Mit Achtsamkeit gegen die Wirtschaftskrise

Der Zen-Meister Thich Nhat Hanh lehrt in Deutschland die Überwindung von Angst und Sorge

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Buddhistische Strömungen genießen zurzeit ein großes öffentliches Interesse. Neben dem Dalai Lama stattet auch mit dem vietnamesischen Mönch Thich Nhat Hanh ein großer Lehrer Deutschland regelmäßige Besuche ab. Vor jeweils mehr als 1.000 Interessierten unterrichtete er vom 7. - 10. Mai die Überwindung negativer Geisteszustände durch Übungen der Achtsamkeit. Diese Praktiken könnten den gestressten und verängstigten Menschen unserer Gesellschaft eine Hilfe sein. Allerdings gibt es zwischen den verschiedenen buddhistischen Strömungen auch deutliche Unterschiede und es ist daher wichtig, die jeweiligen Lehren genau zu prüfen.

Wenn berühmte buddhistische Lehrer nach Deutschland kommen, können sie sich einer breiten Aufmerksamkeit gewiss sein. Viele Menschen dürften dabei an den Dalai Lama denken, der erst 2007 eine Woche lang in Deutschland war und auch in diesem Sommer wieder Vorträge in Frankfurt halten wird. Buddhismus ist aber nicht mit der tibetischen Tradition gleichzusetzen, neben der viele andere buddhistische Strömungen existieren. In den vergangenen Tagen reiste der Mönch und Zen-Meister Thich Nhat Hanh durch Köln und Umgebung, um dort über buddhistische Praxis und gesellschaftliche Probleme zu sprechen.

Der inzwischen 82-jährige Gelehrte wird von seinen Schülern liebevoll „Thay“ genannt, was schlicht „Lehrer“ bedeutet. Seine Lehre vereint Teile aus dem ursprünglichen Buddhismus, dem Theravada, mit dem später entstandenen Mahayana, dem so genannten „Großen Fahrzeug“. Der Vietnamese tat sich international schon in den 1960er Jahren hervor, als er während des Vietnamkriegs für Frieden in seinem Land warb. Aufgrund seiner Bemühungen wurde ihm aber 1966 die Rückreise in die Heimat verweigert. Damit ist er ähnlich wie der Dalai Lama ins Exil gezwungen worden, durfte aber 2004 erstmals wieder in Vietnam einreisen. Einige seiner Schriften sind dort bis heute verboten, was ihre Verbreitung in der Gesellschaft aber nicht verhindern konnte. 1968 wurde Thich Nhat Hanh von Martin Luther King jr. sogar für den Friedensnobelpreis nominiert.

Die Zeit im Exil nutzte der Meister dafür, eine buddhistische Gemeinschaft außerhalb Vietnams zu gründen. Das nach den dort angelegten Pflaumenplantagen so genannte Plum Village in Südfrankreich ist inzwischen zu einem Verbund aus mehreren Klöstern angewachsen, in denen permanent 200 Nonnen und Mönche leben und Besucher aus aller Welt buddhistische Übungen praktizieren. Im letzten September gründete er im nahe bei Köln gelegenen Waldbröl das Europäische Institut für Angewandten Buddhismus (EIAB), in dem zurzeit 20 Mönche und Nonnen leben und den Betrieb des Zentrums als spirituellen Lern- und Übungsort vorbereiten. Das riesige Gebäude war vorher eine Akademie der Bundeswehr und hat eine traurige Vergangenheit aus der Zeit des Dritten Reichs, als dort die Nazis für psychisch krank gehaltene Menschen einsperrten und umbrachten.

Leben im Hier und Jetzt

Einer der Schwerpunkte der Lehre Thich Nhat Hanhs betrifft das Leben im gegenwärtigen Augenblick, im Hier und Jetzt. Durch Meditations- und Achtsamkeitsübungen sollen die Menschen die Möglichkeit lernen, ihr Handeln, Sprechen und Denken anzuhalten. Nach Schwester Annabel, die im Institut für die Einhaltung der Praxis zuständig ist, sei dies zur Überwindung negativer Gedanken unerlässlich. „In unserem Geist entstehen immer wieder Sorgen und Ängste“, erklärt sie. „Wer jedoch mit großer Entschlossenheit übt, der kann nicht nur diese negativen Zustände überwinden, sondern ein sehr intensives Glücksgefühl erleben.“ Menschen könnten dadurch nicht nur Probleme im Alltag und Stress durchstehen, sondern manchmal sogar schwere Erkrankungen überwinden.

