Was vom Mythos übrig blieb

Hollywood, die freie Marktwirtschaft und das Urheberrecht

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Die mächtige Motion Picture Association of America hat zum Schutz des Urheberrechts ein Amateurvideo in Auftrag gegeben, auf dem demonstriert wird, dass man DVDs mit Kopierschutz nicht rippen muss, weil man sie auch abfilmen kann. Das ist dieselbe Organisation, deren Vorläufer in der guten alten Zeit noch Schlägerbanden beschäftigten und gegen den weiblichen Orgasmus zu Felde zogen. Ein Erinnerungsmedaillon.

Der Gründungsmythos von Hollywood ist wie folgt: Im Herbst 1913 saß Cecil B. De Mille mit Jesse L. Lasky, einem Vaudeville-Musiker deutsch-jüdischer Abstammung aus San Francisco und dessen Schwager, einem in Warschau geborenen Handschuhverkäufer namens Samuel Goldfish (später: Goldwyn) in New York beim Mittagessen. Bei dieser Gelegenheit gründeten die drei Herren eine Produktionsfirma, die sie Jesse L. Lasky Feature Play Company nannten. Daraus wurde dann die Paramount. Weil so eine Firma auch ein Produkt haben sollte, das sie verkaufen kann, bestieg De Mille im November mit einem Schauspieler, einem Regisseur, einem Kameramann, der seine eigene Ausrüstung mitbrachte und mit 5000 Dollar den Zug nach Flagstaff, Arizona. Dort wollten sie einen Western mit dem Titel The Squaw Man drehen.

Als sie in Flagstaff ankamen, erinnerte De Mille die Landschaft an Nordafrika und nicht an Wyoming, wo der Film spielen sollte. Kurzentschlossen setzte er sich mit seinem Team wieder in den Zug und fuhr weiter bis zur Endstation, in ein verschlafenes Provinzkaff namens Los Angeles. Wie in Wyoming sah es da auch nicht aus, aber es entsprach doch den Erwartungen. Schließlich hatte D.W. Griffith hier schon ein paar Western gedreht. De Mille blieb und kabelte seinen Partnern in New York, dass er in einem Ort mit dem Namen Hollywood für 75 Dollar im Monat als Studio eine Scheune mieten wollte. Goldfish und Lasky waren beunruhigt. Von dem Nest hatten sie noch nie etwas gehört.

"Keine Movies, keine Neger, keine Juden"

Der Name "Hollywood" geht auf Mrs. Horace Henderson Wilcox zurück, die auf dem Arreal mit ihrem Gatten eine Ranch bewohnte und diese so genannt hatte. Hollywood bestand damals aus ein paar Parzellen, die von Los Angeles aus über acht Meilen Landstraße zu erreichen waren. Die Verkehrsanbindung war so schlecht, dass De Mille sich ein Pferd kaufte, um schneller von seiner Unterkunft zum Studio zu kommen. Er hatte sich in einem Häuschen am Cahuenga Pass einrichten müssen. Die sehr konservativen Vermieter von Hollywood, mehrheitlich Anhänger der Prohibition, wollten mit Filmleuten nichts zu tun haben. Es kam ihnen vor, als sei ihre ehrbare Gemeinde von Zigeunern überrannt worden. Sie verwechselten das Produkt mit seinen Herstellern und nannten das Filmvolk movies. Wer eine Wohnung zu vergeben hatte, stellte deshalb ein Schild mit der Aufschrift "Keine Movies, keine Neger, keine Juden" vor das Haus. Die exklusiven Garden Court Appartments weigerten sich noch 1918, Mieter aus dem Filmgewerbe aufzunehmen. Juden und Schwarze wurden sowieso nicht zugelassen. Aber die Entwicklung war auch von solchen Rassisten nicht mehr aufzuhalten. Nachdem De Mille die Scheune gemietet hatte, folgten andere bald nach. Aus Hollywood wurde das Zentrum der Filmindustrie.

