Rassismus und Rechtsextremismus gedeihen in Osteuropa

In Tschechien und Ungarn machen rechtsextreme Kräfte gegen die Minderheit der Roma mobil

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Während einer am 6. Mai absolvierten Staatsvisite des kanadischen Regierungschefs Stephen Harper in der tschechischen Republik traten erhebliche bilaterale Spannungen auf einem eher unerwarteten Problemfeld zu Tage. Nachdem der tschechische Premierminister Mirek Topolanek die kanadische Asylpraxis als zu „weich“ charakterisierte, kündigte Harper entschiedene Interventionen an, um den Strom der tschechischer Flüchtlinge und Asylbewerber zu verringern, die in Kanada Zuflucht suchen. Hierzu könnte auch eine erneute Einführung der Visapflicht für tschechische Besucher Kanadas gehören. Während 2006 kaum Asylanträge aus Tschechien in Kanada verzeichnet wurden, waren es 2008 – nach der Aufhebung der Visapflicht in 2007 - bereits 861. In den ersten drei Monaten dieses Jahres stieg die Anzahl asylsuchender Flüchtlinge bereits auf 653. „Solange keinerlei Verbesserung in Sicht ist, wird die Regierung Kanadas Maßnahmen ergreifen müssen“, erklärte Harper.

Den Großteil dieser Asylbewerber bilden Mitglieder der 300.000 Menschen zählenden Minderheit der tschechischen Roma, die in den letzten Monaten verstärkt Angriffen faschistischer Kräfte ausgesetzt sind. Inzwischen rufen auch Roma-Organisationen offiziell ihre Mitglieder auf, die Tschechische Republik zu verlassen. Diese Aufforderungen erhielten neue Nahrung, nachdem bei einem Brandanschlag auf ein von Roma bewohntes Haus im osttschechischen Vitkov drei Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Unter den Opfern befindet sich ein zweijähriges Mädchen, das lebensgefährliche Verbrennungen erlitten hat. Die Täter hatten die Wasserleitung gekappt und danach durch alle vier Fenster des Hauses Brandsätze geschleudert.

Wie in nahezu allen osteuropäischen Ländern, so haben sich die Lebensbedingungen der Roma auch in Tschechien in den letzten Jahren massiv verschlechtert. Von der Schulbank an ist das Leben der tschechischen Roma von Segregation und Gettoisierung geprägt. Inzwischen leben 80.000 Roma in gettoartigen Gemeinschaften, von denen vier Fünftel erst in den vergangenen Jahrzehnten – also nach Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus – entstanden sind. Die als „ Zigeuner“ beschimpften Roma verloren oftmals als erste ihre Arbeitsstellen, und sie werden aufgrund weit verbreiteter Ressentiments auch widerwillig angestellt.

„Das Problem sitzt tief, die Mehrheit der Bevölkerung ist unzufrieden mit ihren persönlichen Lebensverhältnissen, mit der Krise, der wachsenden Arbeitslosigkeit“, erklärte Ivan Vesely, der Vorsitzende der Roma-Organisation Dzeno Association. Und diese Menschen versuchten nun, die Roma dafür verantwortlich zu machen. Laut Umfragen sehen nahezu zwei Drittel aller Tschechen das Zusammenleben mit den Roma als ein Problem an. Obwohl tschechische Spitzenpolitiker die jüngsten Übergriffe scharf Verurteilt haben, werden keine umfassenden, langfristigen Politikansätze zur Integration der Roma und zur Überwindung dieser Spannungen verfolgt.

Die tschechische extreme Rechte bemüht sich in letzter Zeit, diese Konflikte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dabei treten die Nazis als die „Beschützer“ der tschechischen Bevölkerung vor den „verbrecherischen Roma“ auf, indem sie provokativ vor Roma-Gettos aufmarschieren und martialisch auftretende Patrouillen organisieren. Berüchtigt ist inzwischen das ebenfalls erst vor kurzem entstandene Getto in Litvinov, wo marginalisierte und verelendete Roma Zuflucht suchen. Hier lieferten sich an die 700 tschechische Faschisten einer regelrechte Straßenschlacht mit der Polizei, als sie Mitte November 2008 dieses Getto anzugreifen versuchten. Weitere „Patrouillen“ durch Janov organisierten die Nazis Ende Januar. Wenige Wochen später, am 25. Februar, riefen die Nazis in Litvínov sogar ihren eigenen „Schattenbürgermeister“ aus, der das „Problem“ des von den Roma bewohnten Gebiets einer entschiedenen „Lösung“ zuführen will.

