"Es hilft nicht, an den alten Geschäftsmodellen festzuhalten."

Der Münchner BWL-Professor Dietmar Harhoff ist gegen ein stärkeres Urheberrecht

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Wie „die Tarantel auf dem Himbeereisbecher“ fühlte sich laut eigenem Bekunden Roland Reuß, als er Ende April bei der Konferenz „Zukunft des Urheberrechts“ auf dem Podium saß. Zwar hatte die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sich durchaus hinter den von ihm initiierten „Heidelberger Appell für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte“ gestellt. Die beiden einführenden Vorträge dagegen sahen sein Anliegen mit weniger Sympathie. Einen dieser Vorträge hielt Dietmar Harhoff, Professor am Institut für Innovationsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung in forschungspolitischen Fragen berät. Aus ökonomischen Gründen hält Harhoff eine weitere Stärkung des Urheberrechts für falsch. Statt auf 70 Jahre verlängert zu werden, wie es die EU-Kommission möchte, solle sie verkürzt werden und je nach Produkt zwischen fünf und dreißig Jahren liegen.

Sie beurteilen die EU-Initiative zur Verlängerung der urheberrechtlichen Schutzfristen kritisch - warum?

Dietmar Harhoff: Hier wird den europäischen Konsumenten eine hohe Belastung aufgebürdet, die sich ökonomisch nicht rechtfertigen lässt. Es wäre sinnvoller gewesen, den Schutz auf die Lebensdauer des Künstlers zu beschränken. Es hat dazu viele wissenschaftliche Stellungnahmen gegeben, ausnahmslos haben sie gegen die Initiative argumentiert. Die Kommission hat diese Entscheidung wider besseres Wissen dennoch durchgepaukt.

Der britische Ökonom Rufus Pollock empfiehlt eine Schutzdauer von 15 Jahren. Aber lässt sich überhaupt festlegen, welche Dauer ideal ist?

Dietmar Harhoff: Eine optimale Schutzdauer lässt sich bestimmen, indem man analytisch den Gesamtnutzen für Kreative, Intermediäre und Nutzer maximiert. Der Wert von 15 Jahren stellt eine Durchschnittszahl dar – besser wäre es natürlich, die Stärke des Schutzes zu differenzieren. Aber schon um eine Schutzdauer von – sagen wir – 60 Jahren nach Entstehen eines Werkes ökonomisch zu begründen, muss man völlig unrealistische Annahmen verwenden. Für viele Bereiche ist die optimale Schutzdauer weit kürzer.

Das jeweilige Ergebnis hängt von verschiedenen Parametern ab. Rufus Pollock baut seine Berechnung auf vier Parametern auf: der Zeitpräferenzrate, der Höhe der Wohlfahrtsverluste infolge des Ausschlussrechts, der Anreizwirkung von Geld auf den Kreativen und der Geschwindigkeit, mit der der Wert des Werkes im Laufe der Zeit abnimmt. Je schneller dieser Wertverfall vor sich geht, desto kürzer sollte die Schutzdauer sein. Ein Beispiel: Nachrichten in einer Zeitung haben schon am Tag nach der Publikation nur noch geringen Wert – hier behindert eine hohe Schutzdauer ökonomisch sinnvolle Zweitverwertungen. Wissenschaftliche Publikationen haben in einigen Disziplinen ebenfalls häufig eine hohe „Verfallsgeschwindigkeit“, die Publikationen des Vorjahres werden da schnell uninteressant. Dies ist bei anderen kulturellen Gütern – Büchern, Filmen, Musik – in etlichen Fällen anders. Gerade deshalb lautet die Kritik vieler Ökonomen ja: „One size does not fit all“.

In der FAZ wurde Ihnen vorgeworfen, Sie würden bei Ihren Überlegungen zum Urheberrecht nicht offen legen, welche Größen Sie bei Ihrer Rechnung zugrunde legen.

Dietmar Harhoff: Das hat mich überrascht, denn ich hatte in meinem Berliner Vortrag auf die Quelle der Daten und die Modelle von Pollock hingewiesen. Die Ergebnisse kann jeder nachlesen. Die Aussage, die Schätzungen seien beliebig, ist Unfug. Es ist längst eine Binsenweisheit, dass die Schutzdauer im Urheberrecht ökonomisch nicht gerechtfertigt werden kann.

Ist das Patentrecht nicht viel entscheidender für Innovation als das Urheberrecht?

Dietmar Harhoff: Auch neue Bücher, Filme oder wissenschaftliche Arbeiten sind Innovationen mit wirtschaftlichem Wert. Das Urheberrecht ist volkswirtschaftlich mindestens genauso wichtig wie das Patentsystem. Und ein überzogenes Urheberrecht kann Innovationen behindern, zum Beispiel wenn der Preis oder die Transaktionskosten zu hoch sind, um ein Werk in Folgeinnovationen nutzen zu können. Wenn ich Zugang zu einer wissenschaftlichen Zeitschrift benötige, um selbst Forschung betreiben zu können, diese aber von meiner Organisation nicht abonniert wird, wird meine Forschungsaktivität sehr teuer oder gar unmöglich gemacht.

Der Heidelberger Appell sieht national und international die Publikationsfreiheit und die Rechte der Urheber bedroht.

Dietmar Harhoff: Da werden zwei Dinge verquickt, die miteinander ziemlich wenig zu tun haben. Ich teile die Kritik am Vorgehen von Google Books weitgehend. Aber an Open Access ist nichts unseriös – das Prinzip ist sogar sehr sinnvoll.

Wie erfolgreich sind Open Access - Publikationen?

