Heldinnen im Pixelkörper

Bild: Replay Studios

Die Computerspiele "Velvet Assassin", "Prince of Persia" und "Mirror's Edge" würden ohne ihre starken Frauenfiguren nicht funktionieren.

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Während im Kino die drallen Exploitation-Frauen in Bikinis und mit übergroßen Knarren allmählich von Sigourney Weavers "Alien"-Ripley und Jodie Fosters smarten Rollen ("Panic Room", "Brave One", ...) abgelöst wurden, dauert diese Entwicklung im Videospiel noch an. Hier erfüllten "Red Sonja", Airbrush-Fantasy-Stereotypen und ihre Überführung in die "Gauntlet"-Heldin - Ketten-Bikinis und übergroße Zweihand-Schwerter - erstere Rolle und fanden nach und nach ihre Ablösung in Lara Croft: einer zwar noch immer karikaturesquen Figur, die aber wenigstens über ihre Schauwerte hinaus eine echte Rolle innerhalb der Erzählung des Spiels erhielt. Mit "Mirror's Edge", "Prince of Persia" und jüngst "Velvet Assassin" entdeckt die Spieleindustrie den Mut zur echten Heldin, die auch abseits von Männerfantasien funktionieren kann.

Dabei erscheint das aktuellste Beispiel, "Velvet Assassin", wenigstens dem Aussehen und der Präsentation seiner Protagonistin nach noch als das rückständigste. Während die 40er-Jahre-Glamour-Frisur von Violette Summers noch der dargestellten Zeit und dem historischen Vorbild geschuldet ist, setzt die Third-Person-Perspektive wohl zuerst das entsprechend geformte Hinterteil der Heldin für den männlichen Spieler in Szene. Überhaupt scheint "Velvet Assassin" unschlüssig, welche Richtung Violette einschlagen soll: Sie ist alliierte Geheimagentin und Saboteurin im zweiten Weltkrieg, das Spiel erzählt ihre Geschichte in Form von Erinnerungsfetzen der im Koma liegenden Violette, und betreibt trotz des erwähnten historischen Vorbildes Violette Szabo ganz nebenbei ein wenig optimistische Geschichtsrevision. Violette selbst ist dabei in einem Zwiespalt gefangen: Einerseits ist die Figur die Entsprechung des eiskalten Schleich-Profis eines "Splinter Cell" oder "Metal Gear Solid", andererseits bemüht sich "Velvet Assassin" auch, die Heldin nicht allzu phallisch-überlegen auftreten zu lassen, sondern betont in diversen Monologen und Cut Scenes ihre Verwundbarkeit und Emotionalität. Besonders grotesk wird diese Unentschlossenheit im "Morphium-Modus": An kniffligen Stellen kann der Spieler seiner sich aus ihrem Koma heraus erinnernden Figur eine Morphium-Spritze verabreichen. Das Bild verschwimmt, alle NPCs frieren ein, und Violette kann einen Gegner ohne Gegenwehr ausschalten. Eine Erklärung, warum sie sich für diesen Effekt allerdings plötzlich aus einer gestreng-dominanten SS-Uniform heraus und in ein knappes, weißes Spitzennachthemd hinein erinnert, bleibt das Spiel aber schuldig.

Bild: Ubisoft

Der körperlose Frauengeist

Aus einer ganz anderen Richtung kommt Elika, der vermeintliche Sidekick im neuesten "Prince of Persia". Bereits die Entscheidung der Designer für einen Grafikstil aus Cellshading-Zeichnungen bezeugt, wie sehr "Prince of Persia" seine Schauwerte betont. Elika erscheint optisch als Mischung aus arabischer Prinzessin und hippem Öko-Twen mit Pluderhose und bauchfreier Bluse. Es ist aber ihre spielmechanische Bedeutung, die sie von einer schnöden Ethno-Lara Croft abhebt: So ist die männliche Hauptfigur ohne Elika eigentlich nur zum lahmen Klettern und halbmotiviertem Säbelschwingen fähig, wenn sie nicht von der Prinzessin unterstützt wird. Sie fängt den Spieler mitten im Sprung auf und schleudert ihn zur nächsten Plattform, sie setzt Gegnern auf Kommando mit Sprungtritten zu, und sie bedient zahlreiche magische Gimmicks der Spielwelt, die schließlich sogar das Fliegen ermöglichen. Außerdem ist Elika "Prince of Persia"s Ersatz für Checkpoints und Speicherstände, bringt den Immersions-schädigenden Vorgang des Neu-Ladens diegetisch in das Spiel: Wann immer man abstürzt oder ein Gegner zu gewinnen droht, greift Elika ein, umgeben von einem bläulichen Schimmer und reicht die helfende Hand. Das im Umfeld der Veröffentlichung oft bemängelte "Nicht-Sterben-Können" ist dieser immer stets präsenten Retterin zu verdanken. Ihre spielmechanische Rolle spiegelt sich auch in ihrer narrativen Funktion wider: So ist es immer Elika, die den namenlosen Zyniker-Protagonisten in die Schranken verweist. Seine Collegeboy-Sprüche prallen an der selbstbewussten Prinzessin einer geheimen Wüstenstadt spurlos ab, und mehr als einmal fragt sich nicht nur der Spieler, warum die männliche Spielfigur überhaupt gebraucht wird - schließlich ist Elika mit ihren magischen Fähigkeiten sowieso die deutlich patentere Gestalt.

