Wo bleibt der Quantencomputer?

Der Quantencomputer ist schon da - allerdings nicht als universeller Codebrecher, sondern als Grundlage für eine sichere Datenverschlüsselung

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Spätestens seit Peter Shor 1994 seinen Faktorisierungs-Algorithmus für Quantenrechner vorstellte, erwachte das Interesse an der Technologie, die das Potenzial hatte, bis dato existierende Kryptotechniken mit einem Schlag obsolet zu machen. Doch unter den Schreibtischen steht heute noch immer Siliziumtechnik - warum braucht der Quantencomputer so lange? In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science argumentieren Philip Hemmer von der Texas A&M University und Jörg Wrachtrup von der Universität Stuttgart, dass der Quantenrechner zum einen längst da ist - und zum anderen in ganz anderer Form kommt, als wir damals erwarteten. Wrachtrup erläutert die Thesen im Telepolis-Interview.

Professor Jörg Wrachtrup, 47, ist Direktor des 3. Physikalischen Instituts an der Universität Stuttgart

Der Quantencomputer ist längst hier, schreiben Sie in Ihrem Artikel. Können Sie das kurz kommentieren?

Jörg Wrachtrup: Quantencomputer sind dadurch berühmt geworden, dass es mit ihnen möglich sein sollte, komplexe numerische Probleme, zum Beispiel die Primzahlzerlegung oder Suche in ungeordneten Datenbanken, viel schneller als mit klassischen Computern durchzuführen. Dazu sind viele – vielleicht hundert? - Qbits notwendig. Quantenrechner mit einer solchen Kapazität werden noch einige Zeit auf sich warten lassen. Allerdings ist der Einsatz von einfachen Varianten (zwei Qbits) etwa in Teleportationsexperimenten unlängst gezeigt worden. Ich vermute, dass im Bereich der Quantenkryptographie und hier bei Quantenrepeatern in der nächsten Zeit das Einsatzfeld von Quantenalgorithmen sein wird.

Die nächste Generation der Quantenkryptografie verspricht, auf das Übertragen von Informationen ganz zu verzichten. Klingt wie Zauberei?

Jörg Wrachtrup: Kryptographie ohne Informationsübertragung macht natürlich keinen Sinn. Allerdings werden quantenkryptographische Systeme in Zukunft wohl auf Verschränkung zurückgreifen, um lange Distanzen überwinden zu können. Die dabei zu Einsatz kommende Verschränkung hat in der Tat etwas spukhaftes.

Welche Voraussetzungen für einen "rechnenden" Quantencomputer sind denn bereits vorhanden?

Jörg Wrachtrup: Im Grunde genommen zeigen alle physikalischen Realisierungen eines Quantencomputers die grundlegenden Voraussetzungen. Am weitesten fortgeschritten sind Quantenrechner, die auf Ionen beruhen. Schritt für Schritt reifen allerdings auch die auf der Basis von Festkörpern konstruierten Einheiten. Die wesentlichen Voraussetzungen wie das Vorhandensein von mindestens 2 Qbits, deren Adressierbarkeit und genügend präzise Kontrolle sowie lange Kohärenzzeiten sind dabei von praktisch allen Ansätzen zumindest im Anfangsstadium erfüllt.

Gibt es noch wissenschaftliche Hürden für die Konstruktion eines Quantencomputers?

Jörg Wrachtrup: Die größte Hürde, die es zu überwinden gilt, ist sicherlich die Skalierbarkeit. Hierunter ist das Überführen von 2-Qbit-Systemen hin zu größeren Einheiten mit mehreren hundert Qbits zu verstehen. Hier gibt es viel versprechende Ideen, aber bisher keinen publizierten Durchbruch.

Wo sehen Sie die größten technischen Schwierigkeiten?

Jörg Wrachtrup: Es ist enorm schwierig, mehrere hundert Quantensysteme zu kontrollieren. Die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers beruht darauf, dass alle Qbits miteinander verschränkt werden können. Das führt dazu, dass die Anzahl der Parameter des System exponentiell mit der Anzahl der Qbits wächst. Leider gilt dies - vereinfacht ausgedrückt - auch für die Anzahl der möglichen Fehler.

In welcher Weise wird das Prinzip des Quantencomputers beim normalen Anwender Einzug halten?

Jörg Wrachtrup: Der normale Anwender wird mit einem Quantencomputer zuerst im Bereich der Quanteninformationsübertragung in Berührung kommen.

Welche anderen möglichen Auswirkungen respektive Folgen der Forschung in diesem Bereich sehen Sie für andere Gebiete?

Jörg Wrachtrup: Die Grundlagenforschung lebt natürlich von Überraschungen. Daher liege ich vermutlich falsch, wenn ich die Bedeutung für hochgenaue Messverfahren oder Zeitnormale hervorhebe. In der Tat arbeiten wir gerade an Sensoren, die auf Quantenbits in Diamant basieren. Diese Sensoren sind in der Lage, hochgenau Magnetfelder abzubilden und auszumessen. Sie könnten in der medizinischen Bildgebung beziehungsweise Zellbiologie eingesetzt werden.