e-Petitionen

Zwangsouting ohne Argumente

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Wer eine öffentliche Petition auf elektronischem Wege unterstützt, erscheint in einer öffentlichen Liste der Mitzeichner. Die Begründungen für dieses Zwangsouting sind jedoch wenig überzeugend.

Mit den diversen Fehlern bei der e-Petition, was Usability und Datenschutz angeht, hat sich bereits Alvar Freude hinreichend beschäftigt und konstatiert treffend: Das Ganze wirkt eher wie ein privat betriebenes Forum, nicht jedoch wie eine der Würde des Parlaments angemessene, moderne Web-Applikation." Interessant ist dabei auch, dass bei einer öffentlichen Petition sämtliche Mitzeichner nicht nur auf der Webseite nachzulesen sind (mit Klarnamen, nicht etwa mit einem Pseudonym), sondern dass die Liste der Mitzeichner auch von den hilfsbereiten Verantwortlichen als Datei zum Herunterladen angeboten wird.

Wer öffentliche Petitionen unterzeichnet, wird auch öffentlich gemacht

Für Hans Schmidt aus Hamburg ist dieses Zwangsouting sicherlich wenig problematisch, für Menschen mit einem etwas ungewöhnlicheren Namen jedoch stellt diese Funktion eine Hürde bei der Unterzeichnung der e-Petition dar. Denn die Tatsache, dass jemand eine öffentliche Petition unterstützt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass er dies auch für jeden nachvollziehbar erledigen möchte. Es gibt gute Gründe für Menschen, sich heutzutage, was politisches Engagement angeht, bedeckt zu halten. Dies mag von vielen lapidar als "wer nicht mit seinem Namen für sein Engagement einsteht, der soll es lassen" abgetan werden, diese Argumentation greift aber zu kurz. Zum einen bedarf es des Geldes beim politischen Engagement, zum anderen sind auch gerade die Menschen, die eher "verdeckt" operieren, wichtig. Bürgerrechtler erhalten oft Hinweise, die von Menschen gegeben werden, die von Missständen direkt betroffen sind. Nicht jeder hat hier den Willen wie auch die Möglichkeit, sich sofort ins Rampenlicht zu begeben, die Angst vor dem Verlust der Arbeit und anderen Repressionen ist oft hoch und angesichts der allzu kürzungs- und sperrungsfreudigen Arbeitsagenturen durchaus berechtigt. Allzu leichtfertig wird oft kommentiert: "Bei einem Arbeitgeber, der mich wegen einer Unterschrift nicht will, will ich auch nicht arbeiten.", was aber die finanzielle Wirklichkeit außer acht lässt. Wer über längere Zeit versucht hat, den Bezug von ALG II mit einer finanziellen Umsetzung eines politischen oder sonstigen Engagements zu verknüpfen, der weiß, dass dies mehr als problematisch ist. Insofern sollte es für jeden eine Wahlmöglichkeit geben.

Argumentehopping

Wer nachfragt, wieso die Liste der Mitzeichner überhaupt online und noch dazu zum Download zur Verfügung steht, dem wird ein Argumentehopping geboten, was in keinster Weise zu überzeugen vermag. Es beginnt beim Argument der Transparenz. Die Liste soll, so heißt es, zeigen, dass keine Mitpetenten unterschlagen werden und die Anzahl derer, die angezeigt werden, der tatsächlichen Anzahl der Mitzeichner entspricht. Dadurch, dass aber die Anzahl derer, die ihre Mitzeichnung auf postalischem Wege mitteilen, nicht mit in die angezeigte Mitpetentenzahl einfließt und auch nicht samt Namen veröffentlicht wird, ist diese Transparenz nicht gegeben. Es wäre auch möglich gewesen, den Mitpetenten die Möglichkeit zu geben, unter Pseudonym zu unterzeichnen, wobei eine Bestätigungsmail dann dafür gesorgt hätte, dass jeder nachprüfen kann, ob sein Pseudonym in der Liste auftaucht.

Dem Transparenzargument folgte die übliche "nichts-zu-verbergen"-Maxime. Wer eine öffentliche Petition mitzeichne, der wolle dies ja auch öffentlich machen. Dass dieses Argument nicht stichhaltig ist, liegt auf der Hand. Wer mitzeichnet, möchte dem Petitionsausschuss gegenüber dies mitteilen, nicht jedoch automatisch auch der gesamten Welt. Beim Petitionsausschuss wird dies anders gesehen, es wird mit einer Demonstration argumentiert, bei der ja die Demonstranten auch ihr Gesicht zeigen und ggf. auf Bildern bei der Berichterstattung auch auftauchen. Die Möglichkeit, im Bereich des Künstlerischen das eigene Gesicht zu verfremden oder sich zu verkleiden (was nicht, wie oft fälschlich angenommen wird, gleich gegen ein Vermummungsverbot verstoßen muss), scheint unbekannt zu sein.