„Arbeiterpartei“ auf Roma-Jagd

Die größte tschechische Naziorganisationen ist die so genannte Arbeiterpartei (DS), die systematisch an einer Eskalation der Spannungen zwischen der Minderheit der Roma und der tschechischen Bevölkerung arbeitet. Ähnlich den ungarischen Faschisten organisiert die Arbeiterpartei nahezu im Wochenrhythmus Aufmärsche in tschechischen Städten, auf denen gegen die Roma gehetzt wird. Zugleich nehmen die terroristischen Angriffe auf die marginalisierte Minderheit zu.

Schon vor dem brutalen Anschlag in Vitkov wurden allein im nördlichen Mähren 10 solcher Brandanschläge auf von Roma bewohnte Häuser verzeichnet. Vor den kommenden Europawahlen intensiviert die DS ihre Aktivitäten, um mehr als ein Prozent der Stimmen zu erhalten. In diesem Falle würden die tschechischen Nazis eine erhebliche Wahlkampfkostenrückerstattung erhalten, die sie zum weiteren Ausbau ihrer Aktivitäten benutzen könnten. Die Chancen hierfür stehen nicht schlecht. Während die „Arbeiterpartei“ bei den Kommunalwahlen 2004 gerade mal 1.900 Stimmen erhielt, waren es 2008 bereits knapp 29.000. In einigen Regionen konnten die Nazis bereits die Partei der „Grünen“ überflügeln.

Diese Intensivierung faschistischer Aktivität findet mit deutscher Unterstützung statt. Der breiten Öffentlichkeit in Tschechien wurde dies am 18. April in Usti nad Labem klar, als circa 500 Faschisten in einem so genannten „Trauermarsch“ durch diese böhmische Stadt marschierten. Neben Anhängern der tschechischen „Autonomen Nationalisten“ und Mitgliedern der offiziell verbotenen Nazigruppe Narodni Odpor (Nationaler Widerstand) kamen auch deutsche, slowakische und ungarische Neonazis in Usti nad Labem zusammen. Ein Großaufgebot von über 1000 Polizisten schirmte diese Demonstration ab - an der mehr als 100 deutsche Nazis teilnahmen - und ging mit massiver Gewalt gegen Gegendemonstranten vor, die sich bemühten, die Marschroute der Nazis zu blockieren. Die Polizei sei „nur gegen die Antifaschisten“ mit äußerst „rauen Methoden“ vorgegangen, resümierten Reporter der Roma-Nachrichtenagentur Romea. Nur wenige Stunden nach dieser Demonstration fand der besagte Brandanschlag von Vitkov statt.

Dieser braune Umzug in der nordböhmischen Stadt hatte den alljährlich am Jahrestag der Bombardierung Dresdens abgehaltenen faschistischen „Gedenkmarsch“ zum Vorbild, an dem in diesem Jahr ebenfalls tschechische Nazis teilnahmen. In Usti nad Labem wollten Tschechiens Faschisten ein ähnliches geschichtsrevisionistisches Spektakel inszenieren, indem sie der Bombardierung dieser Stadt durch Flugzeuge der Anti-Hitler-Koalition „gedenken“ wollten. Die deutschen „Kameraden“ reisten hauptsächlich aus Sachsen und Bayern zu dieser Demonstration an. Der wichtigste frühere Streitpunkt zwischen deutschen und tschechischen Rechtsextremen war die Haltung zu den Benes-Dekreten, doch dies scheint vorerst ausgeräumt. „Narodni Odpor“ erklärte in einem kürzlich veröffentlichten „Manifest“, diese Dekrete, auf deren Grundlage die Umsiedlung der Sudetendeutschen aus der westlichen Tschechoslowakei durchgeführt wurde, nicht mehr anzuerkennen.

