Bürokratische Interaktion statt Hilfe

Warum viele Vermittlungsgespräche in Arbeitsagenturen ergebnislos bleiben

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Sie verstehen sich als moderne Dienstleistungsunternehmen, arbeiten in multitaskingfähigen „Jobcentern“ und haben sich selbst und ihrer Klientel neue Namen und Funktionsbeschreibungen verordnet. Dass es zwischen „Agenturen“ und „Kunden“ trotzdem nicht rund läuft, musste Ende April allerdings sogar die nicht erklärtermaßen systemkritische Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (ISNM) feststellen.

Die vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung durchgeführte Untersuchung kam zu dem Schluss, dass jeder dritte Erwerbslose, der auf den Arbeitsmarkt zurückkehren will, mit Hilfe von Freunden und Bekannten einen neuen Job findet. Stellenangebote in Zeitungen oder im Internet spielen ebenfalls eine wichtige Rolle (gut 19 Prozent), und „sonstige“ Informationsquellen sind mit beachtlichen 20 Prozent vertreten.

Die behördlichen Aktivitäten fallen dagegen kaum ins Gewicht. Lediglich 14,4 Prozent der Arbeitssuchenden fanden über die Vermittler der Bundesagentur für Arbeit eine neue Stelle. Für die Gruppe der Langzeitarbeitslosen, denen die Hartz-Gesetze vor allem zugute kommen sollten, konnten kaum Fortschritte erreicht werden.

Die Verbesserung der Chancen von Langzeitarbeitslosen zu einem Wiedereinstieg in Arbeit war erklärtes Ziel der Hartz-Gesetze. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Deshalb sind hier weitere Reformen notwendig. Insbesondere die Kanäle der Arbeitssuche und Arbeitvermittlung müssen besser an die jeweiligen Zielgruppen angepasst werden.

Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft

Erklärungen für dieses unerfreuliche Gesamtergebnis liefert nun eine Studie des Sozialwissenschaftlers Volker Hielscher von der Fachhochschule Heidelberg und des Organisationsberaters Peter Ochs. Sie werteten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung Erstgespräche in Arbeitsagenturen aus und kamen zu dem Schluss, dass die von der Nürnberger Bundesagentur vorgegebenen Gesprächsraster kaum Raum lassen, um die jeweiligen individuellen Voraussetzungen oder „Probleme, Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen der Rat- und Hilfesuchenden“ zu berücksichtigen. Die Vermittler seien beim ersten persönlichen Gespräch vielmehr damit beschäftigt, vorgefertigte Einträge in einem umfangreichen Computer-Formular auszuwählen.

Kommunikationsdefizite

Hielscher und Ochs analysierten die Situation in Regionen mit unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen und entdeckten „fünf Typen von Erstgesprächen“. Der „Aushandlungsprozess“, der auf Augenhöhe zu einer Verständigung über gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen führt, wäre der Idealfall einer „ko-produktiven Interaktion“, konnte aber im Verlauf von 42 Gespräche nur zweimal umgesetzt werden. Die „unterstützende Dienstleistung“, die einen Kompromiss zwischen dem Pflichtprogramm der Bundesagentur und den Vorstellungen der Erwerbslosen anstrebt, war häufiger anzutreffen (17 von 42).

Über die Hälfte der Gespräche klassifizierten die Wissenschaftler als „bürokratische Interaktion“ (Dominanz der Verwaltungssprache, auf die Bedürfnisse der Arbeitsuchenden wird kaum eingegangen), „Als-ob-Interaktion“ (Vermittler und Erwerbslose gehen scheinbar aufeinander ein, versuchen Konflikte zu vermeiden, verfolgen aber verschiedene Ziele und kommen so nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis) oder „Abwehr von Ansprüchen“ (Wünsche der Erwerbslosen nach einem Branchenwechsel, einer Umschulung oder Weiterbildung werden ohne nähere Prüfung abgelehnt).

Folgerichtig empfanden nur 17,5 Prozent der Erwerbslosen den Kommunikationsstil der Vermittlungskräfte als „erläuternd, beratend“. Die überwiegende Mehrheit charakterisierte den Tonfall mit Begriffen wie „abweisend, abwehrend“ (12,5 Prozent), „direktiv, ansagend“ (32,5 Prozent) oder „fragend“ (37,5 Prozent).

Überdies stellten Hielscher und Ochs fest, dass die Nachbereitung der Gespräche in vielen Fällen zu wünschen übrig lässt. Wenn ihre Kunden gegangen sind, werden sie vier Kategorien zugeteilt, die vom vergleichsweise leicht vermittelbaren „Marktkunden“ bis zum problematischen „Betreuungskunden“ reichen. Auf letztere sollte die Unterstützung bei Qualifizierung und Jobsuche eigentlich fokussiert werden.

Tatsächlich bemühten sich die Arbeitsagenturen aber vor allem um die leichter zu Vermittelnden, weil sich der Mitteleinsatz hier eher "rentiert".

Volker Hielscher/Peter Ochs

Nach Einschätzung der Wissenschaftler ist es unter diesen Voraussetzungen nahezu unmöglich, die individuellen Ansprüche der Erwerbslosen zu berücksichtigen. Außerdem seien die „standardisierten Profilabfragen“ nicht geeignet, um die Möglichkeiten einer beruflichen Veränderung oder Weiterentwicklung zu ermitteln. Den Betroffenen bleibt damit nur die Hoffnung auf die persönliche Bereitschaft einzelner Vermittler, aus freien Stücken mehr zu leisten, als vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist.

Den im Sozialgesetzbuch formulierten Anspruch auf qualifizierte Berufsberatung kann die Bundesagentur für Arbeit in der derzeitigen Dienstleistungsorganisation der Agenturen nicht einlösen.

Volker Hielscher/Peter Ochs