Soweit der Mythos. Tatsächlich wurde das erste Filmstudio in der Gegend 1906 vom früheren Zauberer William Selig gegründet, in der Alessandro Street in Los Angeles. In Hollywood selbst eröffnete ein englisches Brüderpaar, William und David Horsley, im Oktober 1911 das erste Atelier. Wenige Monate später waren es schon 15 Firmen, die hier drehten. Es gab zwei entscheidende Standortvorteile: das Wetter (meistens schien die Sonne) und die Abgeschiedenheit. Letzterer hatte mit Thomas Alva Edison zu tun, dem selbsternannten Erfinder der Kinematographie.

Edison hatte eigentlich erstaunlich wenig von dem erfunden, was in der neuen Industrie zum Einsatz kam, doch das hinderte ihn nicht, das Urheberrecht auf die gesamte Technologie zu beanspruchen und allem sein Copyright aufzudrücken. "Jeder in der Industrie und im Handel stiehlt", ist einer seiner berühmtesten Sprüche. "Ich selbst habe viel gestohlen. Es kommt darauf an, zu wissen, wie man stiehlt." Edison wusste das besser als jeder andere. Er versuchte, die Konkurrenz durch rücksichtslos geführte Patentkriege auszuschalten. Viele wurden dadurch aus dem Markt gedrängt, oder sie mussten Lizenznehmer Edisons werden. Er vertrieb ihre Filme und bezahlte ihnen einen minimalen Gewinnanteil. Wer aufbegehrte, verlor die Lizenz.

Prozesse wegen der umkämpften Patente endeten für Edison abwechselnd mit Erfolgen und mit Niederlagen. Mit Konkurrenten, die man nicht besiegen kann, muss man sich verbünden. 1908 entstand unter Edisons Führung die Motion Picture Patents Company (MPPC), ein Zusammenschluss der wichtigsten Produktionsfirmen und Patenthalter. Mit den Unabhängigen, die weder Knebelverträge unterschreiben noch überzogene Lizenzgebühren bezahlen wollten, ging die MPPC wenig zimperlich um. Sie schickte ihnen Prügeltrupps auf den Hals, die Leute krankenhausreif schlugen und die Ausrüstung zertrümmerten. Das Zentrum der Filmindustrie war New York. Ein Ort wie Los Angeles, der am anderen Ende des Kontinents lag, war für die Unabhängigen ideal. Hollywood war noch besser. Die schlechte Erreichbarkeit verhinderte Überraschungsangriffe der MPPC. Trotzdem war das Filmemachen auch hier ein Abenteuer. Wenn Cecil B. De Mille das Haus nie ohne Pistole verließ, war das mehr als bloße Selbstinszenierung. Als Charles Rosher, später Kameramann von F.W. Murnau (Sunrise), für Carl Laemmle ein Atelier übernahm (die Keimzelle von Universal City), ließ er sich von bewaffneten Cowboys begleiten. Im Hollywood der Gründerzeit wurden Scharfschützen nicht nur auf den Filmsets gebraucht, sondern auch im Geschäftsleben.

Orgien, Manager und Moneten

Nach den wilden Anfangsjahren war die amerikanische Filmindustrie um Seriosität bemüht. Bereits 1917, als der Komiker Roscoe "Fatty" Arbuckle bei der Paramount einen Vertrag unterschrieb, der ihm eine wöchentliche Gage von 5000 Dollar garantierte, war der mit derselben Summe über Flagstaff nach Los Angeles fahrende Cecil B. De Mille fester Bestandteil der Selbstdarstellung Hollywoods. Die Anekdote war - und ist - so beliebt, weil sie vom Pioniergeist der Gründerväter erzählt. Das ist viel netter als die Geschichte vom mit Totschlägern und Schusswaffen ausgetragenen Krieg zwischen einem Kartell der Raubtier-Kapitalisten und unabhängigen, auf Patente wenig gebenden Urheberrechts-Piraten, die sich in einem von bigotten Rassisten und Antisemiten bewohnten Nest in der Nähe von Los Angeles vor Edisons Prügeltrupps versteckten.