Mittlerweile scheinen die tschechischen und deutschen Neonazis eine Art „Brauner Internationale“ gründen zu wollen. Am 24. April meldete der tschechische Fernsehsender Nova, dass tschechische und deutsche Rechtsextremisten ein formelles Bündnis geschlossen haben: „Diese Vereinbarung öffnet neue Dimensionen der Kooperation unserer beiden Nationen“, erklärte ein Mitglied von Narodni Odpor gegenüber Nova. Ein Polizeisprecher kommentierte diese Entwicklung gegenüber dem Fernsehsender folgendermaßen: „Der Dilettantismus geht zu Ende, die Professionalisierung beginnt.“ Die tschechischen Faschisten suchten „Inspirationen“ bei den deutschen Nazis, sie hätten nun ebenfalls „Rechtsanwälte und Manager“. Tschechischen Fernsehberichten zufolge sind die Faschisten des Landes nun auch bemüht, die Polizei und das Militär zu infiltrieren. Überdies versuchen sich die Rechtsextremen auch als Zeitungsverleger und registrierten eine eigene Zeitschrift, die insbesondere die Jugend ansprechen soll.

Puszta, Paprika, Pogrom

Mag die logistische „Inspiration“ der tschechischen Nazis aus Deutschland kommen, so ist ihre politische Strategie klar an ungarischen Vorbildern orientiert. Die ungarische Nazipartei Jobbik kämpft bei der kommenden Europawahl nicht mehr um die Wahlkampfkostenrückerstattung, sondern mit der Fünf-Prozent-Hürde. Vermittels ihrer paramilitärischen Organisation, der 2007 gegründeten Ungarischen Garde, entwickelte Jobbik die Strategie der gezielten Schürung ethnischer Spannungen zwischen der ungarischen Bevölkerungsmehrheit und der Minderheit der Roma. Laut offiziellen Statistiken werden circa 2 % der ungarischen Bevölkerung zu der Gruppe der Roma gezählt, während inoffizielle Erhebungen einen Bevölkerungsanteil von 4-10 % Roma in Ungarn angeben.

„Jobbik“ und die „Ungarische Garde“ organisieren ständig Aktionen gegen angebliche „Zigeunerverbrechen“. Selbstverständlich werden auch „die Juden“ für die Krise verantwortlich gemacht, die zur Verdinglichung des „raffenden“ Finanzkapitals halluziniert werden. Ungarn wurde von der Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen und diese Naziideologie scheint in Teilen der verwirrten, verunsicherten Bevölkerung auf fruchtbaren Boden zu fallen. Sie bietet den Ungarn konkrete Sündenböcke in der Krise an. Zumeist marschieren die Neofaschisten, die weiterhin die Árpád-Streifen der ungarischen Nazikollaborateure (der Pfeilkreuzler) tragen, provokativ direkt in den Roma-Gettos auf.

Mediale Flankendeckung erhalten die sich gerne als „nationale Sozialisten“ gebärenden ungarischen Faschisten von dem Multimillionär und Vorsitzenden der ungarischen Arbeitgebervereinigung Gabor Széles, dessen Zeitung Magyar Hirlap und Fernsehsender Echo-TV exzessiv faschistische Stereotypen bedienen. In Széles' Medien werden schon mal „jüdische Finanzleute aus Brooklyn“ für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich gemacht, die ungarische Regierung als „von Mossad-Leuten gesteuert“ denunziert und die Sinti und Roma als wilde Tiere bezeichnet, die es überfahren gelte.

Noch im Februar 2009 hat die ungarische Regierung alle staatlichen Stellen aufgefordert, jegliche Abonnements von Magyar Hirlap zu kündigen. Die „Nationalsozialisten“ in den Führungsgremien von Jobbik riefen sogleich einer Solidaritätsaktion für den durch „Zeitungsverbote“ bedrohten ungarischen Medienmogul ins Leben: „Jobbik ruft alle seine Anhänger auf, die Zeitung zu lesen, sie zu abonnieren und den Angriffen auf Pressefreiheit und Wahrheit entgegenzutreten.“

Doch auch in den konservativen und bürgerlichen Medien werden die Roma oftmals als Kriminelle dargestellt, und auch die konservative Partei Fidesz forderte ständig ein verstärktes Vorgehen gegen „Kriminalität“. In einer mit rassistischen Untertönen angereicherten Kampagne diskutiert die ungarische Öffentlichkeit seit Ausbruch der Wirtschaftskrise verstärkt über „Zigeunerverbrechen“. So kann es sich selbst die angesehene Wochenzeitung Heti Világgazdaság, die besorgt den Aufstieg der ungarischen Nazis kommentiert, nicht verkneifen, den weit verbreiteten Vorurteilen gegen die Roma einen „Kern Wahrheit“ zusprechen zu wollen.