Der Mönch und Zen-Meister Thich Nhat Hanh leitet eine Gehmeditation. Mit langsamen Schritten gilt es dabei, seinen Atem zu beobachten und so ein Gefühl innerer Ruhe und des Glücks zu erzeugen. Bei seinem Besuch in Köln machten 1.000 Interessierte von dem Angebot gebrauch und spazierten schweigend über das Gelände der Universität. Bild: Europäisches Institut für Angewandten Buddhismus

Um Übungen der Achtsamkeit ging es auch in den Vorträgen Thich Nhat Hanhs, die vom 7. - 10. Mai in Köln und Umgebung angeboten und von jeweils 1.000 bis 1.100 Interessierten besucht wurden. Entsprechend der Idee des Angewandten Buddhismus wurde dabei aber nicht nur geredet, sondern auch zusammen meditiert. Der Samstag war sogar ein siebenstündiger Tag der Achtsamkeit im größten Vorlesungssaal der Universität zu Köln. So ruhig, wie während der Vorträge des Mönchs und der Meditationsübungen, dürfte es dort in den regulären Lehrveranstaltungen selten zugehen. Zur Mittagszeit setzte die Menschenmasse nicht wenige Kölner in Erstaunen, als die Gruppe zuerst eine Gehmeditation übte und dann unter freiem Himmel ein Mittagessen in Stille verbrachte. Der buddhistische Meister ist sich dessen sicher, durch die Befreiung von inneren Spannungen Gefühle des Unglücks und manche Erkrankungen überwinden zu können.

Solche Praktiken würden zu einem gelingenden Leben führen, meint Thay Phap An, Leiter des neu gegründeten Instituts in Waldbröl. Wenn es jemandem gelinge, tief im gegenwärtigen Augenblick zu leben, könne er auch finanzielle Sorgen überwinden und eine Möglichkeit zur Lösung materieller Probleme finden. Über die finanzielle Zukunft des Zentrums, dem für den öffentlichen Betrieb umfangreiche Sanierungsarbeiten auferlegt wurden, macht er sich daher auch keine Sorgen. Die Menschen sollten die spirituelle Dimension nicht aus den Augen verlieren. „Mit solch einer Haltung kann alles gelingen“, erklärt er selbstbewusst. Schwester Annabel, die vor ihrem Umzug nach Deutschland Äbtin an einem Kloster in den Vereinigten Staaten war, berichtet von der Möglichkeit, dass sich durch Achtsamkeitsübungen ganze Gemeinschaften verändern. In besonderen Fällen sei es schon zu einem „gemeinsamen Erwachen“ gekommen.

So hätten Übungsprogramme an Krankenhäusern dazu geführt, dass die Patienten mehr auf sich selbst und aufeinander achten konnten. Das Pflegepersonal habe von dem Angebot Gebrauch gemacht, Methoden der Tiefenentspannung zu lernen und so intensiver auf die Bedürfnisse der Kranken eingehen zu können. Womöglich wäre dieses Angebot auch hierzulande für Angehörige der Heilberufe bedeutsam, die aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen häufiger am Burnout-Syndrom erkranken. „Wir müssen uns an das erinnern, was schön und wundervoll im Leben ist“, so die buddhistische Nonne. „Dann denken wir nicht nur an die negativen Dinge, die passieren oder passieren können.“ Von dieser Einstellung könnten Menschen auch in Krisenzeiten profitieren, wenn sie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen beunruhigen.