Interessanterweise haben viele der frühen Hollywood-Skandale nicht nur mit Orgien, nackten Showgirls und mysteriösen Todesfällen zu tun, sondern auch mit spektakulären Vertragsabschlüssen. 1921 unterzeichnete Fatty Arbuckle einen neuen Kontrakt, der ihm in 3 Jahren 3 Millionen Dollar einbringen sollte. Seine Arbeitgeber waren sicher, das Geld wieder einspielen zu können, weil sie ein neues Geschäftsmodell entwickelt hatten. Die Paramount führte als erstes der großen Studios das System des Blockbooking ein. Kinobesitzer konnten neue Filme mit Publikumslieblingen wie Fatty nur im Paket mit anderen Streifen buchen, die sie ohne Zwang kaum genommen hätten.

Im September 1921 fuhr Arbuckle mit zwei Freunden und einigen Showgirls für ein verlängertes Wochenende nach San Francisco. Im St. Francis Hotel wollten sie den neuen Vertrag feiern. Am Ende der Festivitäten ging es dem Starlet Virginia Rappe äußerst schlecht. Vier Tage später starb sie an einer Bauchfellentzündung, hervorgerufen durch einen Riss in der Blase. Experten vermuteten später, der Riss sei das Resultat einer Abtreibung oder einer Krebserkrankung gewesen. Rappes Freundin "Bambina" Maude Delmont behauptete dagegen, Fatty habe Virginia vergewaltigt. Beweise dafür gab es nicht.

Der San Francisco Examiner, das Skandalblatt des Medienzaren William Randolph Hearst (das Vorbild für die Titelfigur in Orson Welles' Citizen Kane) schlachtete den Fall nach Kräften aus und führte eine landesweite Zeitungskampagne an, die überall für kräftige Auflagensteigerungen sorgte. Den Revolverblättern war zu entnehmen, dass sich der über 250 Pfund schwere Arbuckle bei seinem Vergewaltigungsversuch auf das Starlet gelegt habe, wodurch deren Blase geplatzt sei. Zur Linderung ihrer Schmerzen hatten Fatty oder andere Partygäste Virginia den Bauch mit Eis eingerieben. Rappes Manager machte daraus, dass Fatty versucht habe, Virginia mit einem Stück Eis sexuell zu stimulieren; dabei habe er die Blase verletzt. In den Zeitungen wurde daraus eine Coca-Cola- und dann eine Champagnerflasche, mit der Arbuckle Virginia Rappe vergewaltigt habe.

Fatty Arbuckle wurde wegen Vergewaltigung mit Todesfolge angeklagt. Es waren drei Prozesse nötig, bis sich eine Jury auf einen Freispruch einigen konnte. Die Geschworenen hielten ausdrücklich fest, dass Fatty großes Unrecht widerfahren sei. Seine Karriere war trotzdem zerstört. Viele Kinobesitzer hatten sich gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe geweigert, weiter Arbuckle-Filme zu spielen. Sie begründeten das mit ihrem Abscheu vor der Unmoral in Hollywood. Über etwas anderes sprachen sie nur hinter vorgehaltener Hand: durch das Absetzen der Filme reagierten sie ihre Wut über das ihnen aufgezwungene Blockbooking ab. So wurde Arbuckle auch zum Sündenbock für etwas, von dem er zwar profitierte, das sich aber die Manager in New York ausgedacht hatten und nicht mehr oder weniger unmoralische Schauspieler in Hollywood.

Die Arbuckle-Affäre war der spektakulärste einer ganzen Reihe von Hollywood-Skandalen der Jahre 1920-22, in die fast immer die Paramount verwickelt war. Sie war der Auslöser dafür, dass sich die großen Hollywood-Studios zur Bildung einer neuen Organisation durchrangen, der Motion Picture Producers and Distributors of America, Inc. Als Chef der MPPDA wurde Will H. Hays bestimmt. In seiner Zeit als Funktionär der Republikanischen Partei hatte Hays entscheidend zur Nominierung von William Harding als Präsidentschaftskandidat beigetragen (und dubiose Zahlungen aus dem Harding-Lager erhalten). Als Minister in Hardings Kabinett hatte er sich einen Namen als Kämpfer gegen mit der Post versandten Schund und Schmutz gemacht.