Dietmar Harhoff: Das kommt darauf an, wie Sie Erfolg definieren. Es gibt inzwischen über 3000 Open Access-Zeitschriften. Sie sind erfolgreich in dem Sinne, dass sich in vielen Fällen gerade die besten Wissenschaftler für eine Publikation in einem Open-Access-Journal entscheiden oder aber durch Zahlung einer Gebühr für ihren Artikel anderen Open Access gewähren. Sie sind erfolgreich, weil Wissenschaftler in Schwellenländern besser an internationalen Wissenschaftsprozessen teilhaben können. Aber die völlige Umstellung des Systems wissenschaftlicher Publikationen auf die Open Access-Variante des „goldenen Wegs“ würde vermutlich genauso viel kosten wie das derzeitige Modell. Der „grüne Weg“ ist dahingegen kostengünstig und in vielen Fällen auch praktikabel. („Goldener Weg“ meint die Veröffentlichung in elektronischen Zeitschriften, die sich ganz oder teilweise mit Zahlungen der Autoren finanzieren. M.B.) Ich gehe davon aus, dass Open Access weitere Marktanteile gewinnen wird. Die Rolle von Intermediären wird bei wissenschaftlichen Zeitschriften sinken – und das ist wirtschaftlich auch effizient.

Haben denn die Intermediäre, die Verlage, Plattenfirmen und Medienkonzerne überhaupt noch eine Zukunft?

Dietmar Harhoff: Intermediäre erfüllen verschiedene Funktionen, und diese sind vom technischen Wandel unterschiedlich stark betroffen. In einigen Fällen wird mittelfristig die Rolle von Intermediären ganz in Frage gestellt. Dissertationsschriften lassen sich heute besser elektronisch publizieren. Hier werden oft nur sehr bescheidene Vermarktungsaktivitäten von den Verlagen geleistet. Ähnliche Effekte gibt es in der Unterhaltungsbranche. Die Filter- und Sortierfunktion des Labels in der Musikbranche lässt sich teilweise durch webbasierte Prozesse ersetzen, aber es mag auch Hybridlösungen geben. In vielen Bereichen, die vom Urheberrecht tangiert sind, wird es nach wie vor Intermediäre geben und sie werden wichtige Funktionen ausfüllen. Das sollte nicht von der Politik, sondern vom Markt bestimmt werden.

Sie sagten in Ihrem Vortrag in Berlin: „Die bisherigen Reformen haben nur einen Teil der Probleme gelöst und neue geschaffen. Sie dienen häufig der Strukturerhaltung.“

Dietmar Harhoff: Die Politik hat auf die neuen technischen Herausforderungen reagiert, indem sie den Schutz verstärkt hat. Aber Schutzrechte können wirtschaftlichen Wandel auch verzögern oder behindern, also Struktur erhaltend wirken. Das Mantra der Politik lautet bisher: „Mehr Schutz, mehr Schöpfung“, aber diese Vorstellung kann auch in die Irre führen. Neue Probleme tauchen beispielsweise bei der Ausgestaltungen von Schranken auf, die für den Interessenausgleich wichtig sind. Hier habe ich kritisiert, dass die Diskussion ohne jegliche quantitative Fundierung geführt wird, obwohl die leicht darstellbar ist.

In den USA sind die sogenannten Patent-Trolle zum Problem geworden. Gibt es hierzulande ähnliche Tendenzen?

Dietmar Harhoff: Die Situation in Europa ist nicht ganz vergleichbar. Das Geschäftsmodell der Trolle in den USA baut stark darauf auf, über hohe Rechtstreitkosten Druck aufzubauen und Vergleich zu erzwingen. In europäischen Gerichten ist das nicht so einfach darstellbar. Aber es ist bekannt, dass Patentfonds etwa 20 000 europäische Patente aufgekauft haben und an der Verwertung arbeiten. Und diese Fonds haben ihren Investoren Renditen von über 20 Prozent versprochen …

Sie leiten die Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung in forschungspolitischen Fragen berät. Wird innerhalb dieses Kreises über „geistiges Eigentum“ diskutiert? Sind von dieser Seite Initiativen zu erwarten?

Dietmar Harhoff: Schutzrechte sind wichtig für Innovationsprozesse, und die Diskussionen in der Kommission tragen dem auch Rechnung. Es ist also zu erwarten, dass die Kommission zu diesen Themen auch Stellung beziehen wird. Aber das wird nicht von mir entschieden, sondern von allen Mitgliedern der Kommission.

Sie sprechen von einem nötigen Interessenausgleich zwischen Nutzern, Kreativen und Intermediären. Wie hat sich in den letzten Jahren das Kräfteverhältnis zwischen diesen Gruppen entwickelt?

Dietmar Harhoff: Die technologische Entwicklung hat den Nutzern eigentlich mehr Freiheiten und Möglichkeiten eröffnet, auf Informationen - Daten, Musik, Videos - zuzugreifen. Ökonomisch gesprochen sind die Kosten der Diffusion und des Zugangs gesunken. Das eröffnet eigentlich Möglichkeiten für mehr Wertschöpfung. Gleichzeitig haben die Nutzer Einfluss verloren, denn die Politik hat mit einer Stärkung der Schutzrechte auf die technische Entwicklung reagiert: technische Schutzmaßnahmen wie DRM, neue Schutzrechte für Datenbanken, Ausweitung der Schutzfristen – um nur einige Beispiele zu nennen. Im Gegenzug untergraben file sharing - und andere Modelle diese Position in gewissem Umfang wieder. In dieser Situation hilft es nicht, an alten Geschäftsmodellen festzuhalten und den rechtlichen Rahmen auf die etablierten Modelle auszurichten. Genau das passiert aber. Eigentlich bräuchten wir viele Experimente, um neue Geschäftsmodelle auszuloten.