Buddhismus ungleich Buddhismus

Damit legen die vietnamesischen Nonnen und Mönche den Schwerpunkt auf Übungen, die allen Menschen helfen könnten. Die Praktiken stünden allen offen, ganz gleich welcher Konfession, und man wolle auch niemanden zum Buddhismus konvertieren. Im Gegenteil sei Thich Nhat Hanh froh darüber, wenn jemand bei seiner ursprünglichen Religion bleibe und von den Buddhisten Methoden lerne, um ein glücklicheres Leben zu leben, erklärt Schwester Annabel. Metaphysische Spekulationen über Konzepte wie Karma und Wiedergeburt lägen ihnen fern – den Ursprungslehren gemäß habe das schon der Buddha so gesehen, der den Menschen mit seinem Weg zur Befreiung einfach habe helfen wollen, anstatt sie in schwierige philosophische Diskussionen zu verwickeln.

Dass die Idee der Wiedergeburt so weit verbreitet ist, versteht die Nonne als Ausdruck eines populären Buddhismus, der mit den eigentlichen Lehren oft nichts mehr gemeinsam habe. So würden sich manche Menschen aus Angst vor dem Tod an die Vorstellung klammern, eine unabhängige Seele würde in einem neuen Leben fortbestehen. Der Buddha habe aber gelehrt, dass es keine unabhängige Seele geben könne, sondern alles aus anderem entstehe und permanent in andere Daseinsformen übergehe. Daher stirbt nach den Schriften Thich Nhat Hanhs auch niemand im wörtlichen Sinn, sondern höre einfach auf, sich zu manifestieren. Er fasst das unter der Maxime zusammen: „Kein Tod, keine Angst.“ Den Gedanken, dass alles aus anderem entsteht, nennt der Zen-Meister auch Intersein, ein Schlüsselbegriff seiner Tradition.

Für den Westler, der sich für Buddhismus interessiert, werden damit Unterschiede zwischen den verschiedenen Strömungen deutlich. Bei der Gefolgschaft des vietnamesischen Mönchs fällt äußerlich der große Anteil an Frauen auf, der häufig mehr als die Hälfte ausmacht. Das liegt zum Teil daran, dass eine volle Ordination zur Nonne nicht in allen Traditionen möglich ist. Beispielsweise steht Buddhistinnen in Tibet, Thailand, der Mongolei und anderen südlichen und südöstlichen asiatischen Ländern dieser Weg nicht offen, während in China, Korea, Taiwan und Vietnam weibliche Ordinierungen eine Selbstverständlichkeit sind. In manchen Traditionen herrschen gar noch veraltete Ansichten, eine Wiedergeburt als Frau sei weniger erstrebenswert, da man nur als Mann die volle Erleuchtung erreichen könne. Darin mögen sich orthodoxe Relikte patriarchalischer Gesellschaftsordnungen widerspiegeln. Schwester Annabel empfiehlt, sich von solchen Vorstellungen nicht verunsichern zu lassen, sondern durch sein Verhalten zu beweisen, dass Frauen den Männern in nichts nachstünden.

Aber nicht nur feministisch, sondern auch wissenschaftlich denkende Menschen werden sich mit manchen buddhistischen Überlieferungen schwer tun. So schreibt beispielsweise der im deutschsprachigen Raum angesehene Meditationslehrer Fred von Allmen in seiner neuen Einführung in den Buddhismus, durch das Üben des Yoga-Tantra, einer Spezialität des tibetischen Buddhismus, könne man übersinnliche Fähigkeiten wie das Erlangen von Unsichtbarkeit, das Gehen durch Wände, Laufen auf Wasser oder auch Lesen der Gedanken anderer verwirklichen, um nur eine Auswahl zu nennen.

Diese Beispiele machen deutlich, dass das Zusammentreffen westlicher und östlicher Traditionen nicht immer reibungslos verläuft. Dennoch können die buddhistischen Übungen gerade den gestressten, verängstigten oder vereinsamten Menschen unserer Gesellschaft womöglich zu einem glücklicheren und gelingenderen Leben verhelfen. Zumindest deutet das große öffentliche Interesse darauf hin, dass an den Lehren und Praktiken etwas dran ist. Wie so oft in spirituellen und weltanschaulichen Fragen ist es aber auch hier wichtig, im Einzelfall zu prüfen, worauf man sich einlässt. Doch schon der Buddha lehrte, nichts einfach auf Treu und Glauben hinzunehmen, sondern selbst seine eigenen Unterweisungen kritisch zu hinterfragen.