Die Tür zum Orgasmus

Die MPPDA sollte das Image Hollywoods verbessern. Das schien dringend geboten, da Filme auf lokaler Ebene immer stärker zensuriert wurden. Unter Will Hays wurde eine Moralklausel in die Verträge aufgenommen und der Motion Picture Production Code eingeführt. Dieser vom "Hays Office" überwachte Kodex regelte, wie lang auf der Leinwand geküsst werden durfte, wie viel Sex und Gewalt gezeigt werden, was gesagt werden durfte und was nicht, welche Themen erlaubt und welche verboten waren. Da gewiefte Drehbuchautoren und Regisseure Mittel und Wege fanden, den Code zu umgehen, hat uns dieser schöne Bilder beschert, die es sonst nicht gäbe.

Spellbound

Wenn es nach dem gestrengen Herrn Hays und seinen Einflüsterern von der katholischen Legion of Decency gegangen wäre, hätten Frauen keine Lustgefühle gehabt, weil das vulgär und unweiblich war. Also dachte sich Hitchcock für Ingrid Bergman etwas ganz Besonderes aus: in Spellbound öffnen sich hintereinander vier ins Licht führende Türen, wenn sie Gregory Peck küsst. Von einem solchen Vierfach-Orgasmus können heutige Leinwandheldinnen nur träumen. An der Zensur ist daher nicht alles schlecht. Der Production Code beförderte die Kreativität der Filmschaffenden und regte die Phantasie des Publikums an, das lernte, Bilder zu entschlüsseln, die damals noch ein Geheimnis hatten.

Spellbound

Natürlich wünschen wir Showgirls wie Virginia Rappe nur das Allerbeste. Aber abgesehen von Virginias bedauerlichem Ableben ist man doch geneigt, mit Wehmut an die gute alte Zeit zurückzudenken, als Patentkriege zu filmreifen Prügeleien führten und Edisons Gegenspieler nach dem Gefecht das Gefühl haben mussten, sie seien, wie der Filmhistoriker Charles Musser schreibt, "vom Blitz eines zornigen Gottes getroffen worden". An eine Zeit, als in Hollywood noch wüste Orgien gefeiert wurden, was zur Inthronisierung eines salbadernden Tugendwächters führte, den die Bosse 1922 im Triumphzug durch die Filmstudios geleiteten, während im Haus von Charlie Chaplin über der Herrentoilette ein Wimpel mit der Aufschrift "Willkommen Will Hays" hing (das berichtete der auf Chaplin angesetzte Geheimagent, weshalb Charlie von da an als Sicherheitsrisiko galt).

Was aus diesen glorreichen Anfängen geworden ist, die einem Laurel & Hardy-Film genauso Ehre machen würden wie einer Erich von Stroheim-Produktion oder einem frühen Western von John Ford, kann man jetzt im Internet besichtigen. Die aus Edisons MPPC hervorgegangene MPPDA heißt heute MPAA (Motion Picture Association of America). Sie ist nach wie vor für die Selbstzensur der Industrie zuständig und kämpft für möglichst strenge Urheberrechtsregelungen. Letzteres ist insofern ironisch, als der Gründervater Edison dafür bekannt war, dass er Filme der Konkurrenz kopierte, mit seinem Logo versah und dann als Eigenproduktionen in den Verleih brachte. Am Wirken der Motion Picture Patents Company kann man auch schon sehen, dass derartige Vereinigungen nicht unbedingt auf der Seite der Innovation stehen. Weil Edison am liebsten das Altbewährte neu drehen oder der Einfachheit halber direkt kopieren ließ, geriet das Medium gleich am Anfang seiner Geschichte in eine tiefe Krise. Das Publikum blieb aus, und der amerikanische Film überlebte nur, weil einige Rebellen Edisons Verbote missachteten und das Gesetz brachen.