Symptomatisch für die derzeitige Stimmung in der Bevölkerung sind die hetzerischen Bemerkungen des Polizeichefs von Miskolc, Albert Pásztor. Dieser sagte, dass alle Verbrechen in seiner Stadt ausschließlich von „Zigeunern“ begangen werden. Der ungarische Justizminister feuerte Pásztor unverzüglich, doch musste er diesen Anfang Mai wieder in sein Amt einsetzen, nachdem mehrere tausend Menschen in Miskolc für ihren rassistischen Polizeichef demonstriert.

Es komme ihm so vor, kommentierte der Journalist Erik D’Amato treffend, als ob Ungarn zunehmend mit zwei Dingen beschäftigt sei: „Zu verhindern, so arm wie die Zigeuner zu werden, und mit den Zigeunern selber.“ Tatsächlich führen die marginalisierten und verarmten Roma den Ungarn tagtäglich vor Augen, welche Verelendung im Zuge der Wirtschaftskrise auf sie zukommen könnte.

Diese Mischung aus zielloser Wut und blanker Existenzangst lässt ein gesellschaftliches Klima entstehen, indem Gewalt gegen die zuvor zum Sündenbock gestempelten Minderheiten toleriert, ja legitimiert wird. Auch in der praktischen Umsetzung ihrer menschenverachtenden politischen Ziele sind die ungarischen Faschisten ihren tschechischen Kameraden um etliche Opfer voraus. Im vergangenen Februar umstellten mehrere vermummte Männer ein Roma-Haus in dem 50 Kilometer südwestlich von Budapest gelegenen Dorf Tatarszentgyörgy. Die Täter zündeten das Gebäude mit Brandbomben an und schossen die fliehende Roma-Familie kaltblütig nieder. Der 27 Jahre alte Familienvater und sein vierjähriger Sohn wurden ermordet, ein weiteres Kind schwer verletzt. Dieser Terrorakt reiht sich in eine Serie ähnlicher Übergriffe ein, die nach Einschätzung der ungarischen Polizei von militanten Rechtsextremen verübt werden. Innerhalb der vergangenen 20 Monate wurden in Ungarn 54 rassistische Überfälle auf Roma verübt, die vier Menschenleben kosteten.

Auch von den „Sicherheitskräften“ dürften die Roma Osteuropas nicht viel Gutes zu erwarten haben. Wie weit die Verrohung beispielsweise innerhalb der slowakischen Polizei bereits gediehen ist, wurde Anfang April publik, als den slowakischen Medien Videomaterial zugespielt wurde, auf dem Roma-Kinder auf einer Polizeiwache im ostslowakischen Kosice misshandelt wurden:

Zwei bellende Hunde an der Kette, ein brüllender Uniformierter, sechs Kinder, vier stehen an der Wand, zwei sitzen auf dem Boden. Dann ein Knall. Das Bild zeigt einen jungen Roma, der einen anderen, etwas kleineren, mit voller Wucht ins Gesicht schlägt. Eine Stimme im Off gibt Anweisungen. Beide blicken fragend in Richtung Kamera. Ein kurzes Zögern. Wieder die Stimme. Dann ein weiterer Schlag, diesmal ist es der schmächtigere Bursche. Neue Kinder kommen ins Spiel. Es sind Ohrfeigen. Ab und zu lachen Männerstimmen. Dann ein Schnitt. Die Kamera zeigt sechs Kinder von oben in einem Raum. Wieder gibt es Anweisungen. Sie ziehen sich aus. Nackt. Dann stoppt der Film.

Quelle: Der Standard