Als Nächstes wurde die Wahlmöglichkeit ins Feld geführt. Der Mitzeichner könne sich ja selbst entscheiden ob er nun öffentlich oder nichtöffentlich auftreten will - unterzeichnet er auf elektronischem Wege, wird er geoutet, unterzeichnet er auf postalischem Wege, umgeht er dies. Dies führt die vorgenannten zwei Argumente ad absurdum. Entweder die Mitzeichnung einer öffentlichen Petition wird als "öffentliche Zustimmung" angesehen und entsprechend behandelt, oder sie wird es nicht. Warum hier diejenigen, die die kostensparende Variante des elektronischen Mitzeichnens benutzen, gegenüber denjenigen, die per Brief oder Unterschriftensammlung mitzeichnen, datenschutzrechtlich diskriminiert werden, ist nicht nachvollziehbar.

Alternatives Mitzeichnen und Falschinformationen

Wie bereits erwähnt, kann jeder, der eine öffentliche Petition mitzeichnen will, dies auch auf nichtelektronischem Wege erledigen. Es können Unterschriften gesammelt werden oder ein Mitzeichner teilt seine Unterstützung direkt per Brief mit (hier müssen natürlich Name, Vorname und Adresse angegeben werden). Wer aber diese Alternativmöglichkeiten auf der Seite mit den e-Petitionen sucht, der sucht vergebens.

Dazu kommt, dass die Richtlinien ihrerseits mit irreführenden bzw. falschen Informationen nicht geizen. "Wer sich an einer öffentlichen Petition beteiligt, muss eine gültige Emailadresse haben." heißt es in den Richtlinien. Das entspricht nicht den Tatsachen. Lediglich bei der elektronischen Mitzeichnung ist diese notwendig. Wobei nicht einmal klar ist, wieso dem so ist. Denn da ja Name, Vorname, Adresse und Wohnort angegeben werden müssen und keinerlei Bestätigungsmail für die Mitzeichnung versandt wird, wäre eine der postalischen Mitzeichnung entsprechende Version ohne weiteres möglich. Warum derjenige, der lediglich eine öffentliche Petition mitzeichnen möchte, sich zudem zunächst registrieren muss, bleibt ebenso unklar. Ginge es lediglich darum, dass jemand nicht mehrfach unterzeichnet, so müssten andere Sicherungsmechanismen her, denn eine neue Emailadresse ist ja schnell kreiert, so dass die Registrierung nicht gegen Falsch- oder Mehrfachmitzeichnung helfen kann.

Ablehnungsgründe

Angesichts der technischen Probleme, die das System der e-Petition weiterhin hat (zeitweilig ist gerade bei populären Petitionen eine Unterzeichnung nicht möglich), verwundert auch einer der Ablehnungsgründe. So muss von einer Veröffentlichung einer Petition abgesehen werden, wenn "der Petent bereits mit öffentlichen Petitionen auf der Internetseite des Petitionsausschusses präsent ist", was verwundert. Die sachliche Prüfung lässt ja reine Spaßpetitionen nicht zu, insofern steht mehreren Petitionen einer Einzelperson nichts entgegen. Warum sollte derjenige, der sich gegen Netzsperren ausspricht, nicht für ein Grundeinkommen, für die Abschaffung von ALG II und für Mindestlöhne zeitgleich einsetzen dürfen? Und warum sollte diesen Themen dann die öffentliche Bedeutung abgesprochen werden, die sie ja bei einem nicht "bereits präsenten Petenten" bekämen?

Doch neben dieser geradezu absurd anmutenden Regelungen lässt auch Ablehnungsgrund f. aufhorchen: So kann von einer Veröffentlichung einer Petition insbesondere dann abgesehen werden, wenn "die technischen oder personellen Kapazitäten für eine angemessene öffentliche Präsentation nicht gewährleistet sind".

Bedenkt man hier die technischen Probleme des Systems, so wäre also eine Petition, bei der davon auszugehen ist, dass sie eine solch große öffentliche Bedeutung hat, dass das e-Petitions-System diesem Ansturm nicht gewachsen wäre, dadurch von der Veröffentlichung ausgeschlossen.

Angesichts dieser Regelungen ist es nachvollziehbar, warum manche hier weniger eine zusammengeschusterte Softwarelösung sehen, die von der politischen Teilhabe eher abhält als dazu zu animieren (so man eine Petition als politische Teilhabe ansehen will), sondern vielmehr ein Verfahren, was durchaus Methode hat. Ist das System der Petition an sich bereits letzten Endes ein Bittstellersystem, so wird es durch die e-Petition endgültig zur Farce.