Die heutige MPAA wird nicht mehr von einem Mann wie Will Hays vertreten, der mit seinem Predigergehabe wirkte, als sei er einem Bibelfilm von Cecil B. De Mille entsprungen, sondern von grauen Funktionären mit Aktenkoffer. Als ein wichtiges Ergebnis ihrer erfolgreichen Lobbyarbeit verbucht die Organisation den 1998 von Bill Clinton unterschriebenen Digital Millennium Copyright Act (DMCA). Dieses Gesetz ist die Reaktion auf verbesserte Kopiermöglichkeiten im digitalen Zeitalter und erweitert die Rechte der Copyright-Inhaber, was andererseits die Informationsfreiheit einschränkt und ehrenwerte Berufsgruppen wie Forscher und Lehrer kriminalisiert, weil sie in Ausübung ihrer Tätigkeit oft in Konflikt mit dem DMCA kommen.

Die mit Copyright-Fragen befasste Library of Congress veranstaltet alle drei Jahre Anhörungen, in denen erörtert wird, ob es Ausnahmen von den im DMCA enthaltenen Bestimmungen gegen das Umgehen von Kopierschutzsystemen geben sollte. 2006 kamen Lehrer und Professoren, die Filmkurse anbieten, in den Genuss einer solchen Ausnahmeregelung. Sie dürfen seither ganz offiziell den Kopierschutz auf DVDs brechen, wenn sie Teile aus Filmen als Unterrichtsmaterial verwenden wollen. Jetzt, 2009, geht es darum, ob die Regelung auf Schul- und Universitätslehrer generell ausgedehnt werden soll, und vielleicht sogar auf Schüler und Studenten - etwa dann, wenn sie ein Referat halten und dabei Filmausschnitte zeigen wollen.

Bodenloser Abgrund, unendliche Wiederholung

Die MPAA ist alarmiert. Wie sich diese Vereinigung die Zukunft vorstellt, zeigt ein interessantes Bilddokument, das im Internet kursiert. Bei den diesjährigen Anhörungen brachten MPAA-Offizielle ein Video mit, auf dem zu sehen ist, wie sich der ideale Lehrer ihrer Meinung nach verhalten soll. Dieser ideale Lehrer, denkt der Laie, zeigt seinen Schülern und Studenten einen Ausschnitt in bester Qualität, weil sich die Filmkunst nur so in allen ihren Nuancen erschließen lässt. Einer Organisation wie der MPAA müsste daran besonders viel gelegen sein. Weit gefehlt. Statt den Kopierschutz zu brechen, was ganz einfach ist und für Unterrichtszwecke sogar erlaubt, besorgt sich der ideale Lehrer eine Videokamera. Statt die DVD zu rippen, filmt er sodann die bewegten Bilder der DVD von einem Monitor ab. Wie das geht, wird auf dem Video demonstriert.

Sind das verzweifelte Versuche, eine längst verlorene Schlacht doch noch zu gewinnen, oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Geht es darum, die Ausnahmeregelung von 2006 wieder rückgängig zu machen, oder geht es doch auch irgendwie um Kunst, und nicht nur um Profit? Dank der Bemühungen der MPAA dürfen wir nun also auf dem Monitor unseres Computers ein Video sehen, auf dem zu sehen ist, wie ein Video gezeigt wird, auf dem zu sehen ist, wie ein Video vom Monitor abgefilmt wird. Dem Kunstfreund fällt dabei sofort ein von André Gide geprägter Begriff ein: mise en abîme (= in den bodenlosen Abgrund der unendlichen Widerholung werfen). Als mise en abîme bezeichnet man das Bild im Bild, das Theaterstück im Theaterstück, den Film im Film.

