Strafverfolgung oder Internetsperren?

Beides zusammen geht nicht!

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Internetsperren oder "Kinderporno-Sperren", wie sie von den Befürwortern genannt werden, sind aktuell ein heiß diskutiertes Thema. Es prallen zwei Welten aufeinander: Internet-Nutzer, IT-Spezialisten und Bürgerrechtler auf der einen Seite, Zensurbefürworter, IT-Laien und konservative Politiker auf der anderen. Viele Protagonisten beider Fronten trafen derweil schon des Öfteren erbittert aufeinander, etwa wenn es um das Thema Informationsfreiheit ging.

Mit Polemiken vermintes Gebiet

Während die Gegner von Zensur sich gelegentlich zu polemischen, harschen Äußerungen hinreißen lassen, die ihrer Verärgerung Ausdruck verleihen sollen, sind es tatsächlich vor allem die Befürworter, die an keiner Versachlichung interessiert sind. Das lassen sie über die üblichen versteckten Drohungen und nur scheinbar unbeabsichtigte Beleidigungen auch jeden wissen (20 Prozent der Internetnutzer sind "zum Teil schwer Pädokriminelle").

Die Situation ist indes nicht neu. Grundsätzlich ist alles, was im Bereich Kindesmissbrauch/-misshandlung/-pornographie angesiedelt ist, vermintes Gebiet. Wer einen Vorschlag zur Verbesserung der Situation sachlich kritisiert, wird üblicherweise polemisch in die Ecke der "Sympathisanten" verschoben, damit seine Kritik nicht wahrgenommen werden muss. Dass dies so nicht funktionieren kann, hat bereits 2003 die Diskussion um die "Anzeigepflicht bei Kindesmissbrauch" gezeigt (Wie aus einem Elefanten eine Mücke wurde). Obwohl mit großem, aktionistischem Aufwand ein Gesetzesvorstoß auf den Weg gebracht werden sollte, zeigten die Sachzwänge am Ende Wirkung: Der Vorstoß musste zurückgenommen werden. Die Polemik der Erwachsenen hätten ansonsten wieder einmal die Kinder ausbaden müssen.

Internetsperren verhindern Strafverfolgung

Tatsächlich sind Internetsperren das Letzte, das sich im Kampf gegen Kinderpornographie anbietet. Es ist eigentlich einer Kapitulation gleichzusetzen. Wenn man Internetsperren für eine Reihe von Problemen als Lösung vorschlagen könnte, dann wäre Kinderpornographie garantiert nicht darunter. Das liegt im Strafverfolgungssystem begründet, das - auch wenn das konservative Hardliner nicht wahrhaben wollen - von Exekutive UND Judikative gebildet wird:

Möchte der Staat einen Kinderporno-Konsument verfolgen, so muss er ihm mindestens den Versuch oder die Verschaffung kinderpornographischer Inhalte vor Gericht nachweisen. Dies ist nicht trivial. Im Rahmen der Operation "Himmel" (Operation Heiße Luft) ging man davon aus, dass es für eine Verurteilung nicht genügt, dass jemand auf eine Webseite zugegriffen hat, die "auch" kinderpornographische Inhalte anbot (sozusagen in einer Art "Hinterzimmer"). Man ließ sich erst gar nicht darauf ein, aus einem bloßen Zugriff einen "Versuch zur Verschaffung" zu erkennen. Vielmehr musste der Zugriff auf solche Bilder nachgewiesen werden, die noch als kinderpornographisch klassifiziert werden konnten und daraufhin weitere Ermittlungen anstoßen, um die Chancen für eine erfolgreiche Verurteilung zu verbessern.

Würde der Staat nun allen kinderpornographischen Angeboten eine Stopp-Seite vorstellen, so hat er bei der Strafverfolgung ein unüberwindbares Nachweisproblem. Wer auf eine Stopp-Seite zugreift, kann dies aus verschiedenen Gründen tun, etwa weil er auf einen Link klickt bei der Suche nach "normalen" pornographischen Angeboten (siehe Operation "Himmel"). Oder er folgt dem Link, weil er nicht weiß, dass dieser zu entsprechenden Inhalten führt. Für weitergehende Ermittlungen wird daher ein Stopp-Seiten Zugriff nicht ausreichen.

Aber die Situation ist noch viel schlimmer: Der Stopp-Seiten Besucher wird durch das Stopp-Schild nun vorgewarnt. Gesetzt den Fall, der Besucher ist wirklich ein KiPo-Konsument, wird er nun (falls die Internetsperren effizient sind), am weiteren Zugriff von Kinderpornographie gehindert. Für die Strafverfolger ist damit jede weitere Nachweismöglichkeit blockiert.

Den Einwurf der Befürworter, dass das Kriminalamt ja auf den Stopp-Seiten-Zugriff hin Hausdurchsuchungen initiieren dürfte, hat dabei keine Substanz. Abgesehen davon, dass so eine Durchsuchung von Gerichten als unbegründet eingestuft und alsbald sanktioniert werden würde, ist der Konsument vermutlich durch die Vorwarnung bemüht, weitere Beweise gegen ihn sofort zu vernichten.

Staat umgeht mit Zensur die Verpflichtung zur Strafverfolgung

Rechtsphilosophisch gesehen ist es auch höchst fraglich, ob der Staat ein Gesetz erlassen darf, das ihn an der Wahrnehmung seiner Verpflichtungen gegenüber dem Volkssouverän hindert.

Wenn der Staat Internetsperren vorschreibt, dann kollidiert das mit der Verpflichtung zur Strafverfolgung von Kinderporno-Konsumenten, zu der ihn aber der § 184b StGB unmissverständlich zwingt.

Zensur für eine weiße Weste um jeden Preis

Und was gilt hinsichtlich der Produzenten? Stichproben zeigten, dass Staaten, in denen Internetsperren bereits aktiv sind, sich nicht nennenswert um eine Schließung der auf den Filterlisten eingetragenen Webseiten gekümmert haben. Das lässt vermuten, dass man das Problem der Kinderpornographie generell unter den Teppich kehren möchte.

Aber wie weiß ist eine Weste, die durch so ein Vorgehen entsteht? Sicher: rechtlich gesehen müsste man Kinderporno-Produzenten in Ländern, die keine entsprechende Strafgesetzregelung haben, nicht verfolgen. Aber moralisch hätte man die Verpflichtung, derartige Regelungen in solchen Ländern anzustoßen und international zu koordinieren.

Internetsperren dienen nicht dem Kampf gegen Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch oder Kinderpornographie. Sie dienen nur denjenigen, die sich von Leid und Elend abwenden und die Probleme nicht angehen wollen. Und sie würden abermals auf dem Rücken der Kinder errichtet, die ein "Hinsehen" der Verantwortlichen dringender benötigen als alles andere. Sperren von Internetseiten, und somit Zensur, ist immer ein Zeichen von Kapitulation.