Bild: Ubisoft

Dabei ist der Konflikt für die (übrigens von der rezensierenden Presse grandios unterschätzte) Geschichte unverzichtbar: "Prince of Persia" erzählt von einem mystischen Ort, dessen Korrumpierung die Zeichen einer Industriegesellschaft trägt. Die Antagonisten sind eiskalte Fachleute auf ihrem Gebiet, und der Held - ein Dieb - der publikumsgefällige Bote einer fortschrittlicheren Außenwelt. Er bringt lediglich seine Körperlichkeit in diese Stadt, die mit ihren vielen Ebenen und Höhenunterschieden wohl sowieso nie für nicht-fliegende Menschen erbaut wurde. Der physisch bodenständige Protagonist trifft auf die moralisch gefestigte Elika, und erst die Verbindung der beiden - die mit fortschreitender Handlung natürlich auch in einer Liebesgeschichte zementiert wird - erweist sich als tatsächlich wirksames Mittel gegen den Verfall, und damit für die treue Modernisierung des Alten. Elika ist viel mehr als nur ein Videospiel-Sidekick und Stichwortgeber für die adoleszenten Sprüche des Helden. Ihre Funktion innerhalb der Handlung ist überhaupt nur von einer weiblichen Figur zu erfüllen.

Einkaufsbummel statt Online-Shopping

"Mirror's Edge" dagegen bietet direkt eine weibliche Variante des Diebes aus "Prince of Persia" an. Das Spiel, das mit seinem (leider nur) beinahe pazifistischen Konzept ganz nebenbei das erste wirkliche Akrobatikspiel darstellt, setzt ganz auf die Körperlichkeit seiner Protagonistin Faith. Sie rennt über Großstadtdächer, klettert in schwindelerregender Höhe an Regenrinnen herauf und herab, springt von Plattform zu Plattform, stößt sich von Wänden ab, um den nächsten Vorsprung zu erreichen, hechtet von dort auf das nächste Dach zwei Etagen tiefer, und rollt sich elegant ab. Und all das auf Tastendruck des Spielers, in First-Person-Perspektive - ein Ego-Runner, und wohl die schönste Weiterentwicklung des festgefahrenen Shooter-Genres der letzten Jahre. Im Gegensatz zur ähnlich agilen Lara Croft ist bereits Faiths Körper der einer realistischen Sportlerin, und hinter diesem Anspruch musste auch die offensichtliche Attraktivität der Figur zurückstehen. In der Spiele-Community sorgte dieser Umstand für adoleszente Bildbearbeitungen, welche wiederum die Entwickler von "Mirror's Edge" traurig stimmten.

Faiths überlegene Körperlichkeit und ihre großartige Übertragung auf den Spieler erfüllt dabei nicht nur eine spielmechanische Funktion: "Mirror's Edge" erzählt von einer dystopischen Zukunft der ständigen Überwachung durch einen nicht näher erklärten Polizeistaat, die surreale Gestaltung der Spielwelt trägt wesentlich zum Gefühl der Einsamkeit des echten Individuums bei. Die einzige Möglichkeit zur privaten Kommunikation sind die Runner - Kuriere wie Faith, die fern ab von Legalität und Straßenniveau Pakete und Botschaften überbringen. Und obwohl zwar nicht alle Runner weiblich sind, so taucht doch während des ganzen Spiels auch keine einzige Unterstützerin des totalitären Regimes auf, die Frauenfiguren sind in "Mirror's Edge" abonniert auf die Seite der Protagonistin. Der Körpereinsatz der Runner ist eine Rückbesinnung weg von medialer Dominanz, quasi Einkaufsbummel statt Online-Shopping. Die Heldin erkennt, dass ihr Körper die letzte Bastion von Individualität in einer gleichgeschalteten Massengesellschaft ist, und ihr Design ein wenig abseits des publikumsgefälligen Mainstreams untermauert diese Bedeutung noch. Faith ist Identifikationsfigur für die wenigen Spielerinnen gleichermaßen, wie sie die männlichen Zocker zur Reflektion über stereotype Heldenfiguren einlädt. Ein männlicher Protagonist hätte diese beiden Rollen nie ausfüllen können.

Bild: Electronic Arts

Von den drei besprochenen Spielen ist "Velvet Assassin" sicherlich das uninteressanteste, sowohl in spielerischer Hinsicht (hier bekommt man kaum mehr geboten als bereits 1998 mit "Thief: The Dark Project"), als auch bezüglich der Rolle seiner Heldin. Sie ist zwar eine gelungene Weiterentwicklung der phallischen Lara Croft-Klischees in eine differenziert gezeichnete tragische Heldin, aber für die Erzählung des Spiels ist dieser Umstand letztlich unerheblich. "Mirror's Edge" und "Prince of Persia" dagegen dachten ein paar Monate vor dem Release des Weltkriegs-Schleichspiels bereits einen Schritt weiter. Während Elika ihre Körperlichkeit in den männlichen Protagonisten auslagert, definiert sich Faith fast ausschließlich darüber. Elika dagegen ist in ihrer physischen Abwesenheit der klassisch weibliche Geist, der den Körper anleitet - wie zuletzt Skynet im jüngsten "Terminator"-Film. Faith dagegen ist letztlich sogar gelungen, was in einem verbreiteten Topos des Actionkinos dem männlichen Held - von Rambo bis zum großartigen Bryan Mills - vorbehalten bleibt: Sie ist ein komplett selbständiger Profi. Und mit dieser Autonomie kommt unweigerlich auch die Einsamkeit.