Hellzapoppin'

Buster Keaton hat aus dieser Ausgangsidee eines seiner Meisterwerke gemacht: in Sherlock Junior spielt er einen Filmvorführer, der sich im Film in einen Film hineinträumt. Endlich aus den Archiven wieder aufgetaucht ist kürzlich Hellzapoppin', das anarchistischste Hollywood-Musical aller Zeiten. Im Mittelpunkt stehen die Komiker Ole Olsen und Chic Johnson, die als Olsen und Johnson in einem Musical (Hellzapoppin') über die Aufführung des Musicals "Hellzapoppin'" auftreten und gelegentlich mit sich selbst konfrontiert werden oder in den faschen Film geraten, weil es da einen eigenwilligen Vorführer gibt, in dessen Kino der Film Hellzapoppin' läuft, der erst noch gedreht werden muss.

Hellzapoppin'

Solche Beispiele dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Spiel mit dem mise en abîme in den Chefetagen Hollywoods nie gut gelitten war, weil es selbstreferenziell und illusionsdurchbrechend ist. Eine Industrie, die ihre Produkte gern als etwas gleichsam Naturgegebenes verkaufte und nicht als nach ideologischen Vorgaben gefertigte Konstrukte, empfand das als bedrohlich. Während der europäische Kunstfilm die Regeln, nach denen er funktioniert, gern offenlegt, werden sie im Hollywood-Kino lieber vertuscht und unsichtbar gemacht. Ist das Video im Video im Video der MPAA also eine Hommage an den großen Buster Keaton, eine späte Verbeugung vor den Aufmüpfigen unter den amerikanischen Filmemachern?

Ketten für den Zuschauer

Die tägliche Praxis der MPAA-Mitglieder lässt einen daran zweifeln. Der Film im Film ist ein Aufruf zur Innovation, weil er die eigenen Regeln hinterfragt. Die Entscheidungsträger der amerikanischen Filmindustrie dagegen lassen immer noch ein weiteres Remake herstellen und kopieren immer hemmungsloser die Erfolgsformeln von gestern und von vorgestern. Die so entstehenden Imitate von etwas, das früher einmal neu und aufregend war, werden dann mit Kopierschutz versehen, und wer gegen das Gesetz zum Kopierschutz verstößt, wird mit immer größeren rechtlichen Keulen bedroht. Das ist, wenn man so will, die Manager- und Juristenversion eines mise en abîme.

Ausnahmen vom Millenium Act, das zeigen die alle drei Jahre stattfindenden Anhörungen, würde die MPAA am liebsten auf nicht mehr gebräuchliche Formate und Trägermedien beschränkt sehen. Der ideale Lehrer sollte deshalb die DVD nicht mit einer Digitalkamera abfilmen (man könnte ihn mit einem der von der MPAA bekämpften Camripper verwechseln, also den Filmeabfilmern im Kino), sondern sich eine möglichst alte Videokamera besorgen, am besten mit VHS-Kassetten oder einem Vorgängermodell.

Hier mein Ratschlag an die Vereinigten Filmfirmen von Amerika: 2012, wenn man sich wieder beim Librarian of Congress trifft, um die Vielfalt des Angebots und das Urheberrecht zu schützen, sollte die MPAA unbedingt ein Video zeigen, in dem ein Lehrer bei der Unterrichtsvorbereitung Filmbilder abzeichnet, um sie anschließend den Schülern als Daumenkino zu präsentieren. Noch konsequenter wäre es, gleich zu den alten Griechen zurückzugehen. In Platons "Höhlengleichnis" sitzen die Zuschauer in einer Höhle und sehen Schattenspiele. Sie sind dabei übrigens angekettet. Wenn das, was zuletzt aus Hollywood in unsere Kinos kam, ein Vorgeschmack auf kommende Attraktionen ist, könnte diese extreme Form der Zuschauerbindung noch eine große Zukunft haben. Ein Kopierschutz für Filme, die nur noch ein Publikum finden, wenn dieses während der Vorführung festgebunden wird, ist allerdings überflüssig.