssten künftig in dem Wissen geführt werden, dass Informationen womöglich an die Behörde gelangen. Besonders heikel kann dies werden, wenn eine Klage gegen Maßnahmen des BKA Gegenstand des Gesprächs ist: Informationen würden so an die prozessuale Gegenseite gelangen. „Ein faires und auf prozessualer Waffengleichheit aufbauendes Verfahren wird dadurch ad absurdum geführt“, monieren die RAV-Anwälte.

Die Terroristen von attac

Die Anwälte sehen in dem Gesetz jedoch nicht nur ihren eigenen Berufsstand in Gefahr. „Auch wenn wir uns durch das BKA-Gesetz besonders in unserer grundgesetzlich geschützten Freiheit der Berufsaushebung verletzt sehen“, so Beschwerdeführer Lemke, „darf nicht übersehen werden, dass von den Auswirkungen des BKA-Gesetztes nicht nur Anwälte betroffen sind, sondern alle Bürger.“ Das Gesetz setze die seit Jahren zu beobachtende Aushöhlung von Grundrechten „in dramatischer Weise“ fort.

So kritisieren die Anwälte in ihrer Beschwerde ferner, dass die Einsatzvoraussetzungen des BKA ungenau geregelt seien. Wann ist das Amt überhaupt befugt, aktiv zu werden? Paragraph 4 des Gesetzes soll dies regeln, Paragraph 4a erlaubt dem BKA die „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“. Was der „internationale Terrorismus“ indes genau ist, bleibt offen – und genau das sieht der RAV als Problem. Denn die Reichweite der Kompetenzen hängt maßgeblich davon ab, wie dieser Begriff definiert ist. Die „Einbindung in international propagierte ideologische Strömungen“ soll nach der Gesetzesentwurfsbegründung ausreichen, um auch in Deutschland tätige Akteure zu Zielpersonen des BKA zu machen. Damit können islamistische Terroristen gemeint sein – oder aber „die international gut vernetzte Anti-AKW-Bewegung oder globalisierungskritische Strömungen“, befürchtet der RAV in seiner Beschwerdezusammenfassung.

Beschwerdewelle gegen das BKA-Gesetz

Die RAV-Anwälte sind unterdessen nicht die einzigen, die gegen die Gesetzesnovelle vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union und verschiedene FDP-Politiker haben bereits Beschwerde eingelegt, ebenso wie die Telepolis-Autorin Bettina Winsemann (Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz).

Heute früh um 10 Uhr wird auch die grüne Bundestagsfraktion ihre Verfassungsbeschwerde in Berlin vorstellen: Neun Abgeordnete, darunter Renate Künast und Jürgen Trittin, sind daran beteiligt. Mit einem Ergebnis ist jedoch erst in vielen Monaten zu rechnen: „Ich rechne nicht mit einer kurzfristigen Entscheidung des Gerichts“, sagt Anwalt Hilbrans. Die Beschwerdefrist läuft ohnehin noch bis zum Jahresende, sodass sich das Verfassungsgericht ernsthafte Gedanken erst im nächsten Jahr machen wird. Und bis dahin gilt das Gesetz in seiner neuen, viel kritisierten Form.